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Das Geistliche Wort | 01.06.2014 | 08:40 Uhr

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Clemens Theodor Perthes als diakonischer Gründungsvater

Sprecher: „Der liebe Gott hat den Menschen die Hände nicht gegeben, um sie über dem Kopf zusammenzuschlagen, sondern um sie zu brauchen, damit das Böse besser werde.“ (Zitiert in Otto Perthes: Werden und Wirken von Clemens Theodor Perthes; Gütersloh 1909, 58)

Autor: Den Mann, der diesen Satz gesagt hat, möchte ich Ihnen heute gerne vorstellen, liebe Hörerinnen und Hörer. Er ist eine weitgehend vergessene Persönlichkeit und gehört doch zu den bedeutsamen Gestalten der Diakonie in der evangelischen Kirche. Sein Name ist Clemens Theodor Perthes. Mein Name ist Werner Max Ruschke. Ich bin Pastor und lebe seit einem halben Jahr in Soest im Ruhestand. Davor war ich in Münster Vorstandsvorsitzender eines großen diakonischen Trägers – dem Evangelischen Perthes-Werk, das seinen Namen von eben diesem Clemens Theodor Perthes hat. Das Perthes-Werk ist heute an 32 Orten in Westfalen vertreten – mit Angeboten vor allem für alte, aber auch für behinderte und sozial benachteiligte Menschen.

Musik 1: Heike Wetzel (Querflöte) / Michael Schlierf (Piano): Track 5 Amazing Grace von CD Befiehl du deine Wege, Choralbearbeitungen für Flöte und Klavier, Nr. DL93941, 03/2010, Verlag: Gerth Medien, Asslar, LC-Nr. 13743.

Autor: Clemens Theodor Perthes wird 1809 in Hamburg geboren. Seine Mutter ist die älteste Tochter von Matthias Claudius, dem Dichter von „Der Mond ist aufgegangen“. Sein Vater ist ein ausgesprochen erfolgreicher Buchhändler. Beide Elternteile leben ihren evangelischen Glauben ist bewusster ökumenischer Weite. Clemens Theodor schreibt über seinen Vater, dass dieser

Sprecher: „die allen Konfessionen gemeinsamen christlichen Wahrheiten scharf und bestimmt hervorhob“. (Clemens Theodor Perthes: Friedrich Perthes Leben nach dessen schriftlichen und mündlichen Mitteilungen aufgezeichnet, Band II, 4. Auflage, Gotha 1857, 274)

Autor: Diese Grundhaltung wird auch der Sohn übernehmen. Zunächst aber ist Clemens ein Sorgenkind. Eine langwierige Nervenerkrankung und Ausschlag quälen ihn. Als er Anfang zwanzig ist, beklagt sein Vater sein liederliches Leben und seine Verschwendungssucht.

Sprecher: „Clemens hat großen Leichtsinn, gibt sich Lust und lustiger Gesellschaft hin – vergißt sich! … Die Besorgnis, die Angst um diesen Sohn … frißt wie ein Geier an meinem Innern.“ (Zitiert in Otto Perthes, 15)

Autor: Rückblickend bestätigt Clemens, wie nahe er damals daran war, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Vielleicht ist es mit hierauf zurückzuführen, dass er später jenen Menschen helfen will, die ihrerseits in der Gefahr stehen, inneren und äußeren Halt zu verlieren.

Zunächst studiert Clemens Perthes in Bonn Rechtswissenschaft und wird dort später mit 32 Jahren Professor für Staatsrecht. Als er 1867 mit 58 Jahren stirbt, hat sich der Jurist für seinen Grabstein ein Wort über Jesus aus dem Johannesevangelium ausgesucht:

Sprecher: „Wer an ihn glaubet, der wird nicht gerichtet.“ (Johannes 3,18)

Autor: Dieser Bibelspruch auf dem Grabstein, er steht auch für die Entwicklung, die Perthes durchgemacht hat. In seinem Bemühen, das Richtige zu tun, hat er manche Rückschläge erleben müssen. Zunächst versucht er sich als königstreuer Abgeordneter in der großen Politik, ohne Erfolg. Anders ist das bei seinem Engagement in der örtlichen Diakonie. Hier hat er einen Anstoß gegeben, der bis heute nachwirkt.

Wie kam es dazu? Im 19. Jahrhundert verursacht die industrielle Revolution tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche. Auf den großen Verkehrswegen, an denen auch Bonn liegt, sind viele wandernde Handwerker unterwegs, und auch aus den Dörfern kommen ungelernte Arbeitssuchende. Clemens Perthes ist Presbyter, Ältester in seiner evangelischen Kirchengemeinde. Hier hört er von der besonderen Not dieser Menschen. Seine Eindrücke fasst er in einer schmalen Schrift zusammen mit dem Titel „Das Herbergswesen der Handwerksgesellen“.

Perthes schildert darin die Gefahren, denen Wanderarbeiter in ihren Übernachtungsstellen ausgesetzt sind und die im Volksmund „Schnapspennen“ heißen.

Sprecher: „Der achtzehnjährige Mensch steht allein da mit seinen Leidenschaften und Lüsten.“ (Clemens Theodor Perthes: Das Herbergswesen der Handwerksgesellen; Gotha 1856, 14)

Autor: Glücksspiel und Branntwein sind oft die einzige Freizeitbeschäftigung; mancher Handwerksgeselle wird dadurch zum Vagabunden und Bettler. Viele entfremden sich von Glaube und Kirche.

Perthes will dem nicht tatenlos zusehen. Ab 1851 verfolgt er als Vorsitzender des Bonner Diakonievereins das Ziel, eine Herberge für Wandergesellen zu gründen. Er schreibt Bittbriefe an seine adligen ehemaligen Studenten, unter ihnen den englischen Prinzgemahl, und hat bald genügend Geld zusammen. Im Handwerkerviertel von Bonn entsteht für Arbeiter, die weit weg von zu Hause sind, eine neue Heimat auf Zeit, sie heißt darum „Herberge zur Heimath“. Am 21. Mai 1854, also fast auf den Tag genau vor 160 Jahren, wird sie eingeweiht.

Die Herberge wird zur beliebtesten in Bonn und muss bald erweitert werden. Nach ihrem Vorbild kommt es in vielen Orten zu ähnlichen Gründungen. 1914 gibt es im Deutschen Reich 450 „Herbergen zur Heimat“.

Jeweils nach den beiden Weltkriegen sind es Flüchtlinge und Evakuierte, Vertriebene und Heimkehrer, die mit nichts als ihrem Leben in zerstörte Städte kommen. In dieser besonderen sozialen Notlage finden sie in den „Herbergen zur Heimat“ einen Platz zum Schlafen, aber auch andere soziale Unterstützung. Weil dieses Hilfsangebot umfassender ist als die ursprüngliche Aufgabe, verzichtet man seit Mitte des 20. Jahrhunderts auf den Namen „Herberge zur Heimat“.

Musik 2 = Musik 1

Autor: Perthes hat noch ein anderes Erbe hinterlassen. In seiner Schrift über „Das Herbergswesen der Handwerksgesellen“ beschreibt er in erstaunlich moderner Weise, was Diakonie ist. Seine Einsichten sind unverändert gültig. Beispielsweise der Satz: Diakonie ist bürgerschaftliche Selbsthilfe. Clemens Theodor Perthes erkennt in seiner Umgebung soziale Missstände und Nöte, aber er ruft nicht als erstes nach dem Staat. Sondern die Diakonie ergreift die Initiative und macht ein bisher fehlendes Hilfsangebot. Niemand soll durch die Maschen fallen, keiner in seiner Not allein bleiben.

Die Diakonie sucht partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Staat, damals und heute. Perthes will,

Sprecher: Dass „Männer von sehr verschiedener Stellung zur Kirche und zum Staate sich zu einem gemeinsamen Handeln vereinen.“ (s.o.)

Autor: Diakonie ist eine konzertierte Aktion all jener in Kirche und Staat, die konkrete Notlagen lindern und beseitigen wollen. Die unterschiedlichen inneren Einstellungen zur Kirche werden dabei ebenso relativiert wie die unterschiedlichen politischen Überzeugungen. Die Diakonie sucht Bündnispartner in allen Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen. Das geht nur, wenn man bereit ist zur Zusammenarbeit.

Bemerkenswert finde ich, dass Perthes eine Diakonie ohne Vorurteile und vor allem ohne Vorverurteilungen will.

Sprecher: „Liegt die Schuld wirklich nur auf einer Seite? Haben wir wirklich getan, was zu tun war?“ (s.o.)

Autor: Wenn jemand akut in Not ist, rückt die Frage nach der Schuld in den Hintergrund. Ein Vorwurf wie „Selber-Schuld!“ kann ja auch ein Vorwand sein, um sich von Hilfebedürftigen abzuwenden. Diakonie heißt: Wir helfen dir, auch wenn du selber Schuld bist an deiner Situation. Unabhängig davon fragen Helfende und Hilfsbedürftige gemeinsam: Wie ist es zu dieser Notlage gekommen? Was habe ich selbst damit zu tun, dass es so weit mit mir gekommen ist? Was kann ich tun, dass das nicht noch einmal passiert?

Musik 3: Heike Wetzel (Querflöte) / Michael Schlierf (Piano): Track 8 When Peace Like A River von CD Befiehl du deine Wege, Choralbearbeitungen für Flöte und Klavier, Nr. DL93941, 03/2010, Verlag: Gerth Medien, Asslar, LC-Nr. 13743.

Sprecher: „Haben wir in dem Elenden und Beladenen, in dem Verfallenen und Verkommenen außer dem Elende, dem Schmutz und dem Laster auch den Bruder gesehen, der der erlösenden Liebe bedarf, wie wir, und den die erlösende Liebe sucht, wie uns? Haben wir ihm die helfende Hand, das warme Herz, das tröstende und strafende Wort des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung in seiner Not gewährt?“ (s.o.)

Autor: Diakonie heißt: Die Not von anderen unmittelbar an sich heranlassen, sich von ihr berühren lassen. Also so reagieren, wie Jesus das tat: „Und als er das Volk sah, jammerte es ihn.“, heißt es einmal im Matthäus-Evangelium. (Matthäus 9,36). Solches Mitgefühl weckt den Willen zum Helfen. Hinzutreten muss aber dann fachliches Wissen und Können, therapeutisches und sozialarbeiterisches, um angemessen zu helfen.

Für Perthes ist außerdem wichtig:

Sprecher: Dass die „Herbergen allen ohne Ausnahme offen stehen, mögen sie christlich oder nicht christlich, … evangelisch oder katholisch, Preußen oder Bayern … sein.“ (s.o.)

Autor: Ausgeschlossen sind lediglich, wie er humorvoll festhält, „Orgeldreher, Harfenistinnen und Ratten- und Mäusefallenverkäufer.“ Angesichts der mitunter scharfen konfessionellen Gegensätze im 19. Jahrhundert betont Perthes:

Sprecher: „Eine Herberge ist nicht der Ort, an welchem konfessionelle Gegensätze ausgefochten werden können.“ (s.o.)

Autor: Diakonie lässt sich leiten von der Not Hilfsbedürftiger, nicht von deren Konfession oder Religion. Das bedeutet aber nun nicht, dass der Glaube in der Diakonie keine Rolle spielt. Im Gegenteil: Perthes legt Wert auf ein erkennbares christliches Profil der Diakonie. In seiner Herberge werden darum tägliche Morgen- und Abendandachten angeboten sowie Bibel-Gesprächskreise. Ohne eine erkennbare Christlichkeit haben diakonische Angebote auf Dauer keine Existenzberechtigung. Allerdings darf Christlichkeit kein Ersatz sein für mangelnde Fachlichkeit. Perthes hält in einem bedenkenswerten Satz fest:

Sprecher: „Nur wenn die Herberge als Wirtshaus vorzüglich ist, wird ihr der christliche Charakter nicht schaden.“ (s.o.)

Musik 4: Heike Wetzel (Querflöte) / Michael Schlierf (Piano): Track 3 What A Friend We Have In Jesus von CD Befiehl du deine Wege, Choralbearbeitungen für Flöte und Klavier, Nr. DL93941, 03/2010, Verlag: Gerth Medien, Asslar, LC-Nr. 13743.

Autor: Liebe Hörerin, lieber Hörer, von sozialen Nöten Mitte des 19. Jahrhunderts habe ich Ihnen, heute erzählt und wie in Bonn Clemens Theodor Perthes mit diakonischem Engagement darauf reagiert hat. Seine Anregungen wirken bis heute nach in der diakonischen Arbeit der evangelischen Kirchen für und mit Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten. Die konkreten Nöte und ihre Ursachen mögen sich dabei wandeln, die Herausforderung zu fachlicher Hilfe auf christlicher Grundlage aber bleibt. Darum wäre es schön, wenn auch Sie, verehrte Hörerin, verehrter Hörer, sich den von mir jetzt leicht abgewandelten Grundsatz von Clemens Theodor Perthes zu Eigen machen: „Gott hat uns Hände gegeben, nicht um sie über dem Kopf zusammenzuschlagen, sondern um mit ihnen Gutes zu tun.“ Ihr Werner Max Ruschke von der evangelischen Kirche in Soest.

Musik 5: Heike Wetzel (Querflöte) / Michael Schlierf (Piano): Track 2 Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren von CD Befiehl du deine Wege, Choralbearbeitungen für Flöte und Klavier, Nr. DL93941, 03/2010, Verlag: Gerth Medien, Asslar, LC-Nr. 13743.

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