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Kirche in WDR 5 | 17.06.2014 | 06:55 Uhr
„Die Heiligtumsfahrt in Aachen“
Manchmal stehe ich morgens vor dem Kleiderschrank und weiß nicht, was ich anziehen soll.
Was habe ich heute vor? Und wie muss ich dabei aussehen?
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer.
Wenn wir uns etwas anziehen, dann wollen wir uns schützen - vor der Kälte oder dem Regen oder auch vor den Blicken der Leute, denn nackt sind wir verletzbar.
Und wir wollen uns schön machen. Das ist zwar subjektiv, aber es muss halt zur Person passen.
Ob jemand gestreift trägt oder uni, lieber Kostüm oder Polo-Shirt, lieber Anzug oder den Blaumann - immer soll etwas vom Wesen und vom Empfinden eines Menschen zum Ausdruck kommen.
Und schließlich steht eine besondere Kleidung für eine bestimmte Aufgabe und Funktion.
Ein Arzt in weiß ist uns vertrauter als einer in Jeans und Pullover, einen Schaffner im Zug erkennt man an seiner Uniform, und ein Fußballer trägt natürlich das Trikot seiner Mannschaft.
Stoffe herzustellen, das Weben, ist eine der großen kulturellen Leistungen der Menschheit.
Stoffe erlauben es, uns zu wappnen gegen das Wetter und uns schön zu machen -für die anderen und oft auch nur für uns selbst.
Stoffe helfen uns, uns abzutrocknen, wenn wir nass sind, und uns zu wärmen, wenn wir frieren.
Stoffe können unsere zweite Haut werden, können uns schützen vor Einflüssen von außen und offenba¬ren, wie es drinnen in uns aussieht.
Um Stoffe, um Kleidung, geht es auch bei der Aachener Heiligtumsfahrt, die in dieser Woche beginnt. Eine uralte Wallfahrtstradition in der katholischen Kirche wird damit fortgesetzt. Alle sieben Jahre findet sie statt, in diesem Jahr vom 20. bis zum 30. Juni.
Dabei werden vier große Stoffreliquien gezeigt, also Textilien, die an Jesus Christus und an große Heilige erinnern.
In Aachen sind es: Das Kleid Mariens, das die Gottesmutter in der Heiligen Nacht getragen haben soll,
die Windeln Jesu und das Lendentuch des Herrn - also das erste und das letzte Kleidungsstück, das Jesus anhatte, und schließlich das Enthauptungstuch Johannes des Täufers, also das Stück Stoff, in das sein Kopf einge¬wickelt worden sein soll, nachdem dieser mutige Prophet und Bekenner enthauptet worden war.
Bei diesen vier Stoffreliquien geht es den Pilgerinnen und Pilgern nicht in erster Linie darum, ob sie historisch echt sind,
das heißt, ob es wirklich das Kleid ist, das Maria getragen hat,
oder wirklich das Tuch, das um die Lenden Jesu gewickelt war, als er am Kreuz gestorben ist.
Die Reliquien stammen zwar alle wohl aus der Zeit Jesu und aus dem Raum Palästina,
aber die Frage der historischen Echtheit ist bei der Heiligtumsfahrt nicht das Entscheidende.
Die Heiligtümer sind vielmehr Zeichen für die Menschenfreundlichkeit Gottes und für das Glaubens¬zeugnis, das Menschen in der Nachfolge Jesu gegeben haben.
Die vier Tuchreliquien werden seit der Zeit Karls des Großen im Aachener Dom aufberwahrt.
Und sie verdeutlichen: Gott lässt sich ein auf die menschliche Wirklichkeit - mit Blut, Schweiß und Tränen
Er nimmt sich unserer Geschichte an.
Ja, er wird selbst als Mensch Teil dieser Geschichte.
Gott hat in seinem Sohn Jesus Christus gewissermaßen unsere Kleider angezogen - er hat gelitten wie wir, hat sich gefreut, hat Hunger gehabt und Durst, war begeistert und oft auch müde, hat gehofft und gebetet, hatte Angst vor dem Sterben, war Mensch bis in den Tod hinein.
Gott hat sich mit unserer Sterblichkeit bekleidet, heißt es in der geistlichen Tradition.
Und auch umgekehrt gilt dieses Bild: Wir dürfen gewissermaßen Gott anziehen.
Der Apostel Paulus beschreibt das als das Wesen der Taufe.
Ihr habt, sagt er, in der Taufe Christus angezogen.
Ich finde das ein starkes Bild: Wir ziehen uns Christus an.
Er schenkt uns seine Kleider, und die sind keine Äußerlichkeit.
Sie bringen unser inneres Wesen zum Ausdruck, und das ist ganz und fest mit Gott verbunden.
In den Tagen der Heiligtumsfahrt werden die Pilger in Aachen im wahrsten Sinne auf Tuchfühlung gehen mit dem Gott, von dem gesagt wird, dass er unser Kleid ist.
Er ist unsere Würde. Er ist unser Schmuck. Er ist unser Schutz.
Falls Sie gleich noch vorm Kleiderschrank stehen sollten, wünsche ich Ihnen eine einfache Kleiderwahl! Und vielleicht tragen Sie heute nicht nur Ihre Kleidung mit sich, sondern diesen einen Gedanken: Gott ist mein Schutz.
Kommen Sie gut in den Tag, Ihr Pfarrer Peter Dückers aus Aachen.