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Kirche in WDR 5 | 11.07.2014 | 06:55 Uhr
Gibt es wirklich ein "zu spät"? (Matth 27,3-10)
Autor: Guten Morgen, liebe Hörerin, guten Morgen, lieber Hörer.
Im Lauf der Zeit haben sich bei mir verschiedene Geschichten angesammelt von Menschen, die mir begegnet sind. Verrückte Lebensläufe habe ich kennengelernt, beeindruckende Karrieren. Und dann gibt es immer wieder Geschichten, die mich nicht loslassen, Lebensläufe, die so tragisch sind, dass ich nicht weiß, wie man da etwas hätte ändern können.
Der Inbegriff solch einer verhängnisvollen Biographie in der Bibel ist die Geschichte vom Jünger Judas Ischkariot. Jesus hat diesen Mann aus dem Dorf Kariot selbst in seinen inneren Kreis geholt. Er gehört zu den zwölf Jüngern, obwohl er nicht wie alle anderen aus Galiläa stammt. Kariot liegt weiter im Süden des Landes. Ist das vielleicht schon eine Andeutung, dass er ein Außenseiter ist? Vielleicht gehört er auch zu einer Gruppe, die gewaltsamen Widerstand gegen die römische Besatzung geleistet haben.
Diese Leute nennt man Sikarier, Dolchträger. Auf jeden Fall ist er derjenige, der Jesus, seinen Meister verrät. An die Leute, die Jesus beseitigen wollen. Für diesen Verrat bekommt Judas dreißig Silberstücke von den jüdischen Autoritäten. Judas bringt daraufhin eine Gruppe der Tempelpolizei an die Stelle, wo Jesus sich gerade mit den anderen Jüngern aufhält, in den Garten Gethsemane, ganz in der Nähe der Altstadt von Jerusalem. Jesus wird dort festgenommen, dann den jüdischen Autoritäten vorgeführt. Die machen kurzen Prozess und stellen in einem mehr als merkwürdigen Verfahren fest, dass Jesus zum Tode verurteilt werden muss. Aber die jüdischen Autoritäten können das Todesurteil nicht selber vollstrecken. Sie sind nicht die Herren im eigenen Land. Israel ist in dieser Zeit von den Römern besetzt. Deswegen müssen die römischen Machthaber auch noch mit ins Boot. Sie müssen dem Urteil auch noch zustimmen und es dann vollstrecken.
Judas hat jetzt noch Zeit, seinen Verrat wieder gut zu machen – kann er das Verhängnis noch aufhalten? Er versucht es auf jeden Fall:
Sprecherin: Als nun Judas, der ihn verraten hatte, sah, dass Jesus zum Tod verurteilt war, reute ihn seine Tat. Er brachte den Hohenpriestern und den Ältesten die dreißig Silberstücke zurück und sagte: Ich habe gesündigt, ich habe euch einen unschuldigen Menschen ausgeliefert. Sie antworteten: Was geht das uns an? Das ist deine Sache. Da warf er die Silberstücke in den Tempel; dann ging er weg und erhängte sich.
Autor: Wenn die jüdischen Autoritäten ihren Fehler eingesehen, wenn sie ihr Geld zurückgenommen hätten - dann hätte Judas sich vielleicht nicht erhängt. Auch an seinem Tod tragen diese Leute eine erhebliche Mitverantwortung.
Der Bericht in der Bibel zeigt, wie schnell man in Verstrickungen hineingeraten kann – und das bei bestem Wissen und Gewissen. Judas war ja zunächst überzeugt, das Richtige zu tun. Doch das ist noch nicht das Ende. – Die Geschichte geht weiter. Es ist nicht bei dieser Verstrickung geblieben. Gott, so wird erzählt, hat Jesus von den Toten auferweckt. Sein Tod ist nicht das Ende. Gott hat den unheilvollen Kreislauf angehalten. Diese Spirale von Vorwürfen, Schuldigwerden, Verstrickungen und am Ende sich selbst nicht mehr aushalten – diese Spirale hat er mit Jesu Auferstehung unterbrochen. Selbst die, die für seinen Tod verantwortlich sind, werden von Gott eine neue Chance bekommen. Es gibt keine hoffnungslosen Fälle mehr. Auch ein Judas wird bei Gott noch einmal eine Chance haben – wenn er vor ihm steht. Und jede und jeder von uns heute – wenn wir uns unheilvoll verstrickt haben. Das macht Mut für einen Versuch: schon jetzt auszusteigen aus der Spirale.
Einen guten Freitag wünsche ich ihnen – Ihr Eberhard Helling, Pfarrer aus Lübbecke.