Beiträge auf: wdr5
Das Geistliche Wort | 31.08.2014 | 08:40 Uhr
Jesus nachfolgen – kein ‚Copy und Paste‘
Guten Morgen, verehrte Hörerinnen und Hörer.
Moderne Textverarbeitung am Computer – einfach klasse! Ich kann Dokumente erstellen, kann sie sofort korrigieren ohne sie ganz neu zu schreiben, Schriften und Layout verändern – denn es soll ja auch noch schön aussehen. Besonders praktisch ist die Funktion ‚Copy and Paste‘, also ‚Kopieren und Einfügen‘: Einfach einen Text markieren, und dann mit zwei Klicks per Computermaus in ein anderes Dokument übertragen. So spare ich viel Zeit, denn gut kopiert ist schnell kreiert! Aber Vorsicht: Aufpassen muss ich schon, wenn ich Texte anderer Autoren kopiere, dann muss das Urheberrecht geklärt sein, denn ohne Quellenangabe begehe ich ein Plagiat. Ich würde also das geistige Eigentum eines anderen Menschen für mein eigenes ausgeben – und daran sind schon Minister gescheitert.
‚Copy and Paste‘, also ‚Kopieren und Einfügen‘ geht am Computer ganz einfach von der Hand. Aber wäre dieses Motto auch als Lebensmaxime zu verwenden?, so frage ich mich. Kann ich einfach Lebensrezepte anderer für mein Leben übernehmen?
Die Frage ‚Wie gestalte ich mein Leben so, dass ich sinnvoll lebe?‘ ist – zugegeben – eine wesentliche Grundfrage von uns Menschen. Und es gibt viele Antworten auf diese Frage. Alleine ein Blick in die Abteilung Lebenshilfe / Esoterik einer Buchhandlung lässt mich aufmerken. Angebote zum sinnerfüllten Leben in Literaturform gibt es zu Hauf: „Befreie dich selbst“ , „Wie Sie in 60 Sekunden ihr Leben verändern“ oder „Willst du normal sein oder glücklich?“ Das klingt so, als brauche ich nur den richtigen Ratgeber zu lesen und meine Frage nach dem sinnerfüllten Leben wäre ziemlich schnell beantwortet – mehr noch: gelungenes Leben wäre garantiert! Da hat eine Autorin oder ein Autor für mich vorgedacht, und ich kann die Wege zu einem sinnvollen Leben diesem Ratgeber einfach entnehmen. Also ‚Copy und Paste‘ nicht von Texten, sondern von einem Lebensentwurf. Aber – so frage ich mich – will ich das wirklich: Leben als Kopie? Und was ist, wenn das nicht funktioniert? Bekomme ich dann wenigstens mein Geld für das Buch zurück?
Musik I
Wie kann ich sinnvoll leben? Unsere Gesellschaft verändert sich andauernd. Was heute noch sinnvoll war, kann morgen schon überholt sein. Das ist nicht nur bei Themen wie Musik oder Mode so, sondern auch bei der grundlegenderen Frage nach Werten und Lebensstilen. Überlieferte Werte werden zudem seit Jahrzehnten in Frage gestellt oder sogar abgelehnt, weil sie die persönliche Freiheit beschränken. Auf der anderen Seite sind die Grenzen unseres Lebensstils unübersehbar: Wir erfahren uns hilflos gegenüber Krankheiten, sind der zunehmenden Gentechnik ausgesetzt oder drohen durch die Verschmutzung der Umwelt förmlich im Dreck zu ersticken. Es ist verständlich, dass da verbindliche Rezepte und klare Regeln gefordert sind, im Großen wie auch im Kleinen. Ich weiß nicht wie es ihnen geht, aber gerade da, wo ich mich alleingelassen oder schwach fühle, wächst der Wunsch nach Orientierung, nach einer Lebenshilfe, die mich wirklich vorwärts bringt.
Im Christentum finde ich zum Beispiel Orientierung am Leben Jesu oder überhaupt in der Bibel. Ich finde das ungeheuer wichtig, weil gerade die Erzählungen der Bibel nicht nur den Verstand ansprechen, sondern auch meine Gefühle und Empfindungen. Die Erzählungen sind in der Regel sehr anschaulich, sie berühren dabei oft grundlegende Themen des Lebens und loten sie tief aus. Allerdings sind diese Erzählungen und besonders die Worte Jesu kein umfassender Ratgeber aus der Abteilung Lebenshilfe. Darin unterscheiden sie sich von vielen esoterischen Lebenshilfen. Zum einen weil sie auf viele konkrete Fragen eben keine Antworten geben können, da sie vor sehr langer Zeit aufgeschrieben wurden. Zum anderen weil gerade Jesus keine umfassende Darstellung eines eindeutigen christlichen Lebens hinterlassen hat. Er hat eher Geschichten aus dem Alltag erzählt, wobei es ihm nicht nur um eine fromme Gesinnung ging, sondern um situationsbezogene Handlungen. Sein grundsätzlicher Maßstab war allerdings dabei klar: das Gebot der Liebe zu Gott und den Mitmenschen. Aber reicht das aus: so allgemeine Maßstäbe einfach zur Lebensgestaltung, mit so wenig konkreten Anweisungen?
Ich denke schon. Allerdings nicht in der Form eines Ratgebers, nach dem Motto: Ich habe diese und jene Frage und kann die Antwort in der Bibel nachlesen. Sondern: Wer sich auf die Worte und Gedanken Jesu einlässt, lernt immer wieder etwas über sich und die Welt. Es geht weniger darum, Jesus zu kopieren, sondern sich in seine Botschaft einzuschwingen, und dadurch zu lernen, verantwortungsvoll in der Welt zu leben.
Musik II
Sich in Jesu Botschaft einzuschwingen, das ist manchmal leichter gesagt als getan. Vor allem wenn es um sperrige Aussagen Jesu geht. Eine von ihnen lautet: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt 16,24). Das hört sich jetzt allerdings eher nach ‚Copy und Paste‘ an als nach grundsätzlichem Maßstab. Und: Das hört sich doch nach dem an, was ich eigentlich für mein Leben gerade nicht möchte. Ich möchte kein Leiden, ich möchte kein Kreuz, ich möchte mich nicht selbst verleugnen. Wo käme ich denn da hin im Leben…?
Dieser harte Satz vom Kreuz ist die Antwort Jesu auf den Versuch von Petrus, Jesus genau vor Leiden und Tod zu bewahren. Jesus hatte nämlich die Konsequenzen seines Lebens vor Augen. Er wusste, dass er mit seiner Botschaft anecken würde, wenn er bis zum Äußersten gehen würde – und das bedeutete Scheitern und Untergang. Und genau das wollte Petrus nicht zulassen. Dabei ging es Jesus ja um etwas anderes: Mir zeigt dieser Satz der Kreuzesnachfolge deutlich, was Jesus unter Beziehung zu Gott und unter Nachfolge versteht.
Zum einen geht es ihm um die Treue zu sich selbst und zur Botschaft von Gottes Liebe zu allen Menschen. Das war und ist sein Lebensauftrag. Diesen Auftrag hat Jesus bis zum letzten Atemzug gelebt und er hat erkannt, dass sein Leben dadurch sinnvoll war. Gelungenes Leben war für ihn ein Leben nach Gottes Vorstellungen. Und er hat fest daran geglaubt, dass Gott ihn dabei nicht hängen lassen würde. Jesus hat bis zum letzten Atemzug darauf vertraut: Gott wird mein Leben retten.
Zum anderen macht der Satz von Kreuz und Nachfolge darauf aufmerksam, dass es Jesus um eine Veränderung des Blickwinkels ging. Diese Veränderung heißt: Einschwingen in die Sichtweise Jesu. Wer ihm nachfolgen will, soll ebenso konsequent sein wie er. Wer ihm nachfolgen will, soll den egoistischen Blick ablegen und das Wohl aller in den Blick nehmen. Zum Beispiel im Einsparen von Energie. Übrigens habe ich mir letztens einen stromsparenden Kühlschrank gekauft.
Wer Jesus nachfolgen will, muss nicht ängstlich auf menschliche Absicherungen vertrauen, sondern kann auf Gott vertrauen. Ich frage mich zum Beispiel, worauf gründet mein Selbstbewusstsein, etwa auf Geld, Macht und Bewunderung oder auf Vertrauen was mir von anderen geschenkt wird ohne Vorleistung.
Leicht ist das nicht. Das ist sogar eine gehörige Zumutung. Aber in dem Wort „Zumutung“ steckt der Begriff „Mut“. Der Satz Jesu von der Nachfolge hört sich so schwer an. Wenn ich aber auch hier einmal den Blickwinkel verändere, dann wird aus der Zumutung etwas, was mir Mut macht. Jesus spricht mir im Grunde Mut zu, weil er selbst erfahren hat, wie ihn die Beziehung zu Gott stark gemacht und, wie sehr ihn das Vertrauen auf Gott getragen hat.
Und ich? Wo käme ich mit meinem Leben hin, wenn ich das ausprobieren würde…? Ich glaube, diese Frage ist so zu kurz gedacht. Sie müsste heißen: Wo kämen wir mit unserem Leben hin, wenn jeder es einmal wagen würde sich auf den Blick Jesu einzulassen?
Schließlich ging es Jesus ja darum, das Wohl aller Menschen in den Blick zu nehmen. Wie würde sich auf einmal unsere Welt, unsere Gesellschaft, unsere Kirche verändern?
Wo kämen wir da auf einmal hin…?
Musik III
„Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Ich finde, das hört sich nicht nach ‚Copy und Paste‘ an. Es geht im christlichen Leben nicht darum, Jesus zu einhundert Prozent zu kopieren. Das würde auch nicht funktionieren. Es geht aber darum, in meinem Leben Jesu Blick auf Gott und die Welt zu entdecken. Sein Kreuz auf sich zu nehmen, kann hierbei vielfältige Formen annehmen. Und es wird auch nicht immer ein leichter Weg sein. Es ist doch erschreckend, dass Leute schräg angesehen werden, weil sie sich sozial engagieren oder wenn sie Migranten als Menschen ansehen und nicht als Sozialschmarotzer. Dieser Weg mit der Blickperspektive Jesu ist kein leichter Weg, der innerhalb kürzester Zeit Erfolg verspricht. Es wird dabei immer wieder Rückschläge geben weil ich selbst den Mut verliere und aufgebe oder indem ich gemieden werde.
Aber ich finde, dass der Weg Jesu ein aufregender Weg ist. Es ist ein Weg, auf dem ich am meisten lerne über mich, über Gott und über die Welt. Es ist ein Weg, der mir mehr verspricht als jeder Lebensratgeber in Buchform. Es ist mein Weg in der Nachfolge Jesu – und keine Kopie.
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat in seinem Sammelband „Die Erzählungen der Chassidim“ einen kurzen Text überliefert, der das Thema von der Nachfolge in Treue zu sich selbst treffend deutlich macht: Vor dem Ende sprach Rabbi Sussja: „In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: ‚Warum bist du nicht Mose gewesen?‘ Man wird mich fragen: ‚Warum bist du nicht Sussja gewesen?‘“
Musik IV
Einen guten Sonntag wünscht Ihnen Pfarrer Thomas Rhein aus Köln.
*Matthias Exl.