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Das Geistliche Wort | 01.01.2015 | 08:40 Uhr

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Verleih uns Frieden

Autorin: Diesig und feucht ist der Neujahrsmorgen. Kaum jemand ist auf der Straße zu sehen. Doch ich bin die neun Kilometer in den Norden der Stadt unterwegs - tapfer mit dem Fahrrad durch den Nieselregen. Raketenreste in Sektflaschen säumen den Straßenrand, Spuren der Silvesternacht.

Ich hätte heute gut noch sehr viel länger schlafen können. Warum habe ich das nur zugesagt: im Neujahrsgottesdienst um 10 Uhr am anderen Ende der Stadt mitzusingen? Wir sind nur fünf Leute. Da darf keine fehlen.

Das war Anfang der achtziger Jahre, ist also über dreißig Jahre her. Einen guten Neujahrsmorgen 2015 wünscht Ihnen Gudrun Mawick, Pfarrerin an der westfälischen Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik in Schwerte-Villigst.

Musik 1: Track 1 We are the World von CD U.S.A. for Africa, Diverse Tina Turner etc.. Komponisten: Alberto Rousseau Mendizabal; Alejandro Chantrero Amores; Javier Sanchez Muñoz; 1985. ASIN: B001SMM9JY

Autorin: Ich erinnere mich noch ganz genau an diesen Neujahrsmorgen. Denn es kam zum Streit in unserem Mini-Chor. Und zwar schon während der Proben einige Tage vorher. Eine Neujahrsmotette von Heinrich Schütz stand auf dem Programm. Mit einem Liedtext von Martin Luther:

Sprecher: Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten,

es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten,

denn du, unser Gott alleine.

Musik 3: Track 4 Verleih uns Frieden gnädiglich SWV 372 von CD Heinrich Schütz, Geistliche Chor-Music 1648, Komponist: Heinrich Schütz, Interpreten: Dresdner Kammerchor, Cappella Sagittariana Dresden, Leitung: Hans-Christoph Redemann, Stuttgart: Carus-Verlag 2007/2011, LC 3989.

Autorin: Anja mit ihrer klaren und weichen Stimme sang den ersten Sopran. Lange blonde Locken, Nickelbrille. Normalerweise trug sie immer eine Latzhose – doch die hatte heute am Feiertag Pause. Auch wir anderen hatten uns festlich angezogen. Ausnahmsweise. Denn unsere Alltagskleiderordnung war ganz anders: selbstgestrickte Pullover und gebatikte T-Shirts, Parka. Und zu diesem Outfit gehörten auch deutliche Positionen in den politischen Debatten, die damals tobten: die Auseinandersetzungen um Natodoppelbeschluss und um Atomkraft: Wir jedenfalls waren klar dagegen. So passte die Friedensmotette gut. Die Sache mit dem Frieden bewegte uns. Dabei wollten wir die Sorge darum nicht nur Gott allein überlassen. Sondern waren auch selbst aktiv, in der jungen grünen Partei und bei Demonstrationen. Wir wollten echt und pur und ungekünstelt und ökologisch verantwortlich leben.

Echt und ungekünstelt sollte auch unsere Musik sein, die Originalklangbewegung hatte auch unsere Stadt erreicht. Möglichst so, wie die Motette gedacht war, sollte sie von uns an Neujahr aufgeführt werden. In einer Probe fiel unserem Tenor Martin auf, dass wir sie gar nicht bis zu Ende gesungen hatten. Denn es gab noch eine Fortsetzung mit der barocken Überschrift „der ander Teil“. Wir entschieden: OK, dann singen wir den zweiten Teil eben auch noch an Neujahr.

Sprecher: Gib unsern Fürsten und aller Obrigkeit Fried und gut Regiment,

dass wir unter ihnen ein geruhig und stilles Leben führen mögen

in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Amen.

Musik 3: Track 5 „Gib unsern Fürsten“ SWV 373 von CD = Musik 2

Autorin: Wir probten diesen zweiten Teil der Motette bis Anja sich ereiferte: „So ein Gebet für die Obrigkeit kommt mir nicht über die Lippen, das singe ich nicht. Ich bete doch nicht für Politiker! Tut mir leid und wenn es zehnmal zusammen gehört – ohne mich.“

Wir konnten uns nicht einigen. Und so wurden am Neujahrsmorgen die Stücke in verschiedener Besetzung gesungen: „Verleih uns Frieden“ mit allen fünf. Und „Gib unsern Fürsten“ erklang deutlich matter, denn es fehlte der erste Sopran.

Musik 4: Track 15 Sonata 5, in C, Largo (316), Julian Bream plays Bach, Komponist: Johann Sebastian Bach, Interpret: Julian Bream (Laute), George Malcolm (Chembalo), James Burnett (Produzent), Verlag: RCA Records, 1085/R, 1985 (keine LC Nummer).

Autorin: „2014 hat sich die Welt unglaublich verändert. Schreckliche Dinge sind uns näher gerückt. Das macht mich sprachlos. Ich habe Angst.“ Solche und ähnliche Sätze habe ich oft gehört am Ende des vergangenen Jahres. In Gesprächen über den grausamen Vormarsch der IS-Milizen im Nahen Osten. Keine Staatsgrenzen und Armeen scheinen sie aufhalten zu können. Oder über die Furcht vor einem neuen kalten Krieg als Folge der Ukraine-Krise, gefährliche politische Muskelspiele, die umschlagen können. Die jungen Syrienkrieger, die auch aus Deutschland kommen. Die Ebola-Krankheit... Der CIA-Folterbericht.

Erschlagend. Lähmend. Doch ich habe noch andere Erfahrungen gemacht: Das Jahr 2014 stand in den Evangelischen Kirchen in Deutschland unter dem Motto „Reformation und Politik“. Als Pfarrerin im westfälischen Gottesdienstinstitut war ich unterwegs und sprach mit Pfarrerinnen und Pfarrern über das Thema: politisch predigen. Zunächst haben wir meist viel gelacht. Denn da gab es Erinnerungen an die eigenen Latzhosenzeiten. Und die Predigten: Voll mit Vorwürfen und Anklagen ohne Ende! Rettet die Wale, rettet die Bäume, kauft fair gehandelte Kleidung und Kaffee, spart Strom, „Atomkraft, nein Danke“, „wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt“… Die Liste der Forderungen und Slogans ist lang. Die Gemeindemitglieder ächzten unter moralinen Last.

Ein Pfarrer erzählte schmunzelnd: „Ein Mann hat sich immer bei mir bedankt, wenn ich in meinem Gottesdienst mal nicht das Wort Müllverbrennungsanlage in den Mund genommen habe.“ Noch sind wir amüsiert. Bis eine Kollegin berichtet: „Ich habe einmal eine Stelle nicht bekommen, weil ich zu politisch gepredigt habe.“

Da platzt einer anderen der Kragen: „Und jetzt? Sind wir jetzt schlauer und besser? Die ganzen Probleme, die wir damals angeprangert haben, gibt es doch heute immer noch! Und ich meine, sie rücken uns täglich näher! Warum machen wir uns lustig über unsere politischen Predigten von früher?“

Musik 5: Track 3 Suite in E minor BWV 996 von CD Julian Bream plays Bach, Interpret: Julian Bream (Laute), George Malcolm (Chembalo), James Burnett (Produzent), Verlag: RCA Records, 1085/R, 1985 (keine LC Nummer).

Autorin: Eine alte lateinische Friedensbitte war die Vorlage für Martin Luthers Liedtext „Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten“. Als er ihn schrieb, fühlte er sich politisch bedroht. Und zwar zu Recht. Denn die Beschlüsse des Reichstages, der 1529 abgehalten wurde, übertrafen die Befürchtungen der evangelischen Fürsten: Protestanten sollten in katholischen Gebieten keine Rechte mehr haben. Und auch aus weiteren Teilen der Welt drohte Gefahr: Das osmanische Heer unter Sultan Süleyman stand kurz davor, Wien einzunehmen. Dann wäre sein Weg nach Europa offen – so befürchtete man damals.

Sprecher: Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten,

es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten,

denn du, unser Gott alleine.

Autorin: Ein Gebet gegen Sprachlosigkeit und Ohnmacht. Gegen die Bilder von Krieg und Folter, von Toten an den Grenzen der Festung Europa, von Hungertoten und Verstümmelten. Aber was heißt das: Es ist kein anderer da als Gott, der für uns streiten, der für uns eintreten kann? Was heißt das für mein Engagement? Die Hände in den Schoß legen? Oder nur noch zum Beten falten? Es ist mehr als das: Wer betet, hat noch ein Fünkchen Hoffnung. Verleih uns Frieden – das ist eine Vision. Gott streitet für uns. Nicht als mächtiger Feldherr und militärischer Oberbefehlshaber. Er streitet für die Menschen als Kind in der Krippe und als Gekreuzigter. Als Machtloser in einer Welt von sich selbst überschätzenden Machthabern. Und gibt damit den Menschen einen Frieden, der mehr ist als der äußere Friede.

Mir scheint, dass Luther deshalb genauer, zielgerichteter beten wollte. Seiner Liedstrophe mit der Friedensbitte fügte er ein Gebet an, das in den Gesangbüchern seiner Zeit stets mit abgedruckt wurde:

Sprecher: Gott, gib Fried in deinem Lande,

Glück und Heil zu allem Stande.

... gib deinen Dienern Frieden, welchen die Welt nicht geben kann, auf dass unsere Herzen an deinen Geboten hangen und wir unsere Zeit durch deinen Schutz stille und sicher vor Feinden leben...

Autorin: Da geht es um das Hier und Jetzt. Darum, den erbetenen Frieden wirklich zu spüren. Da zeigt sich, ob Weihnachten angekommen ist im Alltag. Ob die Botschaft der Engel vom „Frieden auf Erden“ im politischen, gesellschaftlichen Alltag Raum hat.

Sprecher: Gott, gib Fried in deinem Lande,

Glück und Heil zu allem Stande.

Autorin: Es geht um Frieden in meiner Region und in meinem Aufgabengebiet. Darum, dass die Weihnachtsbotschaft vom Frieden auch im Alltag des neuen Jahres sichtbar wird. Es geht um den Frieden, der tief in Herzen und Seelen einzieht. Und aus dem heraus ich handele. Ein Friede, der mich bereit macht, auf andere zuzugehen, Kompromisse zu suchen, das Beste für alle nicht nur für mich zu wollen. Oft wurde versucht, Luthers Gebet so umzuschreiben, dass man es auf seine Melodie von „Verleih uns Frieden gnädiglich“ singen kann. Das klappte nicht. Am Ende setzte sich ein Text durch, der eine andere Melodie brauchte und auch bekam.

Sprecher: Gib unsern Fürsten und aller Obrigkeit Fried und gut Regiment,

dass wir unter ihnen ein geruhig und stilles Leben führen mögen

in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Amen.

Musik 6: Track 25 „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“ BWV 126 von CD Johann Sebastian Bach: Complete Cantatas – Das Kantatenwerk, Komponist: Johann Sebastian Bach, Interpreten: The Amsterdam Baroque Orchestral and Choir, Leitung: Ton Koopman, Challenge Classics, 2009, LC 00950.

Autorin: Dieser Text klingt wirklich nach Händen, die in den Schoß gelegt sind. Nach Untertanen, denen sich Gottes Wille im Handeln ihrer Obrigkeit zeigt. So eine Vorstellung war nicht nur in den achtziger Jahren anstößig, sie ist es auch heute am ersten Tag des Jahres 2015.

Im neuen evangelischen Gesangbuch fehlt diese Strophe deshalb. Das anstößige Friedensgebet für die Regierenden – einfach gestrichen?

So entschied es damals am Neujahrsmorgen unsere Sopranistin Anja für sich. Und so fehlte ihre Stimme, fehlte der 1. Sopran im Chor.

Doch so fehlt noch mehr. Es fehlt eine Erkenntnis, wie sie eine Kollegin während unserer Diskussionen um politische Predigten hatte: Früher zu Latzhosenzeiten, hatte sie den Staat als Feind gesehen. Heute weiß sie: Demokratie ist kostbar. Viele politisch Verantwortliche fühlen sich aufgerieben. Jetzt schließt sie sie ins Gebet ein. Dass sie weise regieren – und Frieden fördern.

Musik 7 = Musik 1

Autorin: Ein neues Jahr – in uns die Sehnsucht nach Frieden. Nach äußerem Frieden und Schutz für Stadt und Land und alle, die darin leben. Nach Frieden in unseren Herzen und Seelen, der uns erst zu Friedensstiftern macht. Beten und Tun – Erwarten und Anpacken sind keine Gegensätze. Beides ist nötig, um Gottes Frieden Platz zu machen. Ein friedvolles Neues Jahr 2015 wünscht Ihnen Pfarrerin Gudrun Mawick aus Schwerte-Villigst.

Musik 7 = Musik 1

Text: We are the world

There comes a time when we need a certain call

When the world must come together as one

There are people dying

Oh, and it's time to lend a hand to life

The greatest gift of all

We can't go on pretending day by day

That someone, somehow will soon make a change

We're all a part of God's great big family

And the truth - you know love is all we need

We are the world, we are the children

We are the ones who make a brighter day

so let's start giving

There's a choice we're making

We're saving our own lives

It's true we'll make a better day

Just you and me

Well, send'em you your heart

So they know that someone cares

And their lives will be stronger and free

As God has shown us

By turning stone to bread

And so we all must lend a helping hand

We are the world, we are the children

We are the ones who make a brighter day

so let's start giving

There's a choice we're making

We're saving our own lives

It's true we'll make a better day

Just you and me…..

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