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Das Geistliche Wort | 04.01.2015 | 08:40 Uhr

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Wir zwei (Jahreslosung 2015)

Autor: Johanna ist begeistert: „Der ist ja sooo toll!“, schwärmt sie mir vor. Kennengelernt hat sie ihn bei der Weihnachtsfeier im Betrieb. Sie haben dann gleich zusammen Sylvester gefeiert, und jetzt ist sie schwer verliebt. Was für ein guter Start ins Neue Jahr. Deshalb verkneife ich mir die Bemerkung: „Warte nur ab – das bleibt nicht so. Noch hast Du die rosarote Brille auf. Das ändert sich bald.“ Und noch aus einem anderen Grund sage ich das nicht: Die rosarote Brille, sie hat auch was Gutes. Doch davon später mehr.

Einmal angenommen, liebe Hörerinnen und Hörer, Sie wissen sich von einem anderen Menschen angenommen, geachtet oder vielleicht sogar geliebt. Was bedeutet das für Sie? Und anders herum, was bedeutet das für Ihr Verhältnis zu einem anderen Menschen, wenn Sie ihn annehmen, achten oder lieben? Und schließlich: Was bedeutet es, dass Jesus Christus uns Menschen annimmt, achtet und liebt? Darüber möchte ich heute Morgen am Beginn dieses neuen Jahres mit Ihnen nachdenken. Ich will das deshalb tun, weil dies die Jahreslosung für 2015 nahelegt – das ist eine Art Jahresmotto der evangelischen und katholischen Kirche. In diesem Jahr stammt es vom Apostel Paulus und heißt: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ (Römer 15,7) – Mein Name ist Werner Max Ruschke. Ich bin Pastor und habe insgesamt zwanzig Jahre meines Berufslebens in der Diakonie gearbeitet. Seit genau einem Jahr nun bin ich im Ruhestand und lebe in Soest.

Musik 1: Track 9 Thankyou, Stars (3:39) von CD Piece By Piece von Katie Melua, Text Mike Batt, Composition, Arrangement: Mike Batt, Sängerin Katie Melua, 2005 Dramatico Entertainment Limited., LC 13350.

Autor: Einen Menschen annehmen, achten oder lieben – das ist immer ein bisschen wie mit rosaroter Brille gucken. Was bedeutet das für unser Verhältnis zu einem anderen Menschen, wenn wir ihn annehmen, achten oder lieben? Wir sehen diesen Menschen mit anderen, mit neuen Augen, mit den Augen der Sympathie nämlich oder mit den Augen der Liebe. Vielleicht erinnern Sie sich an Ihre erste Liebe. Da ist eigentlich alles am anderen Menschen ideal. Das Aussehen, der Gang, das Sprechen, das Lachen, alles ist hell und leicht. Doch je länger man zusammen ist, desto mehr entdeckt man dann auch gewisse Schattenseiten, und man kann auf die Dauer die Augen nicht vor ihnen verschließen.

Und jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Ich kann zum einen mit den Augen der Gleichgültigkeit, der Berechnung oder gar der Ablehnung auf mein Gegenüber schauen. Dann sehe ich solche Unzulänglichkeiten und Fehler besonders deutlich. Und dann gewichte ich die Schwächen wenigstens ebenso stark, oft sogar stärker als das Sympathische und Helle. Die Augen der Sympathie und der Liebe dagegen sehen in erster Linie einen sympathischen und geliebten Menschen, der auch gewisse Schwächen hat. Es sind gnädige Augen. Sie lassen Fünf gerade sein und arrangieren sich mit derartigen Schwächen – jedoch nicht mit allen, denn das wäre ja Ausdruck von Gleichgültigkeit. Darauf spielt Bertolt Brecht an mit einer seiner Geschichten vom Herrn Keuner.

Sprecherin: „Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ „Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, dass er ihm ähnlich wird.“ „Wer? Der Entwurf?“ „Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“ (Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner; in ders.: Gesammelte Werke in 20 Bänden, Band 12; Frankfurt am Main 1967, 386)

Autor: Beim ersten Hören schrecke ich zurück. Na, das scheint mir ja nicht gerade ein Ausdruck von Liebe zu sein. Da wird offenbar ein Mensch nicht so angenommen wie er ist, sein Recht auf Eigenständigkeit und Selbstbestimmung wird unterlaufen. Da soll jemand anders werden als er ist, soll sich ändern und verändern. Ob er das überhaupt will? Scheitern nicht manche Beziehungen gerade daran, dass einer von beiden ganz bestimmte Vorstellungen und Erwartungen hat, die der andere nicht erfüllen kann oder will? Wieso maßt sich jemand das Recht an, derart tief ins Leben eines anderen einzugreifen?

Beim zweiten Nachdenken aber kann man den Entwurf, den Herr K. von einem geliebten Menschen macht, durchaus anders verstehen, nämlich als Ausdruck von Liebe. Ein Entwurf ist ja kein Plan, der ähnlich wie ein Bauplan so und nicht anders umgesetzt werden darf. Der geliebte Mensch muss kein Plansoll erfüllen, er würde ja dressiert und abgerichtet wie ein Haustier. Ein Entwurf ist kein fester Plan. Er ist offen für Änderungsvorschläge. Er legt nicht fest, sondern zeigt Möglichkeiten auf, Neues zu entdecken und zu wagen. Ein solcher Entwurf spielt Möglichkeiten durch und ist ein Angebot, mehr aus seinem Leben zu machen.

Man könnte auch sagen: Rosarot sieht mehr. Wenn ich liebe, entdecke ich im anderen Möglichkeiten und Potentiale, die er oder sie noch gar nicht lebt. Ich denke, dass genau in diesem Sinne Jesus Christus den Menschen begegnet ist. Das ist eine andere Haltung als jene, die gelegentlich in guter Absicht Jesus zugeschrieben wird. Meist heißt es ja: „Jesus nimmt dich an so wie du bist.“ So einseitig formuliert halte ich diesen Satz für falsch. Gewiss, Jesus hat keinen Menschen abgewiesen oder abgelehnt, er ist ihnen vielmehr nachgegangen und auf sie zugegangen. Aber wie sah das aus, wenn er Menschen angenommen, wenn er sie geliebt hat? Jedenfalls nicht so, dass er sie einfach gelassen hat wie sie waren. Vielmehr wollte Jesus etwas verändern in der Welt. Und darum hat er den Menschen den Entwurf eines besseren Lebens angeboten. „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ (Matthäus 4,12) Sagte er. Oder: „Sündige künftig nicht mehr.“ (Johannes 5,14). Und immer wieder: „Folget mir nach.“ (Matthäus 4,19). Also: Gebt eurem Leben eine neue Richtung. Prüft meinen Entwurf des guten Lebens für euch, und lasst euch darauf ein. Und all jenen, die es wagen, ihr Leben zu ändern und sich auf den Weg zu machen, denen hat Jesus versprochen: Ich unterstütze und zu stärke euch auf diesem Weg. Du, wir zwei, sagt Jesus, wir zwei schaffen das schon.

Musik 2: Track 1 Komm, Jesu, komm, motet for chorus & continuo, BWV 225, von CD Johann Sebastian Bach - Motetten, BWV 225-229, Interpreten: Kammerchor Stuttgart, Komponist: Johann Sebastian Bach; Barockorchester Stuttgart, Frieder Bernius; Label: Sony Classical ?– SK 45 859, Series: Vivarte, 1990, LC 06868.

1. Komm, Jesu, komm, mein Leib ist müde.

Die Kraft verschwind't je mehr und mehr.,

Autor: Wir zwei. Bei diesen Worten höre ich die Stimme von Martin. Als junger Mann machte er in Bethel ein Praktikum in einem Haus für schwerbehinderte Menschen. Einer der Bewohner hieß Hartmut, er war neunzehn und wog über hundert Kilo. Auf Grund seiner Behinderungen waren alle seine Bewegungen langsam und schleppend. Martin begleitete Hartmut den ganzen Tag über, half ihm beim Aufstehen, Waschen oder Essen. Und immer wieder versuchte er, mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber Hartmut blieb verschlossen. So beschränkte der Praktikant sich schließlich darauf, seine Hilfeleistungen mit den aufmunternden Worten zu begleiten: „Du, Hartmut, wir zwei.“ Es dauerte lange, bis Hartmut auf diese Worte reagierte, bis er ihre gute Botschaft verstand: Du Hartmut, wir zwei, wir gehören zusammen, und wir halten zusammen. Und dann geschah Wunderbares. Hartmuts Bewegungen wurden nach und nach sicherer und selbständiger; er lernte Dinge zu tun, die er vorher alleine nicht geschafft hatte. Und eines Tages fasste Hartmut den Arm seines Begleiters und brachte ebenfalls die Worte hervor: „Du, wir zwei.“ Durch Tat und Wort ermutigt, öffnete sich dem Verschlossenen eine Tür. Und in das Leben eines schwerfälligen Menschen zogen Erleichterung und etwas Leichtigkeit ein. – Du, wir zwei.

Musik 3 = Musik 2 „Komm, komm ich will mich dir ergeben

Komm, komm, ich will mich dir ergeben.

Autor: Was bedeutet es, wenn ich von anderen angenommen, geachtet oder geliebt werde? Es ist ein Fundament für mein Leben, eine Grundbedingung für ein lebenswertes Leben. Ohne Anerkennung von anderen, ohne Achtung, Zuwendung und Liebe möchte man auf Dauer wohl kaum leben.

Jesus ging auf Menschen ein, hörte ihnen zu, sprach sie an, brachte Stumme zum Reden. Er ermutigte Menschen, Gott zu vertrauen und sich selber mehr zuzutrauen: nämlich Versöhnung zu wagen, Schritte des Friedens zu gehen, Gerechtigkeit anzustreben. Alles das hat er selber ja vorgelebt. Er war und ist Gottes Entwurf des Menschen, wie er ihn sich vorstellt. In Jesus zeigt sich Gottes Menschenfreundlichkeit. Wenn Menschen das für sich annehmen können, also wenn sie glauben, dann werden sie hineingezogen in diesen Strom der Menschenfreundlichkeit und werden Teil von ihm. Dann eröffnen sie ihrerseits anderen gute und manchmal neue Lebensmöglichkeiten.

Eine kleine Ahnung habe ich davon in den letzten Monaten bekommen. Seitdem singe ich nämlich in unserer Stadtkantorei mit. In meiner Schulzeit, vor fast fünfzig Jahren, war ich zuletzt in einem Chor. Da ich aus der Übung war, mussten in der Kantorei meine Mitsänger im Bass und nicht zuletzt unser Chorleiter manchen Misston oder verfehlten Einsatz ertragen. Mit der Zeit aber wurde ich sicherer. Ich habe mich von den Vorgaben, also vom Entwurf des Chorleiters überzeugen lassen, habe auf die anderen Stimmen gehört und mich in sie eingefügt. Weil der Dirigent den Chor immer wieder für Gelungenes lobt, nehmen wir dann seine kritischen Anmerkungen gerne auf. Er ermutigt uns und traut uns etwas zu – sodass wir weiterkommen, uns verbessern und so seiner Vorstellung, seinem Entwurf von einer gelungenen Aufführung immer näher kommen.

Im Glauben ist das ähnlich. Wenn ich glaube, dass Christus mich annimmt, dann versuche ich meinerseits, andere in ähnlicher Weise anzunehmen. Wie schön ist es, wenn sich die Mühen endlich lohnen. Wenn schließlich etwas gelingt. Wenn andere durch uns bestärkt, getröstet oder ermutigt werden. Oder wenn ein Chorsatz wohlklingend ertönt und wenn sich alle darüber freuen können, die die singen und die, die lauschen – und das alles, wie es in der Jahreslosung heißt, „zu Gottes Lob“.

Musik 4 = Musik 5 Track 5 Singet dem Herrn ein neues Lied, motet for chorus & continuo, BWV 225, von CD Johann Sebastian Bach - Motetten, BWV 225-229, Interpreten: Kammerchor Stuttgart, Komponist: Johann Sebastian Bach; Barockorchester Stuttgart, Frieder Bernius; Label: Sony Classical ?– SK 45 859, Series: Vivarte, 1990, LC 06868.

Autor: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Damit wünsche ich Ihnen ein gutes Neues Jahr, in dem Sie sich angenommen wissen und anderen das Gefühl geben, angenommen zu sein. – Ihr Werner Max Ruschke von der evangelischen Kirche in Soest.

Musik 5 = Musik 4

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