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Kirche in WDR 5 | 23.12.2014 | 06:55 Uhr
Mit Maria am Küchentisch
Das hatte sie nicht zu träumen gewagt. Ein fester Job. Elf bis siebzehn Uhr - so lange steht sie Tag für Tag mit ihrem Verlobten auf dem Wittener Weihnachtsmarkt. Vor ihrem kleinen Holzhaus ein paar niedrige Bänke. Darauf sitzen am Nachmittag die Kinder und warten auf Geschichten. Jeden Tag kommt jemand anderes und liest ihnen vor.
Maria findet ihren Job hier auf dem Weihnachtsmarkt toll. Sie ist Saisonarbeiterin. Allerdings hatte man sie gleich am Anfang gewarnt. „Lass dich mal bei der Zuwanderungsstelle der Diakonie beraten. Wer weiß, ob du hier überhaupt arbeiten darfst. Schließlich bist du aus Nazareth und erst fünfzehn.“ Gesagt getan. Maria ging hin. Und fragte der Beraterin Löcher in den Bauch. Erfuhr viel über Fluchtursachen, Asylgründe und Einwanderungsbedingungen. Ziemlich komplizierte Angelegenheit.
Maria hörte auch von Hilfsmöglichkeiten für minderjährige Flüchtlinge, die ohne Eltern nach Deutschland kommen. Die Beraterin fragte sie nach ihrem dicken Bauch. Da hat Maria lieber nicht geantwortet. Ausländerin, minderjährig und schwanger. Wer weiß, was die mit ihr gemacht hätten. Vielleicht noch ihren Verlobten zur Rede gestellt...
Maria ist zufrieden. Viele bleiben bewundernd an ihrem Weihnachtsmarkt-Stand stehen. Die Kinder kommen in Scharen und viele Erwachsene mit ihnen. Denn das Holzhaus, in dem Maria und ihr Verlobter arbeiten, ist mit Heu und Stroh gefüllt. Ein Stall. In der Mitte eine Krippe, in der das Kind liegen kann. Links und rechts davon Maria und Josef als stolze Eltern.
Heute geht der Weihnachtsmarkt zu Ende. Zeit, Abschied zu nehmen. Von den Schaustellern und den Weihnachtsmarktbesuchern. Maria zieht ihren königsblauen Umhang noch ein bisschen fester zu. Abschied lässt sie immer frösteln. Was sie mitnimmt – leuchtende Kinderaugen, den Duft von gebrannten Mandeln und Bratwurst. Kerzenschein und das Geläut der Kirchenglocken von der Johanniskirche am Markt. Abschied auch von dem evangelischen Pfarrer, der ihr eine unvergessliche Zeit ermöglicht hat und ein Weiterleben im world wide web.
Der Pfarrer hatte für Maria Nazareth eine eigene Facebookseite (1) angelegt und darauf angedeutet, dass sie eine kostengünstige Unterkunft sucht. Schon in kurzer Zeit hatte Maria hunderte Facebookfreundinnen und -freunde. Manche Freunde haben Maria spontan eingeladen. Und sie hat die Freunde nach Feierabend gerne besucht: an ihren Arbeitsstellen oder zu Hause – nicht nur in Witten. So war sie zu Gast in einem Hutsalon und im Fitnessstudio. Sie saß mit am Kamin, schlief auf dem Sofa, hatte Spaß mit Konfirmanden und Kindergartenkindern, sang mit in Gospelchören und erlebte ein echtes Thanks-Giving-Dinner.
Die Freunde stellten Fotos von Marias Besuchen in das soziale Netzwerk ein und so konnten alle im Internet daran teilhaben. Sogar Fernsehsender wurden auf sie aufmerksam und berichteten über sie und ihre Freunde.
Maria und ihr Verlobter Josef, sie sind Schaufensterpuppen. Lebensgroße Krippenfiguren. Viele wollen mit dieser lebensgroßen Maria zusammen sein. Wenn die Figur ins Haus kommt, wird es durch sie verwandelt. Sitzt Maria mit am Tisch beim Abendbrot und Frühstück ändern sich die Gesprächsthemen. Man denkt darüber nach: Was kann ich tun für unbegleitete Flüchtlingskinder? Wie kann ich minderjährige Mütter unterstützen? Warum gibt es nicht mehr bezahlbaren Wohnraum für alle? Ob Maria unsern Chor genauso gut findet wie den Engelgesang?
Lieber Hörer, liebe Hörerin, genau das ist der Sinn von Weihnachtskrippen. Die Anwesenheit von Maria, Josef und dem Kind, den Hirten, Engeln und Königen heiligt unsere Alltagsräume. Im besten Fall kommen wir mit ihnen ins Gespräch. Besuchen Sie doch eine Krippe, basteln Sie eine oder stellen Ihre alte auf. Betrachten Sie jede Figur – mit welcher möchten Sie ins Gespräch kommen? Was sagt sie Ihnen? Erzählen Sie davon. Gute Gespräche wünscht Ihnen, Pfarrerin Petra Schulze aus Düsseldorf.
(1)https://www.facebook.com/maria.ausnazareth