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Das Geistliche Wort | 15.02.2015 | 08:40 Uhr

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Lass los gib frei

Autor: Sind Sie in diesen Tagen „medden im Jewööhl“ und feiern Karneval? Oder gehören Sie eher zu den Karnevalsflüchtlingen? Wie es auch sei: Kommen Sie fröhlich und lebendig durch die nächsten Tage. Und genauso durch die Fastenzeit, die mit Aschermittwoch beginnt. Da ist dann doch nicht „alles vorbei“, sondern es fängt eine Menge Spannendes an. Denn Fasten – das hat viel mit Freiwerden zu tun. Mit Aufatmen. Und mit Loslassen. Guten Morgen, liebe Hörerin, lieber Hörer! Mein Name ist Joachim Römelt, ich bin Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Solingen–Dorp.

Musik 1

Autor: Fastenzeit – das klingt irgendwie nach religiöser Pflicht, Verzicht, nach kargen Wochen, nach Hagebuttentee statt Rotwein. Sieben Wochen ohne Süßigkeiten oder Fleisch, Fernsehen oder Facebook. Gott sei Dank sind es nur ein paar Wochen, denke ich. Und am Ostersonntag ist alles vorbei. Doch dann lese ich beim Propheten Jesaja Fastentipps, die mir Lust aufs Fasten machen. Da ist plötzlich keine Rede mehr von Kargheit und hartem Verzicht.

Sprecher: „Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem … ein Mensch seinen Kopf hängen lässt … und in Sack und Asche … (geht, spricht der HERR)? Wollt ihr das ein Fasten nennen, … (das mir gefällt)?

Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten. … Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ (Jesaja 58,5-11 in Auszügen, Luther 1984)

Autor: „Lass los! Gib frei!“ Darum geht es beim Fasten, so wie die Bibel es versteht. Hier geht es nicht um den Verzicht auf Liebgewordenes und schon gar nicht um Zwang. Hier geht es darum, neu lebendig zu werden und frei zu atmen. Indem man die Hände öffnet und loslässt. Aufhört, zu klammern und festzuhalten.

Musik 2

Autor: Der erste Fastentipp des Jesaja: „Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast!“ Das Joch auf dem Nacken, das kann vieles sein. Das können Erwartungen sein, die ich an jemanden richte – und die er niemals erfüllen kann. Und wenn er sie nicht erfüllt, bin ich tief enttäuscht und lasse ihn das spüren. Das kann eine alte Schuld sein, die ich einem anderen nicht vergebe. Und er bleibt auf diese Weise gefesselt in seinen Schuldgefühlen und in dieser alten Geschichte. Und ich selber auch. Oder: Ich kann Menschen mit Vorwürfen und Vorhaltungen ein Joch auf den Nacken legen. Ein beliebtes Spiel zwischen Eltern und Kindern:

Sprecherin: Zweiter Weihnachtsfeiertag. Kathrin fährt vom Besuch bei ihren Eltern nach Hause. Wie fast immer ist sie nach der Begegnung mit ihren Eltern tief bedrückt. Anfangs lief es ganz gut. Man schmückte den Baum, bereitete das Abendessen vor, feierte Heiligabend. Alles ganz nett und entspannt. Aber am nächsten Abend dann dieselbe Geschichte wie immer. Kathrin gerät mit ihrer Mutter in Streit. Und irgendwann hält ihr die Mutter zornig vor: „Kind, weißt Du eigentlich, was Du uns gekostet hast? Was wir Dir alles gegeben haben? Was wir alles geopfert haben, damit Du alles hast? Wie erschöpft und fertig ich oft gewesen bin, weil ich mich um Dich gekümmert habe? Wir haben für Dich auf so viel verzichtet. Und Du kommst und führst Dich hier so auf! Ein kleines bisschen Dankbarkeit wird man ja wohl erwarten können.“ Wie oft hat Kathrin das schon zu hören bekommen. Und wie immer fühlt sie sich einfach nur klein und hilflos zornig. Und schuldig. Ein Kostenfaktor – das vor allem ist sie also. Eine Investition – und, wenn´s nach ihrer Mutter geht, offenbar keine besonders gelungene. Das Schlimme ist: Sie selbst sieht das mittlerweile genauso.

Autor: Eltern, die ihrem Kind vorwurfsvoll vorrechnen, was es gekostet hat, es großzuziehen. Eine enorme Last kann das sein. Oder andersrum: Kinder, die ihren Eltern vorrechnen, was sie alles in der Erziehung versäumt oder falsch gemacht haben. Was für eine Last!

Sogar Liebe kann zum Joch werden, wenn sie Besitz ergreifend ist und dem anderen keine Luft zum Atmen lässt. Es gibt so viele Weisen, wie wir einander binden und fesseln können. Und all das macht unfrei, unglücklich und krank. Wie heilsam, wie befreiend, wie erlösend wäre es, wenn Kathrins Mutter ihre alten Rechnungen loslassen könnte. Wenn sie ihrer Tochter signalisieren könnte: „Auch wenn ich mich manchmal ärgere: Für mich bist Du viel mehr als eine Investition! Lass uns aufhören zu rechnen! Atme auf – und lebe Dein Leben!“ Wie befreiend wäre es, wenn wir dieser großen Einladung folgen würden: „Lass los. Gib frei! Befrei die anderen von Deinen Vorwürfen und Deinen Ansprüchen! Du wirst selber frei dadurch. Du wirst glücklicher sein, wenn Du nicht klammerst, sondern loslässt. Ich weiß, das fällt dir nicht leicht. Versuchs. Fang an. Ich bin bei dir! Ich mache es hell auf diesem Weg. Du wirst gesund dadurch. Und es geht. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung!“ Sagt Gott.

Musik 3

Autor: Lass los – gib frei. Dieser Fastentipp von Jesaja hat noch eine andere Ebene als die persönliche. Der Prophet sagt: „Siehe, an dem Tag da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.“ Nun sind nicht alle unter uns selbst Chefs oder Chefinnen. Trotzdem stecken wir alle in Zusammenhängen, in denen genau das geschieht: Da werden Menschen bedrückt und ausgepresst Und ich kann ihre Produkte dann für wenig Geld kaufen: die Sportschuhe aus Pakistan, das T-Shirt aus Bangladesh, das Spielzeug aus einer chinesischen Fabrik, in der Menschen sieben Tage die Woche bis zu 14 Stunden schuften und am Ende mit umgerechnet zwei Euro fünfzig nach Hause gehen. Da ist die Mine im Kongo, in der Menschen unter schlimmsten Bedingungen seltene Erden fördern. Oder die ausländischen Arbeiter in Katar für die Fußball-WM. Ohne Rechte und völlig abhängig von der Gunst ihrer Arbeitgeber. Und die Gewinner sind wir. Sie und ich. Wir profitieren von diesen Verhältnissen durch die geringen Preise, die wir zahlen. „Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast!“ Wir wollen ihre Armut auf keinen Fall. Und sind doch als Käuferinnen und Käufer daran beteiligt.

Ein Fasten, das Gott gefällt - das ist ein immer neues Bemühen um fairen Handel. Sich die Mühe machen, zu schauen: Wo bekomme ich T-Shirts, die unter menschlicheren Bedingungen produziert werden? Das gibt es. Manchmal höre ich mich selber sagen: Das macht doch so viel Arbeit, sich da schlau zu machen.

Aber dann überlege ich: Wie viel Zeit verwende ich darauf, herauszufinden, wo es das Günstigste gibt? Die günstigsten Flüge, die günstigsten Flachbildschirme, die günstigsten Handytarife? Was, wenn ich diese Zeit nutzen würde, um nach fair gehandelten Produkten zu schauen? Quasi innerlich von „günstig.de“ auf „fair.de“ umschalte?

Musik 4

Autor: Ich habe vor kurzem das Buch „Zehn Milliarden“ von Stephen Emmott (1) gelesen. Er ist Hochschullehrer und Leiter eines Microsoft-Labors für computergestützte Naturwissenschaften. In diesem Buch geht es um die Frage: Was geschieht, wenn in der Mitte dieses Jahrhunderts auf unserer Erde 10 Milliarden Menschen leben? Die Antwort ist ausgesprochen bedrückend. Ich habe aber nach diesem Buch gedacht: Stephen Emmott ist ein Unheilsprophet unserer Zeit. Mit seinen bloßen Fakten. Er mahnt:

Sprecher: „Wir müssen unseren Konsum reduzieren. Drastisch. Und wir müssen viel sparsamer mit unseren Ressourcen umgehen. Viel sparsamer.“ (2)

Autor: Doch dazu – so Stephen Emmott - fehlt überall die Bereitschaft. In der Bevölkerung genauso wie in der Politik. Und sein Buch endet mit diesen Sätzen:

Sprecher: „Ich habe einem der nüchternsten und klügsten Forscher … aus meinem Labor … die folgende Frage gestellt: Wenn er angesichts d(ies)er Situation … nur eine einzige Sache tun könnte, was wäre das? (…) Wissen Sie, was er geantwortet hat? `Ich würde meinem Sohn beibringen, wie man mit einem Gewehr umgeht.´“ (3)

Autor: Und genau das passiert bereits. Auf Klimakonferenzen tauchen immer häufiger führende Militärs auf. In Lampedusa proben wir schon heute, uns abzuschotten. Gegen die so genannten Klimaflüchtlinge - Menschen, die kommen, weil sie nicht wissen, wie sie in ihrer Heimat leben und überleben sollen.

Ist das unsere Zukunft? Unseren Kindern zu zeigen, wie man sich abschottet und verteidigt gegen hungernde Menschen? Ich kann und will nicht glauben, dass das die einzige Möglichkeit ist. Und ich höre die Worte des Propheten Jesaja noch mal neu:

Sprecher: „Lasst nicht zu, dass es dazu kommt! Ruft ein Fasten aus, ein Fasten der ganz neuen Art! Schottet Euch nicht ab, sondern teilt! Schaut, was Ihr wirklich braucht – es ist materiell gesehen viel weniger als Ihr denkt! Ihr braucht keine Erdbeeren aus Marokko und kein stilles Wasser aus Südfrankreich, das erst mal tausend Kilometer gefahren werden muss! Ihr braucht nicht alle drei Jahre ein neues Auto und alle zwei ein neues Handy! Lasst los, lasst frei, und Ihr werdet sehen: Ihr werdet weder verarmen noch vertrocknen. Sondern im Gegenteil: Die Sonne wird ganz neu aufgehen in eurem Leben und neue, frische Quellen fangen an in euch zu sprudeln.“

Musik 5

Autor: Ich weiß, jetzt werden viele sagen: Wenn ich dieses Fasten beginne, was bringt das schon? Wenn weltweit Milliarden von Menschen nicht mitziehen? Aber: Glauben bedeutet: Leben, als ob es ginge! Dinge zu tun, einfach weil sie richtig sind und nicht, weil sie sicher funktionieren. Fangen wir an, zu fasten, als ob es was bringen würde:

Sprecherin: Vor einer Weile war im Fernsehen ein Bericht über junge Leute, die auf dem Dach eines Hochhauses Fische gezüchtet und Gemüse gezogen haben. Sie haben mit dem Abwasser aus den Aquarien ihre Dachgärten gedüngt. Und das Wasser durch die Erde auf ihren Dächern wieder brauchbar gefiltert. Sie haben gesagt: Wenn das Land für den Anbau von Nahrungsmitteln immer knapper wird, dann müssen wir eben die Städte selber nutzen. Die Flachdächer zu Feldern machen.

Autor: Solchen Menschen will ich zusehen und Mut aus dem ziehen, was sie machen! Gott hat uns zugesagt: Wenn du dein Verhalten änderst, wenn du deine Gier loslässt, wenn du richtig fastest: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte … und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“

Mir machen diese ungewöhnlichen Fastentipps Mut. Hier mache ich gerne mit. Einen erfüllten Sonntag wünscht Ihnen, Ihr Joachim Römelt von der Evangelischen Kirchengemeinde Solingen–Dorp!

Musik 6

Anmerkungen:

(1)Stephen Emmott: Zehn Milliarden, übersetzt von Anke Burger, Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 3 (9. September 2013), gebundene Ausgabe. ISBN-10: 3518423851-

(2)= (1) S. 175.

(3)= (1) S. 203f.

Musik:

1 Andy McKee (Interpret und Komponist): I´ll Be Over You, Track 2 von CD The Gates Of Gnomeria, Candy Rat Records 2007. EAN: B001SET0EO – The Gates Of Gnomeria.

2 = Musik 1

3 Andy McKee (Interpret und Komponist): All Laid Back and Stuff, Track 6 von CD The Gates Of Gnomeria, Candy Rat Records 2007. EAN s.o..

4 = Musik 1

5 = Musik 1

6 = Djalamichto Quartet (Interpreten und Komp.): If You Call My Name, Track 1 von CD Djalaswing, 2011. EAN: B006HMBQIU – Djalaswing.

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