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Das Geistliche Wort | 22.03.2015 | 08:40 Uhr

Reingefunkt!

Guten Morgen!

Fast genau ein Jahr ist es her, da starb Pfarrer Braun, alias Ottfried Fischer, den Serientod. Bei einer Messe in Rom – wie konnte es anders sein! Seitdem wartet die Fernsehnation auf einen neuen TV-Pfarrer. Es ist doch ein Phänomen: Ob „Don Camillo“, Günter Strack als Pfarrer „Adam Kempfert“, Klaus Wennemann in „Schwarz greift ein“, oder eben Pfarrer Braun: Priester als Serienhelden waren schon immer beliebt im Fernsehen und sind es weiter noch. Und sie haben das Bild über Priester geprägt. Ich weiß nicht, ob Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, einen Priester persönlich kennen, oder doch eher aus dem Fernsehen oder aus der Tagespresse. Selbst wenn Sie keinen Kontakt zur Kirche haben, dann werden Sie vielleicht dennoch den Eindruck teilen, dass Priester oft für etwas anderes gehalten werden. Ihr Beruf wird anders wahrgenommen, als z.B. der eines Bäckers oder eines Informatikers. Und daher sind Priester vielleicht auch fürs Fernsehen so interessant. Aber was macht diesen Nimbus aus? Liegt es daran, dass beim Priester immer ein Wörtchen mitschwingt: Berufung – und alles was man damit verbindet?

Ich möchte mit Ihnen diesem Gedanken nachgehen. Denn auch ich bin Priester, in Aachen, und bin dort sogar seit kurzem für die sogenannte „Berufungspastoral“ zuständig.

Und ich will es gleich vorweg sagen:

Es gab keinen Ruf, keine göttliche Vision, keine Erscheinung und keine direkte Gottesbegegnung. Und ich bin trotzdem Priester geworden. Es gab keine Einflüsterung, dass ich Priester werden soll. Es gab nur Priester, die mich in ihrem Leben beeindruckt haben. Besonders wichtig war einer. Mein Heimatpfarrer. Nicht nur, weil er sich Zeit für uns als Jugendliche nahm. Mich hat vor allem sein Umgang mit Menschen berührt. Ein Gottesdienst kommt mir besonders in Erinnerung, der auch mein Leben als Priester verändert hat. Bei einem Gottesdienst mit vielen älteren und kranken Menschen war es ihm wichtig sich für jeden Einzelnen Zeit zu nehmen. Und er tat es, indem er sich vor jedem Mitfeiernden hinkniete und deren Hände in seine nahm. Auch wenn ich nicht Teil dieser Berührung war, so hat mich das berührt. Die Nähe zwischen ihm und seinem Gegenüber war so intensiv im Raum zu spüren, dass ich Teil dieser existenziellen Berührung war. In diesem Moment konnte ich sehen, dass der Schmerz und die Last des älteren und kranken Menschen verflogen war und es zählte nur noch die Berührung und das Sehen und Gesehen werden – von Auge zu Auge.

Musik 1

Jahre später, nachdem ich nun auch Priester bin, durfte ich einen solchen Moment der existentiellen Berührung auch erleben. Es war eine Nacht, in der ich den Notruf für die Krankenhäuser bei uns in Aachen hatte. Mein Handy riss mich aus meinem Schlaf – ein Mann lag im Sterben und ich wurde in eines der Krankenhäuser gerufen. Dort informierte mich die Stationsärztin über die Situation. Die Familie war am Bett versammelt – seine Frau, die Tochter mit ihrem Mann und die Enkelkinder. Das ganze Zimmer lag in Stille. Niemand bewegte sich, nur die Frau des Sterbenden reagierte, als ich das Zimmer betrat. Sie bat mich neben das Bett zu treten und ich nahm die Hand des Sterbenden in meine. Sein Atem war unruhig und schwer. Die Familie versuchte das Schluchzen zu unterdrücken. Die Enkel waren noch jung und blickten hilflos und geschockt auf den Opa. Ich begrüßte den Sterbenden mit seinem Namen und stellte mich vor. Seine Hand lag warm in meiner Hand und er drückte sie leicht. Keiner sagte sonst etwas. Irgendwann öffnete ich meine Tasche und wir feierten die Krankensalbung. Mit dem Öl zeichnete ich ein Kreuz auf seine Stirn und seine Handinnenflächen. Die Haut der Stirn war rau und trocken, aber die Hände waren sanft und warm. Die Frau des Sterbenden war auf die andere Seite des Bettes getreten und betete leise das Vaterunser, dabei schloss der Sterbende seine Augen. Danach wurde es wieder still. Und ganz langsam wurde sein Atem ruhiger, flacher, stiller. Ich weiß nicht, wie lange wir so dort saßen und standen. Aber irgendwann entspannte sich seine Hand und er atmete nicht mehr.

Schnell bin ich jetzt in abgehobenen Gedanken. Man sagt ja so: Er durfte in Frieden gehen! Vielleicht ist es sogar so. Für mich war dieses Berühren und Berührt werden wichtig. Die Erinnerung an diese Nacht geht mir immer noch unter die Haut und hat mich bis heute geprägt. Ich erinnere mich an die Wärme seiner Haut, den langsamer werdenden Atem. Die Nähe der Menschen im Raum.

Musik 2

Berührungen haben sich seit dieser Nacht im Aachener Krankenhaus verändert. Mein Priestersein hat sich in dieser Nacht verändert. Jeder persönliche Segen, jedes in den Arm nehmen, wenn jemand weint. Alle diese Momente haben für mich das Bild dieser einen Nacht behalten. Warum es mir und anderen Menschen so wichtig ist berührt zu werden und zu berühren, das ist für mich ein Geheimnis. Vielleicht weil Berührungen trösten, weil sie Nähe schenken, weil sie mich festhalten, weil da jemand bei mir ist. Seit dieser Nacht sind für mich viele Geschichten aus der Bibel lebendiger, gerade wenn es um die Berührung von Menschen durch Jesus geht.

Ich kann es wirklich nicht rational erklären und kann darüber nur Stammeln. Im Berühren steckt für mich aber ein tiefes Geheimnis.

Zu einem Antwortversuch auf dieses Geheimnis wurde ich dann gerufen, als ich vor einem halben Jahr beim Personalchef meines Bistum Aachen eine neue Stelle angeboten bekam. Seitdem bin ich für die Berufungspastoral verantwortlich. Eigentlich die Stelle im Bistum, die für den Nachwuchs von Priestern, Diakonen und anderen Berufe und Dienste in der Kirche verantwortlich ist. Die Rekrutierungszentrale sozusagen. Aber so verstehe ich „Berufung“ nicht.

Es geht um die Entdeckung einer Lebensaufgabe. Das kann ich hier so einfach sagen, aber mir hat diese Definition lange Zeit nicht geholfen. Erst eine Kollegin gab mir vor kurzer Zeit einen Satz mit auf den Weg, den ich für mich persönlich, aber auch in meiner Arbeit gut als Schablone verwenden kann:

Sprecher:

"Ich bin berufen, zu sein und zu tun, wozu kein anderer Mensch auf dieser Erde berufen ist."

Das sagte Kardinal John Henry Newman vor mehr als 100 Jahren. Und es trifft! Es trifft mich im Herz und es trifft mein Leben. Denn so wie mein Leben ist, so ist das niemand anderes. Und zu meinem Leben gehört das Priestersein – das weiß ich mittlerweile. Heute kann ich diesen Satz mit der Begegnung am Krankenbett verbinden. Meine Berufung hat etwas mit dem Vertrauen zu tun, dass Menschen in ihrem Leben berührt werden wollen.

Musik 3

Berufung? Das ist doch nur was für Pfarrer oder Ordensleute! – so reagieren viele Menschen, denen ich in meiner Aufgabe begegne. Und ja, in meinem Beruf als Verantwortlicher für die Berufungspastoral im Bistum Aachen, da begegnen mir vor allem Menschen, die den Wunsch haben Priester zu werden. Darüber freue ich mich, aber das ist nicht das einzige Soll meiner Arbeit. Wenn ich dem Satz von Kardinal Newman folge, dass jeder an einen bestimmten Platz im Leben berufen ist, dann steckt da mehr drin. Dann steckt dort drin, dass jeder Mensch, egal ob Christ oder nicht, egal ob Priester oder nicht, egal ob Mann oder Frau zu etwas in seinem Leben berufen ist. Berufen zu einer Aufgabe, die nur diesem Menschen zukommt. Das ist eine Weite, die häufig nicht mehr gehört wird, wenn das Wort „Berufung“ fällt. Schnell ist die Berufung Priester- oder Ordenssache. In Newmans Gedanken haben Menschen aber auch nicht nur eine Berufung zu einem Job, dann beginnt Berufung schon bei meinem Leben. In meiner Familie, in meinem Freundeskreis, in meinen Beziehungen. Dann beginnt Berufung damit, dass ich mein Leben habe und es leben darf. Dann beginnen wir ganz am Anfang.

Alles, was unsere Eltern uns mitgeben, die ersten Einflüsse von außen, unser erstes Spüren und Empfinden was Leben sein kann:. All das macht schon von Anfang an unsere Berufung aus. Und darin bin ich einmalig.

Jesus ist da etwas radikaler. Er spricht von „Nachfolge“, wenn es um Berufung geht. Er sieht sein Leben im Dienst an den Menschen, damit sie heil werden, wie es in der Bibel heißt.

Sprecher:

„Damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 10,10).

Jesus möchte den Menschen zeigen, dass jeder Mensch mit der Tradition des Judentums zu seiner Lebenserfüllung gelangen kann. Deswegen legt er die Lebensregeln des Judentums neu aus. Das höchste Gebot für die Berufung des Menschen ist ihm ein dreifaches: Du sollst Gott und den Nächsten lieben, wie Dich selbst. Behandle Menschen immer so, wie auch du behandelt und respektiert werden möchtest. Nicht mehr und nicht weniger. Jesus gibt damit einen weiten und zugleich persönlichen Berufungsbegriff. So, wie Newman sagt: Ich habe eine Aufgabe in der Welt, die allein meine Aufgabe ist. Und Jesus erweitert quasi den Satz: Ich habe eine Aufgabe in der Welt, die allein meine Aufgabe ist, die ich aber nie von Gott und allen Menschen dieser Welt trennen kann. Das ist für ihn Nachfolge.

Musik 4

Berufung als Nachfolge im Sinne Jesu sieht die individuelle Lebensaufgabe eines jeden Menschen im Kontext von Gott und den Menschen. Nie exklusiv auf Gott fixiert – aber auch nicht allein verhaftet im Raum des Menschlichen. Dies ist seine Leitlinie zu einem erfüllten Leben. Und diese Leitlinie wurde durch den Apostel Paulus noch einmal konkretisiert. In seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt er, dass jedem Menschen eine eigene Begabung gegeben ist. Er will den Korinthern die Gedanken Jesu übersetzen und erklärt: Wir unterscheiden uns nicht durch unsere Herkunft, unseren Stand und unsere Nationalität. Das alles ist nebensächlich. Wir unterscheiden uns nur durch unsere Aufgabe im Leben. Durch unsere Berufung, etwas zu tun.

Sprecher:

Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist.

Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn.

Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen.

Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt. (1 Kor 12,4-10)

Paulus sagt: Unsere Begabungen unterscheiden uns, aber sie einen uns auch. Denn wir sind in Gott, in seinem Geist miteinander verbunden. Und auch ich glaube: Gott möchte, dass wir in Freiheit zur Erkenntnis unserer Berufung kommen. Denn jede Berufung hat das Ziel, die Gemeinschaft zwischen Menschen aufzubauen. Keine lebt nur für sich selbst.

MUSIK 5

Paulus spricht die Menschen in Korinth nicht darin an, dass allein Berufe Lebensaufgaben sind. Das wäre zu kurz gedacht.

Ich versuche daher, Berufung weiter zu verstehen. Ich denke, es gibt Berufe, denen kann man nachgehen und darin das persönliche Glück finden. Aber die Berufung eines Menschen kann auch in anderen Bereichen liegen. So kann ich die Erfüllung meines Lebens in meiner Familie, in meiner Ehe, in meinem Singlesein oder in meinen Kindern finden. Ich kann aber auch die Erfüllung meines Lebens in meinem freiwilligen Engagement in einem Verein oder einer Gruppe erleben. Ein Job mag lebenswichtig sein, aber vielleicht ist er nicht erfüllend. Dann ist diese Hoffnung eine Überforderung – wie viele scheitern daran. Wenn wir Berufe so verstehen, dann führt dieser Gedanken weg vom Sinn der biblischen Berufung. Die Bibel fordert mich heraus, eine Lebensaufgabe als erfüllende Erfahrung zu suchen und anzunehmen.

Der große Baptistenprediger Martin Luther King hat es einmal sehr gut zusammengefasst, worum es bei der Lebensaufgabe geht:

Sprecher:

„Wenn Du dazu berufen bist, Straßen zu kehren, dann kehre sie wie Michelangelo Bilder malte, oder Beethoven Musik komponierte, oder Shakespeare dichtete. Kehre die Straße so gut, dass alle im Himmel und auf Erden sagen: Hier lebte ein großartiger Straßenkehrer, der seinen Job gut gemacht hat!"

Musik 6

Liebe Hörerinnen und Hörer: Ich habe versucht, mit Ihnen meine Gedanken zu teilen, worum es mir bei dem Wort „Berufung“ geht. Es ist ein Wort, das im Christentum immer wieder im Raum steht und es ist derzeit zu meiner zentralen Aufgabe im Dienst der Kirche geworden. Sie sehen: es hat nicht nur mit Priestern oder Ordensleuten zu tun. Meine Gedanken sind dazu nicht abgeschlossen – das gebe ich zu. Aber ich ahne, dass Berufung auf eine Art immer mit einer Form von Entscheidung zu tun haben wird, ja mit Beschränkung. Aber keine, die ich als bedrohend empfinde, oder einengend –vielmehr als befreiend. Es ist doch so: kein Mensch kann in seinem Leben alles haben und machen. Und wie viele verlieren sich in der Suche nach ihrem Platz im Leben. Daher sehe ich heute klarer als früher: Auf der Suche nach meiner Berufung werde ich auf eine Aufgabe beschränkt –, auf die eine lebenserfüllende Aufgabe. Und ich werde zugleich befreit, diese Aufgabe zu suchen und mich auszuprobieren. Auszuprobieren darin, was diese eine Aufgabe sein kann. Ich werde aber auch dazu befreit andere Aufgaben liegen zu lassen.

So möchte ich meine Arbeit verstehen. Wenn ich Menschen auf ihren Lebenswegen begleite, dann in der Suche und Frage, ob eine Lebensentscheidung die richtige Entscheidung ist: zur Familie, zu Kindern oder zum Alleinleben, zum freiwilligen Engagement oder zum Beruf, zur Musik, zur Kunst oder zur Mathematik. Oder wie Paulus es sagt: wes Geistes Kind jede und jeder Einzelne von uns ist. Das ist für mich eine Aufgabe christlicher Spiritualität in der heutigen Zeit!

Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Ihrem Leben die Aufgabe gefunden haben, von der Sie sagen können „ja, das ist meine Berufung“. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Menschen hatten und haben, die Sie auf diesem Weg begleiten. Ich bin überzeugt: Jeder Mensch hat seinen Platz im Leben.

Musik 7

Darin: Einen guten Weg – durch diesen Sonntag wünscht Ihnen Pfarrer Matthias Fritz aus Aachen.

Copyright Vorschaubild: Babouba wikimedia

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