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Das Geistliche Wort | 06.04.2015 | 08:40 Uhr

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„Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens“

„Gefangener Bonhoeffer, fertigmachen und mitkommen!“ - mit diesen Worten betreten zwei Zivilisten in der Schule in Schönberg im Bayrischen Wald den Raum, in dem kurz zuvor Pastor Dietrich Bonhoeffer seinen Mitgefangenen eine Morgenandacht gehalten hat. Es ist der Sonntagvormittag des 8. April 1945, eine Woche nach Ostern. Der Bibeltext dieses Tages spricht von der Auferstehungshoffnung der Christen:

Sprecher: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“ (1. Petrus 1,3)

Eine Woche lang dauerte die Odyssee auf einem Lastwagen vom KZ Buchenwald nach Schönberg für Dietrich Bonhoeffer und seine Mithäftlinge. Einer dieser Häftlinge hat die wenigen Abschiedsworte von Dietrich Bonhoeffer überliefert:

Sprecher: „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.“

(Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer, S. 1037)

Man bringt ihn zum Konzentrationslager Flossenbürg, das in der Nähe liegt. Dort tritt noch am Abend ein Standgericht zusammen, das die Todesurteile spricht. Mit fünf anderen prominenten Widerstandskämpfern wird Bonhoeffer im Morgengrauen des folgenden Tags hingerichtet. Am kommenden Donnerstag jährt sich sein Todestag zum 70. Mal. Oder sollen wir sagen: Vor 70 Jahren begann Dietrich Bonhoeffers Leben neu? So würden wir wohl seiner Hoffnung, seinem Glauben und seiner Motivation zum Widerstand gegen das Nazi-Regime gerecht werden.

Guten Morgen an diesem Ostermontag. Ich grüße Sie mit dem alten Ostergruß der Christen: 'Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.' Ich heiße Rüdiger Schnurr und bin evangelischer Pastor in Hilchenbach im Siegerland.

Musik 1: CD Martin Luther, Choräle auf sechs Saiten interpretiert von Reinhard Börner (Interpret / Komponist / Arrangement), Verleih und Frieden gnädiglich. Track 9

Dietrich Bonhoeffer ist für viele ein Vorbild geworden, ein Beispiel für ein glaubwürdiges Christsein in moderner Zeit. Auch wer keine Ahnung von seiner theologischen Leistung und Bedeutung hat, kennt wenigstens die Worte von ihm, die gesprochen oder gesungen zum Allgemeingut der Kirche geworden sind: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Diese Zeilen haben eine tröstende Kraft, sie geben neuen Mut, sie können Leid tragen helfen. Man kann sich kaum vorstellen, dass sich jemand erlauben würde, sie in Zweifel zu ziehen oder sie mit Spott zu kommentieren. Aber in unserer Zeit, in der die Spötter im Namen der Meinungsfreiheit alles dürfen, wäre ich mir da nicht mehr allzu sicher.

Dietrich Bonhoeffer sah eine Welt heraufdämmern, in der die Religion keine Rolle mehr spielen würde. Und sein Gedicht über die guten Mächte um uns herum ist gerade in einer Phase entstanden, in der er sich in der Enge des Gestapo-Gefängnisses intensiv Gedanken darüber machte, wie Christus in einer ganz und gar weltlich ausgerichteten Welt überhaupt noch verkündigt werden könnte. Dietrich Bonhoeffer erkannte: Es ist eine Zeit angebrochen, in der religiös geprägtes Denken nach und nach verschwinden wird. Die Menschen können sich ohne Gott in der Welt zurechtfinden. Sie brauchen ihn im Grunde nicht mehr, um sich ihr Leben oder die Geschichte zu erklären:

Sprecher: „Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist. Die Zeit, in der man das den Menschen durch Worte – seien es theologische oder fromme Worte – sagen könnte, ist vorüber; ebenso die Zeit der Innerlichkeit und des Gewissens, und das heißt eben die Zeit der Religion überhaupt. Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können einfach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein.“ (Widerstand und Ergebung, 1970, S. 305)

Wie kann unter dieser Voraussetzung überhaupt noch der Glaube an Christus gelebt und verkündigt werden?, fragt sich Bonhoeffer. Und weiter: Wie wird das Christsein in einer religionslosen Zeit einmal aussehen? Er denkt über ein religionsloses Christentum nach.

In den Briefen aus der Haft im Gestapo-Gefängnis lässt er seinen Gedanken freien Lauf. Es sind alles noch ganz offene Fragen, die ihn beschäftigen. In einer Lebenslage, in der es für ihn persönlich Spitz auf Knopf steht, denkt Bonhoeffer nicht an sein eigenes Geschick. Für ihn ist das Wichtigste, seinem christlichen Auftrag gemäß zu leben. Aus dieser Haltung heraus hatte er für seine Kirche bereits das Äußerste gewagt: Er war einer der Verschwörer des 20. Juli, dem misslungenen Attentat auf Hitler.

Für Bonhoeffer lautete sein Auftrag, Christus im Auftrag der Kirche in aller Öffentlichkeit zu vertreten und sich zu ihm als dem Herrn der Kirche zu bekennen. Das brachte ihm das Martyrium ein. Er wurde um seines Glaubens willen ermordet, auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers.

Musik 2: CD Martin Luther, Choräle auf sechs Saiten interpretiert von Reinhard Börner (Interpret / Komponist / Arrangement), Ach Gott vom Himmel sieh darein, Track 10

Heute ist unsere Welt doch nicht so religionslos geworden, wie Bonhoeffer es vor über 70 Jahren erwartet hat. Die Religiosität ist ganz anders zu uns zurückgekommen, als es sich die allermeisten in ihren schlimmsten Befürchtungen vorgestellt haben. Brutale Terroristen leiten die Rechtfertigung für ihre tödlichen Anschläge aus religiösen Texten ab. Ich zeige ganz bewusst nicht mit einem Finger auf eine Religion, denn mir ist bewusst, dass es auch für die Christenheit ein langer Weg war, sich von der Gewalt gegen Andersdenkende loszusagen. Und ist es immer wieder neu. Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft kommt aus der inneren Kraft des Glaubens. Die Wahrheit wird sich in der geistigen Auseinandersetzung erweisen, nicht in der mit Waffen.

Bonhoeffer ist gerade dabei, sich Gedanken zu einem religionslosen Christentum in einer Welt zu machen, die von Gott nichts wissen will, da erreicht ihn eine Bitte: Sein Freund Eberhard Bethge bittet ihn, Pate für seinen Sohn zu werden. Mit Freude sagt Dietrich Bonhoeffer zu, obwohl er nicht selbst bei der Taufe dabei sein kann. Aber er schreibt einen bewegenden Brief für sein Patenkind. Darin wagt er einen Blick in die Zukunft, die auf sein Patenkind wartet:

Sprecher: Bis du groß bist, wird sich die Gestalt der Kirche sehr verändert haben... Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen – aber der Tag wird kommen –, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Sprache sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlösend, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt.

… bis dahin wird die Sache der Christen eine stille und verborgene sein; aber es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten. Möchtest Du zu ihnen gehören und möchte es einmal von dir heißen, wie es im Buch der Sprüche in der Bibel geschrieben steht*: „Der Gerechten Pfad glänzt wie das Licht, das immer leuchtet bis auf den vollen Tag.“ (Sprüche 4,18) (Widerstand und Ergebung S. 328, *Kursiver Text von mir ergänzt.)

Musik 3: CD Martin Luther, Choräle auf sechs Saiten interpretiert von Reinhard Börner (Interpret / Komponist / Arrangement), Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist. Track 13

Die Zukunft, in die Dietrich Bonhoeffer damals schaut, ist nun unsere Gegenwart. Sie sieht wohl anders aus, als er sie sich vorstellen konnte. Und ob die Gestalt der Kirche heute ihm gefallen würde - wer wollte das beurteilen. Dass sie an Einfluss bei den Menschen in unserer westlichen Welt verloren hat, ist offensichtlich. Inhalte des christlichen Glaubens werden von vielen nicht mehr verstanden. Sie können nicht glauben, oder begegnen allem Religiösen kritisch und ablehnend.

Bonhoeffers Gedanken zielten auf eine neue Sprache voll Überzeugungskraft, so wie Jesus sie gehabt hat. Er nennt sie „die Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache, die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen seines Reiches verkündigt.“

Diese Sprache kann ich mir nicht antrainieren. Sie eine Gabe Gottes. Was kann ich aber dann tun? Bonhoeffer meint: „...bis dahin wird die Sache der Christen eine stille und verborgene sein; aber es wird Menschen geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten.“

Bonhoeffer, dem das Handeln durch die Gefangenschaft ganz unmöglich gemacht worden war, vertraute darauf: In der Stille und der Verborgenheit wird den Christen die Kraft zuwachsen, für eine gottlos gewordene Welt das Gute zu tun und alle ihre Probleme vor Gott auszubreiten.

Ich glaube ihm das, ich glaube es ihm, weil er dieses Vertrauen auf Gott bis in den Tod durchgehalten hat. Noch auf dem Weg zum Galgen betete er, wie ein unverdächtiger Zeuge, der Lagerarzt von Flossenbürg, später sagte. Er bekannte, „noch nie einen Mann so gottergeben sterben“ (Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer, S. 1038) gesehen zu haben. Er kannte Dietrich Bonhoeffer nicht. Er wusste auch nicht, was er als letztes Wort zu seinen Mithäftlingen gesagt hatte: „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens!“

Wer betet, der steht nicht vor dem Ende, der steht in der Tat vor einem Neubeginn. Der Verweis auf seine besondere Charakterstärke, auf seinen außergewöhnlichen Mut oder auf seine tiefe Frömmigkeit mag Dietrich Bonhoeffer sicher gerecht werden. Aber die stille Kraft seines Glaubens, die viele so tief berührt, sie ist getragen von der Kraft der Auferstehung Jesu von den Toten. Bonhoeffer hoffte, selbst an dieser Auferstehung teilzuhaben. Hier nimmt der christliche Glaube seinen Anfang. Wenn die Auferstehung Jesu die Wirklichkeit ist, in der ich lebe, dann habe ich den Beginn des Lebens auch noch vor mir. Und als Christ gehört zu meinem Lebensstil: Beten, das Gerechte tun und auf Gottes Zeit warten. Diese Welt ist Gott nicht losgeworden. Nein, er ist mitten in ihr und hat seine Leute, die zuversichtlich in der Welt unterwegs sind.

Ich wünschte, es möge von möglichst vielen in unserem Land und auf der ganzen Welt einmal heißen: „Der Gerechten Pfad glänzt wie das Licht, das immer leuchtet bis auf den vollen Tag.“ Ihr Pfarrer Rüdiger Schnurr aus Hilchenbach.

Musik 4: CD Martin Luther, Choräle auf sechs Saiten interpretiert von Reinhard Börner (Interpret / Komponist / Arrangement), Die beste Zeit im Jahr ist mein, Track 4.

Literatur: Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, München: Chr. Kaiser-Verlag 1970

Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer, München: Chr. Kaiser-Verlag, 1970

Musik: CD Martin Luther, Choräle auf sechs Saiten interpretiert von Reinhard Börner, Cap!Music, Haiterbach-Beihingen, 2010, Best.-Nr, 5207375, EAN 4045027073756, LC 6860.

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