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Das Geistliche Wort | 03.04.2015 | 08:40 Uhr

Was ist Wahrheit?

Guten Morgen!

Was ist eigentlich Wahrheit? Zum Glück muss diese Frage nicht ständig gestellt werden. In der Regel wird darauf vertraut, dass die Gesprächspartner die Wahrheit sagen. Nach der Wahrheit wird erst dann gefragt, wenn etwas zweifelhaft ist oder wenn gelogen wird.

Was aber ist Wahrheit? Im Johannesevangelium fragt Pilatus danach. Jesus ist angeklagt, er habe behauptet, König der Juden zu sein. Pilatus will wissen, ob die Anklage korrekt ist, worauf Jesus antwortet: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt, sonst hätten meine Diener für mich gekämpft.“ Pilatus hakt nach: „Also bist du doch ein König?“ Darauf sagt Jesus: „Ja, ich bin ein König. Dazu bin ich geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Und jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“. Diese Antwort ist merkwürdig: Ein Königtum der Wahrheit. Aber was mag das sein? Und so fragt Pilatus: „Was ist Wahrheit?“

Musik I

Was ist Wahrheit? Die Frage ist sicherlich eine der schwierigsten Fragen überhaupt. Wonach suche ich, wenn ich nach der Wahrheit frage?

Der Philosoph Rüdiger Safranski sagt es so:

„Wer nach der Wahrheit fragt, will sich mit einem schwierigen Lebensgelände vertraut machen. Wenn man die Abgründe kennt, ist die Gefahr geringer, in sie hineinzustürzen. Die Wahrheitssuche ist ihrem Wesen nach eine vertrauensbildende Maßnahme. Die Erwartungen, die sich an die Wahrheit knüpfen, lassen sich auf die Formel bringen. Erst die Wahrheit wird uns freimachen.“

Kurz, wer nach der Wahrheit fragt, sucht nach verlässlicher Orientierung auf seinem Lebensweg.

Bei dieser Suche sind in der Regel die Eltern die ersten Wegweiser. Sie haben gelehrt, die Dinge zu benennen und sich zu verständigen; mehr noch, zwischen richtig und falsch sowie zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Nicht Bücher, sondern Personen sind es, an deren Sprechen und Verhalten der Mensch lernt, dem Gesagten zu trauen. Die Jugend ist dann die Zeit, das Gelernte zu kritisieren und sich eigenständig zu orientieren. Erschreckend schließlich: Die Begegnung mit Verrat und Lüge – auch in mir selbst.

Musik II

Was ist Wahrheit? Jesus hatte nicht erst vor Pilatus von der Wahrheit gesprochen, sondern zuvor schon im Kreis seiner Jünger: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich“. Was Jesus hier sagt, ist ungeheuerlich: Alle Wahrheit ist in mir. Alle Wahrheit geht von mir aus. Wer sich an mir orientiert, findet das Leben.

Wie aber lässt sich das verstehen? Lässt es sich überhaupt verstehen?

Einen ersten Zugang bildet das Alte Testament. Der Theologe Joseph Blank schreibt:

„Wahrheit bedeutet die absolute Zuverlässigkeit Gottes gegenüber dem Menschen, so dass der Mensch sich auf Gottes Wort, auf seine Verheißung unbedingt verlassen kann.“

Diese Zuverlässigkeit drückt sich aus in der Thora, der Weisung an das Volk Israel. Sie ist Wegweisung für ein Leben in Gerechtigkeit. Das heißt aber umgekehrt: In Zeiten, in denen Israel vom Weg der Thora abweicht, in denen das Unrecht gegenüber den Armen zum Himmel schreit, verliert es die Orientierung. Kein Wunder, dass die Propheten mit aller Entschiedenheit darauf drängen, sich neu an der Thora zu orientieren: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!“, so hatte der Prophet Jesaja gesagt . Es ging also darum, dieser Wahrheit zu glauben, dass die Thora der Orientierung in den Abgründen des Lebens dient. Und das Fundament dieser Wahrheit ist die unbedingte Treue Gottes.

Neben dem Alten Testament ist schließlich Jesus selbst zu befragen, als Zeuge dieser Wahrheit. Wie glaubwürdig ist Jesus selbst? Bereits bei seinem ersten öffentlichen Auftreten hatte er Aufsehen erregt. Seine Botschaft ist: Gott kommt nicht erst am Ende der Zeiten, er ist mitten unter den Menschen. Arme und Kranke, Menschen, die ihm vertrauen, erfahren jetzt schon seine göttliche Macht. An seine Hörer appelliert Jesus, nicht dem Mammon, sondern Gott zu vertrauen und barmherzig zu sein. Das ist starker Tobak: Seine Gegner wittern Gotteslästerung. Deswegen fordern sie Pilatus auf, Jesus töten zu lassen. Aber trotz des drohenden Todesurteils hält Jesus daran fest, Zeuge der Zuwendung Gottes zum Menschen zu sein.

Schließlich wird er hingerichtet und in den Augen der Welt gilt er als gescheitert. Anders stellt es sich am Ostermorgen dar. Einige Frauen und Männern erfahren: Jesus ist von den Toten auferstanden. Ihnen leuchtet ein, dass sich in der Auferweckung Jesu die Nähe und Treue Gottes zu den Menschen erwiesen hat. Jesus hat Recht behalten: Gott ist treu – durch den Tod hindurch. Er, Jesus selbst, steht jetzt für diese Wahrheit Gottes. Und die Frauen und Männer, die dieser Botschaft glauben, sie sind nun selber Zeugen dieser Wahrheit.

Musik III

Seit 2000 Jahren gibt es immer wieder Menschen, die sich am Zeugnis der ersten Christen orientieren: Dem Zeugnis von der Auferstehung Jesu als Zeichen der Treue Gottes zu den Menschen – durch den Tod hindurch. Sie sind im Tiefsten davon überzeugt, dass Jesus so der Weg zum Leben ist. Ihr Herz hat Gründe, die der Verstand nicht kennt. Dass der Funke überspringt, lässt sich nicht erzwingen. Von Gott her ist der Glaube ein Ereignis der Gnade und vom Menschen her ein Akt der freien Zustimmung.

Dabei ändert sich an den Tatsachen des Lebens nichts. Es gibt weiter Freude und Angst, Liebe und Hass, Frieden und Krieg, Geburt und Tod, Wunder an menschlicher Güte und himmelschreiendes Unrecht. Was sich ändert, ist der Blick auf die Wirklichkeit. Der Glaube „zwingt zu einer Revision eines zu engen Verständnisses der Realität.“

Zu eng ist der Blick, wenn er allein das Sichtbare gelten lässt. In Wahrheit ist die sichtbare Welt voller Hinweise auf das Geheimnis Gottes. Zu eng ist der Blick, wenn der Mensch allein auf seine Rollen als Leistungskraft festgelegt wird. In Wahrheit hat jeder Mensch das Verlangen, um seiner selbst willen geschätzt und anerkannt zu werden. Zu eng ist der Blick, dem es allein um das eigene Wohl geht. Wie kann sich jemand wohlfühlen, wenn sein Nächster leidet?

Die Wahrheit nimmt einem das eigene Denken nicht ab. Sie zielt auf den mündigen Menschen, der sich nüchtern mit der Welt und mit sich selbst auseinandersetzt. Die Wahrheit ist auch kein absolutes Wissen. Quelle der Wahrheit ist Gott allein, nur im Glauben leuchtet sie ein.

Zum Glauben gehört es auch, „Augenblicke – manchmal sogar lange Zeitabschnitte – zu durchstehen, in denen Gott verborgen bleibt“. Der lebendige Glaube ist „ein Weg des Reifens, der auch die Täler des ‚Schweigens Gottes‘ kennt“ und „geduldig weiterschreitet.“

In Jesus begegnet die Wahrheit, dass Gott treu ist. Was ist aber mit jenen, die das nicht glauben können?

Für mich stellt sich die Frage konkret in Hinblick auf den Wahrheitsanspruch des Christentums im Umgang mit anderen Religionen und Menschen, die nicht glauben, und auch mit dem eigenen Unglauben? Heute, am Karfreitag, wird in allen Kirchen an die Leidensgeschichte Jesu erinnert, in der Juden eine wichtige Rolle spielen. Im Johannesevangelium werden sie als Typen eines blinden Unglaubens dargestellt. Das Urteil des Evangelisten ist eindeutig und wiegt schwer: Wer nicht glaubt hat, keinen Zugang zum Leben. Er ist nicht im Licht, sondern in der Finsternis. Auch wenn das Evangelium Gewalt ausdrücklich ablehnt, birgt die scharfe Abgrenzung gefährlichen Sprengstoff, wie es die lange Geschichte der Feindschaft der Kirchen gegen die Juden gezeigt hat. Erst das Erschrecken über die Shoa und die langsam wachsende Einsicht der Kirchen, mitschuldig zu sein, hat zu einer Umkehr des Denkens geführt. In der Tat: Wer die Juden verachtet, greift Jesus selber an. Gott hat die Berufung Israels zu seinem Volk nie widerrufen. Die jüdische Treue zu ihren Heiligen Schriften muss als Treue zu Gott anerkannt werden. Zur Wahrheit des christlichen Glaubens gehört, das Judentum als eigenen Weg zu Gott anzuerkennen. Was dabei an unlösbaren theologischen Problemen bleibt, darf ruhig Gott überlassen werden. Seine Wahrheit ist größer als menschliches Wissen.

Musik IV

Und weiter: Wie verhält sich der Wahrheitsanspruch des Glaubens zum Unglauben? Spätestens 2011 bei dem Friedensgebet in Assisi wurde deutlich, wie sich der Blick der katholischen Kirche auf die Ungläubigen geändert hat. Papst Benedikt XVI hatte damals auch ungläubige Humanisten gebeten, ihre Friedenvision vorzutragen. Damit wurde nicht nur ihre Integrität gewürdigt, sondern auch das Gewicht ihres Denkens. Der Glaube kann in den Ungläubigen seine Geschwister erkennen und mit ihnen zusammenarbeiten im Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit. Auch das ist eine Wahrheit, die sich dann ereignet, wenn sie getan wird.

Aus Münster grüßt Sie Pfarrer Ferdinand Schumacher

*1.Joh 18,36ff.

*2. Rüdiger Safranski, Wieviel Wahrheit braucht der Mensch, Fischer TASCHENBUCH, 1993, S.193.

*3. Joh 14,6.

*4.Josef Blank, Das Evangelium nach Johannes, Teil 2, Düsseldorf 1986, S. 83.

*5.Jes 7,9.

*6. Tomas Halik, Geduld mit Gott. Freiburg 2011, S. 171.

*7.A.a.O. S.10f.

*8.A.a.O. S.60.

Copyright Vorschaubild: Licht Jesu Vinoth Chandar CCBY 2.0 flickr.jpg

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