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Das Geistliche Wort | 21.06.2015 | 08:40 Uhr

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"Warum habt ihr solche Angst? – Glauben heißt vertrauen“

Verehrte Hörerinnen und Hörer!

„Hab doch keine Angst!“ Das sagt sich so leicht. Geht das überhaupt? Angst kommt von lateinisch „angustia“, die Enge. Damit zu tun hat auch das Wort „angor“, das bedeutet „würgen“. Vertraute Bilder sind das: im Würgegriff der Angst. Da bekommt man keine Luft mehr, die Angst schnürt einem die Kehle und die Seele zu, es wird einem alles zu eng. Angst ist sehr diffus, ich komme nicht so schnell dagegen an. Denn sie lässt mich im Ungewissen über ihre Ursache, sie bleibt ein negatives Grundgefühl, das mich im Ganzen trifft; die Angst macht mich unfähig zu handeln, ja sie kann sogar krank machen.

„Fürchte dich nicht“ oder „Fürchtet euch nicht“ – dieser Appell kommt in der Bibel 366mal vor. So, als müsste man sich jeden Tag wenigstens einmal sagen lassen, dass wir keinen Grund zum Fürchten haben. Ist ein Christ vielleicht jemand, der sich vor nichts und niemandem fürchtet? „Fürchte dich nicht“ heißt es immer dann in der Bibel, wenn Gott etwas Neues macht, zum Beispiel wenn Propheten oder Engel auf den Plan treten. Oder wenn der auferstandene Jesus plötzlich vor seinen Jüngern steht.

Wenn ich mich vor etwas fürchte, dann weiß ich genau, wovor; ich kenne die Bedrohung und kann etwas dagegen tun. Furcht richtet sich gegen etwas ganz Bestimmtes, sich zu fürchten hat eine fassbare Ursache und führt zu konkretem Handeln. Angst dagegen ist diffuser.

In der Umgangssprache unterscheiden wir nicht zwischen Angst und Furcht. Aber es gibt einen Unterschied. Und den finde ich sehr wichtig.

Denn Furcht ist durchaus hilfreich, sie motiviert zum Handeln. Das Sich-Fürchten ist geradezu ein Überlebensvorteil für den Menschen. Ohne Furcht wäre die Menschheit längst ausgestorben. So hatte es schon vor Jahrtausenden durchaus Sinn, wild gewordene Säbelzahntiger zu fürchten. Und möglichst schnell zu verschwinden, wenn man einen davon zu sehen bekam. Furcht mahnt zur Vorsicht vor unbedachten Handlungen; sie kann uns davor bewahren, übermütig und waghalsig zu werden.

Furcht schützt also vor Selbstüberschätzung, sie ist ein Signal für Gefahr. Erst wenn die Bedrohung gar nicht da ist, sondern nur eingebildet; wenn sie sich in die Seele eingebrannt hat und zur Grundstimmung geworden ist, spricht man von Angst. So fürchte ich mich vor dem Sprung vom Drei-Meter-Brett, vorm Autofahren in einer fremden Stadt, aber auch vor großen Hunden. Angst habe ich da eher vor Leere Sinnlosigkeit, vor unheilbaren Krankheiten – und vor dem Sterben.

Musik I (Vorschlag: „Ich ruf zu dir“ – Bach/Mayer – Anfang)

Furcht ist etwas, worauf ich mich einstellen kann, wo ich agieren kann, womit ich lernen kann umzugehen. Angst habe ich vor allem, dem ich ohnmächtig ausgeliefert bin, was ich nicht beeinflussen kann; mit der Angst kann ich nicht mehr umgehen, denn die Angst geht mit mir um, sie treibt mich um, hat mich im Griff. Der Furcht kann ich ins Gesicht sehen, die Angst greift mich von hinten an, ich kann nur noch vor ihr davonlaufen – und entkomme ihr doch nicht.

Ganz ehrlich: Ich habe Angst vor dem Kranksein und dem Sterben, weil ich ja nicht wissen kann, wie es einmal sein wird, ja weil ich es mir als sehr mühsam und schmerzhaft vorstelle. Aber vor dem Tod habe ich keine Angst. Ich fürchte den Tod nur, weil ich ja jetzt schon weiß, dass er eines Tages kommen wird, ich kann mich also darauf einstellen, kann damit umgehen. Meine Zeit wird ja dadurch erst kostbar, dass sie begrenzt ist. Deshalb habe ich – auch als Christ – Angst vor dem Sterben, aber nicht vor dem Tod.

Musik II (Vorschlag: „Konzert in F-Dur“ – Bach/Mayer)

Eine besondere Form der Furcht ist die Ehrfurcht. Ich empfinde Ehrfurcht vor jemandem, den ich ernst nehme und der mich ernst nimmt; wir akzeptieren und respektieren einander, schätzen einander wert. Und deshalb erweisen wir einander die Ehre. Achtung und Ehrfurcht sind Grundlagen einer jeden Beziehung und Gemeinschaft. „Ich will dich lieben, achten und ehren“, sagen Brautleute bei der kirchlichen Trauung. Ehrfurcht und Achtung gehören zur Liebe dazu.

Vor Gott habe ich Ehrfurcht, aber Angst vor ihm habe ich nicht. Immer wieder begegne ich Menschen, denen es anders geht. Vor allem den Älteren hat man in ihrer Kindheit Angst eingejagt. Vor einem Gott, der geradezu unberechenbar schien. Angst machende Gottesbilder sind das: Gott als neugieriger Schnüffler, als Kapitalist und Buchhalter, der nur auszahlt, was man zu Lebzeiten bei ihm eingezahlt hat an guten Taten. Religion als Ewigkeits-Versicherung, Leben als großer Stress-Test fürs Seelenheil, Frömmigkeit als billiger Kuh-Handel mit Gott, Beten mit himmlischer Dividende. Alles in allem ein schlimmer Aberglaube. So ein Gott ist nicht nur zum Fürchten – so ein Gott macht geradezu Angst. Höllen-Angst! Diese Angst macht nicht nur Menschen krank und klein, sie macht letzten Endes auch Gott klein. Denn ein Gott, der sich nur für Kleinigkeiten interessiert, mit dem man Geschäfte machen muss, kann nicht groß sein, nicht barmherzig. Ein Gott, der mit der Angst spielt, der uns zeitlebens fürs Jenseits testet, ist ein Sadist, aber nicht der Vater Jesu Christi.

Spätere Generationen – meine auch – haben die Angst vor Gott verloren, Gott sei Dank. Die Drohbotschaft ist der Frohbotschaft gewichen, der Glaube an Jesus Christus hat ganz neu den Gott der Liebe aufscheinen lassen. Aber mit der Angst ist vielen auch die Ehrfurcht abhanden gekommen. Gott – oder wen man dafür hielt – wurde zusehends verharmlost; ein zahnloser Tiger, den man nicht mehr ernst nehmen kann. Und dem man deshalb auch keine Ehre mehr erweist, keine Achtung, keine Liebe.

Angst macht krank, Furcht jedoch kann durchaus motivieren. Ehrfurcht ist eine Haltung der Wertschätzung; wir akzeptieren einander, wir nehmen einander ernst.

Musik III (Vorschlag: „Adagio C-Dur“ – Bach/Mayer)

Wenn jemand Probleme hat, die unlösbar scheinen; wenn einer im Sterben liegt oder gerade gestorben ist, dann kriegen wir es oft mit der Angst zu tun. Ich denke dann häufig an eine Geschichte, die mir Mut macht: Die Seesturmgeschichte aus der Bibel. Sie wird am heutigen Sonntag in allen katholischen Kirchen gelesen. Jesus ist mit den Jüngern im Boot. Trotz des heftigen Sturms: Er schläft seelenruhig. Die Jünger wecken ihn, er stillt den Sturm. Und stellt dann eine wichtige Frage: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“

Die Deutung ist einfach: Jesus sitzt mit uns im Boot des Lebens. Auch wenn wir uns manchmal fragen: Wo ist er denn? Warum lässt Gott das zu? – Jesus ist da. Er ist da in den Stürmen, die wir zu bestehen haben: Schicksalsschläge, Krankheit, Tod und Trauer. Jene Zufälligkeiten also, die man nicht vorhersehen, auf die man sich nicht einstellen kann, und die einem deshalb nicht nur das Fürchten lehren, sondern geradezu Angst einjagen. Jesus aber ist die Ruhe im Sturm. Wer auf ihn vertraut, fühlt sich nicht mehr allein mit seiner Angst. Jesus beruhigt den Sturm, gibt dem Leben neuen Halt. Und dann fragt er auch uns: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“

Manche Leute meinen, Glauben sei das Gegenteil von Wissen. Man habe eben keine Beweise, und deshalb müsse man halt glauben. Man müsse glauben, was man nicht wissen könne. Sie haben einen „Dass-Glauben“: Sie glauben – oder glauben eben nicht – dass Gott existiert. So wie sie vielleicht glauben, dass morgen schönes Wetter wird. Beides ist nicht mehr als eine Vermutung. Tatsächlich gibt es für Gott keine Beweise. Es gibt gute Gründe zu glauben, Hinweise vielleicht. Aber man kann weder beweisen, dass es Gott gibt, noch kann man beweisen, dass es ihn nicht gibt. Da stehen die Chancen fifty-fifty. Deshalb ist Glauben vor allem eine Sache der Erfahrung und Entscheidung.

Von der Bibel her bedeutet Glauben etwas ganz Anderes. Kein „Dass-Glaube“, sondern ein „Du-Glaube“. Keine Mutmaßungen über die Existenz Gottes, sondern eine Beziehung zu ihm. Im Hebräischen heißt Glauben „sich festmachen in Gott“. Im Griechischen heißt es „vertrauen“. Das lateinische „Credo – ich glaube“ – kommt von „cor dare“, sein Herz geben. Und selbst das deutsche „glauben“ kommt von „geloben“, also soviel wie „ein Versprechen eingehen“, „eine Beziehung leben“, „in einem Treueverhältnis stehen“.

Wenn Glauben also Vertrauen bedeutet, dann ist Glauben das einzige, was hilft, wenn wir Angst haben – in den Stürmen des Lebens. Vertrauen hilft gegen Angst: Ich vertraue darauf, dass ich nicht allein bin; dass mich einer hält, wenn ich mein Leben nicht mehr im Griff habe; dass mich einer trägt, wenn der Boden unter den Füßen wankt. Wer an Gott glaubt, kann ihm alle Ängste überlassen, kann loslassen – auch sich selbst. Und darauf vertrauen: Er macht es gut! Auch wenn im Moment noch nichts gut ist.

„Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?“ Das ist die Frage Jesu auch an mich. Ich kann nicht immer nur auf mich selber setzen. Ich brauche jemanden, dem ich trauen, auf den ich vertrauen kann. Glauben ist für mich nicht das Gegenteil von Wissen, auch nicht von Unglauben oder Zweifel. Und schon gar nicht ein bloßes Fürwahrhalten irgendwelcher Wahrheiten. Glauben ist vielmehr das Gegenteil von Angst.

Musik IV (Vorschlag: „Kantate 12“ – Bach/Mayer)

Ein guter Freund und Kollege hatte sich die Seesturmgeschichte ganz zu Eigen gemacht. In den Stürmen des Lebens, auch in schwerer Krankheit, konnte er auf Jesus vertrauen. Immer wieder ging es in seinem Reden und Beten um diese Geschichte – als Sinnbild des Lebens. Und schließlich auch als Sinnbild des Sterbens. Auf seinem Grabstein sieht man eine Bronzetafel: Jesus sitzt mit seinen Jüngern im Boot und schläft. Es tobt ein heftiger Sturm. Und darüber, auf dem Grabstein, steht geschrieben: „Jesus, meine Zuversicht“.

Zuversicht ist etwas ganz anderes als Optimismus. Der Optimist denkt: „Ich kriege das schon hin, ich habe ja selber Kraft genug.“ Wer aber zuversichtlich ist, der weiß: „Meine Kraft kommt von woanders her. Von dieser Kraft bin ich gehalten. Und darf Vertrauen haben.“ So hilft Vertrauen, mit der Angst fertig zu werden, sie anzunehmen, besser damit umzugehen. Gottvertrauen!

Wie aber ist es mit der Furcht? Also mit der konkreten Bedrohung, auf die ich mich wirklichkeitsnah einstellen, gegen die ich etwas tun kann? Meine Erfahrung ist: Mit der Furcht kommen die meisten Menschen ganz gut klar, da sind sie optimistisch und trauen dem Verstand, den Gott ihnen gegeben hat. Was aber ihre Lebens- und Sterbensangst angeht, da versuchen sie, ganz und gar auf Gott zu vertrauen; darauf, dass er sie trägt und hält. Anders gesagt: Für meine Furcht finde ich selber eine Lösung, für meine Angst wird mir Erlösung geschenkt. Und deshalb darf ich immer zuversichtlich bleiben.

Musik V

(Vorschlag: „Kantate 12“ – Bach/Mayer; darin gesprochen):

Dieses Vertrauen, diese Zuversicht wünscht Ihnen Pfarrer Stefan Jürgens aus Stadtlohn.

Copyright Vorschaubild: Public Domain Pixabay

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