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Das Geistliche Wort | 26.04.2015 | 08:40 Uhr

„Sterben in Würde“

Guten Morgen!

Viele Menschen fürchten sich vor dem Sterben. Sie fürchten sich davor, dass sie am Lebensende unnütz und einsam sind und nicht mehr über sich selbst bestimmen können. Sie haben Angst vor Schmerzen und vor einem schwer ertragbaren Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Sie möchten in Würde sterben können. Gerade in den letzten Monaten hat es immer wieder heftige Diskussionen um das „Sterben in Würde“ und den assistierten Selbstmord oder die Beihilfe zur Selbsttötung gegeben.

Als Christ und katholischer Bischof kann ich das so nicht einfach stehen lassen, es bewegt mich persönlich zu sehr: Sterbende bedürfen doch zunächst der besonderen Fürsorge ihrer Mitmenschen. Wer alt, krank und hilflos ist, möchte nicht allein gelassen werden. Vielerorts werden Sterbende umsichtig und mitfühlend betreut, etwa in Familien oder Hospizen. Aber besonders dort, wo dies nicht geschieht, kann die Situation eintreten, dass ein Mensch nicht mehr sein Leben annehmen und aushalten möchte, dass der Tod ihm „besser“ erscheint als ein vermeintlich sinnloses Leben. Oft ist die Frage in der öffentlichen Diskussion zu hören: Hat nicht der Schwerkranke Anspruch auf einen gnädigen Tod? Hat er nicht ein Recht darauf, dass sein Leben aktiv beendet werden kann?

Ich stelle aber sehr deutlich fest: Aus Sorge um den Menschen setzen sich gerade Christen dafür ein, dass das Leben eines jeden Menschen –auch in der Nähe des Todes – bis zuletzt geschützt wird. Christen glauben daran, dass sich alles, was ist, Gott verdankt – auch wenn das nicht immer leicht anzunehmen ist. Gott hat den Menschen als sein Abbild geschaffen und ihm eine unantastbare Würde verliehen. Diese Würde gründet nicht in seiner Leistung oder in dem Nutzen, den er für andere hat. Die Würde des Menschen folgt daraus, dass Gott ihn bejaht. Und aus diesem Wissen um Gottes Zuwendung und Liebe heraus kann und darf der Mensch sogar im Leiden und Sterben auf Gottes Liebe vertrauen und deshalb seinen Tod aus Gottes Hand annehmen.

Musik I

Nach christlicher Überzeugung sind Anfang und Ende des Lebens der Verfügung des Menschen entzogen. Das bedeutet, dass der Tod nicht aktiv herbeigeführt werden darf, wohl aber zugelassen werden kann. Gottes Geschöpf zu sein, bedeutet daher nicht, dass Menschen im Hinblick auf den Tod gar nicht handeln dürfen, sondern es ist wichtig und richtig, Möglichkeiten zu ergreifen, um die letzte Phase des Lebens erträglich zu gestalten. Dazu gehört, Sterbende schmerztherapeutisch zu versorgen, ihnen bestmögliche Pflege zuteilwerden zu lassen und den Tod nicht durch eine Behandlung im Übermaß hinauszuzögern. Passive Sterbehilfe heißt für den Arzt, dass er schmerzlindernde Medikamente verabreichen darf, auch wenn er weiß, dass der Gebrauch solcher starken Medikamente die Widerstandskraft des Körpers mindert und einen früheren Tod herbeiführen kann.

Auch die seelsorgliche Begleitung ist oft von größter Bedeutung. Denn gerade im Sterben werden die Fragen nach Woher und Wohin des Lebens bewusst. Sie dürfen nicht übergangen werden. Wo es möglich ist, soll ein fürsorgender und liebender Mensch am Sterbebett sitzen und die Hand des Sterbenden halten. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als meine Mutter starb. Sie war erst 50 Jahre alt. Sie hatte kein einfaches Leben gehabt, fünf Kinder aufgezogen ohne Mann. Der war vermisst in Rumänien im Zweiten Weltkrieg. Ich hielt ihre Hand um zu signalisieren: Mutter, du bist jetzt nicht alleine. Aber das Tröstliche, was dann passierte, das war genau die umgekehrte Erfahrung: Als ich ihre Hand hielt, überkam mich große Dankbarkeit. Sie war meine – sie war unsere Mutter.

Musik II

„Sterben in Würde!“ Ich nenne einige konkrete Punkte um genau dies zu ermöglichen:

1.Das Leben ist bis zuletzt zu schützen und ein Sterben in Würde für jeden Menschen ist zu ermöglichen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In Politik und Gesellschaft wird derzeit über das Thema der Sterbehilfe heftig debattiert. Fachleute ringen um klare rechtliche Regelungen, die den Umgang mit dem Lebensende, insbesondere die Frage bei der Selbsttötung betreffen. Die katholische Kirche spricht sich nachdrücklich gegen alle aktiven Formen der Sterbehilfe und der Beihilfe zur Tötung aus.

2.Ich beobachte mit Sorge, dass in Deutschland zunehmend Organisationen aktiv sind, die Menschen ihre Unterstützung bei ihrem Wunsch nach einer vermeintlich einfachen Möglichkeit der Selbsttötung anbieten. Um zu verhindern, dass solche Angebote als normale gesellschaftliche Dienstleitung wahrgenommen werden, sollten alle organisierten Suizide unter Strafe gestellt werden.

3.Auch eine Mitwirkung des Arztes am Suizid ist nach meinem Verständnis nicht hinnehmbar. Sie widerspricht dem ärztlichen Ethos des Heilens. Der Eid des Hippokrates, der seit Jahrhunderten das ärztliche Ethos des Heilens bestimmt, sagt: „Auch werde ich niemandem tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und ich werde auch niemanden dabei beraten“. Der Präsident der Bundesärztekammer Montgomery hat wiederholt gesagt, dass aktive Sterbehilfe, d.h. Assistenz beim Suizid oder Beihilfe zur Selbsttötung, mit der ärztlichen Pflicht zum Helfen und Heilen nicht vereinbar ist. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass der Wunsch zu sterben oftmals angstgeleitet oder von depressiven Phasen begleitet ist. Wenn also Humanität geschützt werden soll und die Freiheit des Sterbens gewahrt werden soll, muss ein Schutzraum eröffnet werden, in dem umfassende palliativ-medizinische und schmerztherapeutische Behandlung, ständige fachgerechte Pflege und helfende, liebende Annahme stattfindet. Ich bin besorgt, dass die Freiheit der Entscheidung bei dementen und depressiven Menschen nicht ausreichend gewahrt ist. Ich halte die Tötung von schwerkranken Kindern, die noch nicht zu geordnetem und selbst-verantwortlichem Vernunftgebrauch gekommen sind, für verwerflich.

4.Ich bin dankbar, dass Politik und Gesellschaft mit dafür sorgen, dass Palliativmedizin und Schmerztherapie deutlich ausgebaut werden. Sie gehören in die Grundausbildung der Ärzte und des gesamten Pflegepersonals. Dankbar bin ich über die hohe Bereitschaft, ehrenamtlich und hauptberuflich in der Hospizarbeit mitzuarbeiten. Nicht wenige finden in diesem Dienst die Erfüllung ihrer menschlichen und christlichen Begabungen. Auch die Seelsorge muss ein wachsamer Dienst in diesem Bereich des Sterbens in Würde sein, da mit dem Sterben viele Fragen nach dem Woher und Wohin und Wozu des konkreten Lebens aufbrechen. Die Sorge auch um die Angehörigen und Sterbenden ist doch ein christlicher Grundauftrag der Kirche. Es muss alles getan werden, dass Alte und Kranke sich nicht rechtfertigen müssen für ihr Dasein. Ein möglicher Suizid und die vorgeschlagene begrenzte Zulassung von assistiertem Suizid würde doch nur den Druck auf Schwerkranke und Sterbende erhöhen.

5.Es gibt viele Fragen, die sich ergeben, wenn ärztlich assistierter Selbstmord zugelassen wird. Ich will nur eine Frage nennen. Wenn eine Zulassung erfolgt, entsteht die Frage einer Gebührenordnung für das ärztliche Handeln. Hier wird der Berufsstand des Arztes, der zum Helfen und Heilen berufen ist, für die Tötung eines Menschen nach geltendem Tarif bezahlt. Letztlich bezahlt dann jede/jeder gegen Krankheit Versicherte die Tötung von Menschen. Wie lässt sich das mit einer freien und individuellen Gewissensentscheidung vereinbaren?

Musik III

Für mich ist ein Text aus dem 1. Johannesbrief in der Frage nach dem Sterben in Würde wichtig geworden, denn „in Würde sterben“ heißt eigentlich „in Würde leben“. Es geht in dem Text um die Verheißung von Leben, von Auferstehung und von ewigem Leben, die begründet ist in der Liebe Gottes zu den Menschen (1 Joh 3, 1 – 2):

“Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es. Die Welt erkennt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Liebe Schwestern und Brüder, jetzt sind wir Kinder Gottes. Aber was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird, denn wir werden ihn sehen, wie er ist”.

Ich verstehe das so: „Gott ist ein Gott des Lebens“. Er hat mir mein Leben geschenkt. Er hat den Menschen als Abbild Gottes geschaffen. Der Mensch soll in Freiheit und Verantwortung sein Leben gestalten. Es gehört nicht jedem einzelnen, jeder Einzelne darf darüber nicht verfügen. Ich bin nicht befugt, Anfang und Ende meines Lebens zu bestimmen. Gott allein ist der Herr des Lebens. Er verheißt Auferstehung und ewiges Leben.

Musik IV

Ich danke ausdrücklich all denjenigen, die mithelfen, dass ein humanes Sterben ohne Suizid und Repression in unserem Land möglich ist. Ich danke den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die sich in der Hospitzbewegung engagieren oder ihre Angehörigen selbstlos betreuen. Ich danke schließlich denjenigen, die gegen den assistierten Selbstmord oder die Beihilfe zur Selbsttötung aufstehen, damit in unserem Land ein Leben und auch ein Sterben tatsächlich in Würde möglich sind.

Aus Aachen grüßt Sie Bischof Heinrich Mussinghoff

copyright Vorschaubild: wikimedia

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