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Das Geistliche Wort | 12.07.2015 | 08:40 Uhr

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Engel im Koffer

1. Musik: Gabriel Yared: The Unfeeling Kiss, In: Soundtrack „City of Angels“ 1998, Track 12, LC 00392, Label: Warner Bros. Records (Musik: Gabriel Yared, WB Music Corp. Ascap)

Das fühlt sich gut an. Ein kleiner Engel aus Holz. Passt genau in die Handfläche. Er ist unregelmäßig. Ein Flügel größer als der andere. Irgendwie ist er auch einem Kreuz ähnlich. Das Holz ist schön geschmirgelt. Alles weich und rund und sehr angenehm. Meine Finger tasten neugierig, umschließen den Engel. Ich fühle seine Form, entdecke die Gestalt. Ich denke: hier kann ich mich festhalten.

Guten Morgen, mein Name ist Klaus Eberl. Ich bin Pfarrer und Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche im Rheinland. Der kleine Holzengel lässt mich nicht mehr los. Und ich lasse ihn nicht los.

Im April war er dabei - beim ökumenischen Gottesdienst und Trauerakt im Kölner Dom für die Angehörigen der Opfer des Flugzeugunglücks in den französischen Alpen. Um Halt zu geben. Unbegreifliches war geschehen. Ein Copilot hatte in seiner Verzweiflung den Absturz der Maschine herbeiführt. Eine schreckliche Geschichte! So viele Menschenleben ausgelöscht! So viele trauernde Angehörige und Freunde im Dom, abgeschnitten von ihren Lieben. Kummer schnürt die Kehle zu. Worte erreichen kaum noch Ohr und Herz.

Da liegt auf jedem Platz im Dom dieser Engel. Ein Engel mit einer Botschaft: Du bist gehalten! Wenn Menschen verzweifelt sind und Worte allein nicht mehr trösten können, spüren die Finger, die das Holz umschließen: Wir sind gehalten. Gott gibt uns Halt. Ein Engel für Menschen in Not. Nicht nur für die Trauergemeinde im Dom am 17. April. Die beiden Vertreter der großen Kirchen, Rainer Maria Kardinal Woelki und Präses Annette Kurschus überreichen einen Engel stellvertretend für alle Angehörigen an Sarah. Sie hat ihre Schwester bei dem Unglück verloren. Und es werden die vielen bedacht, die nicht dabei sein können: Angehörige aus anderen Ländern, Rettungskräfte, freiwillige Helfer und Mitarbeiter der Fluggesellschaften. Stellvertretend für sie bekommen Bundespräsident Gauck, Ministerpräsidentin Kraft, Minister aus Spanien und Frankreich sowie der Vorstand von Germanwings je einen Engel von Notfallseelsorgern überreicht. Eine Notfallseelsorgerin erläutert:

„Dieser Engel soll uns alle, die wir hier im Dom versammelt sind, ermutigen, nach Quellen der Bestärkung und der Zuversicht für uns ganz persönlich zu suchen. Nach Menschen, die uns gut tun, nach Dingen, die uns kostbar sind und nach Orten, die uns Kraft und Zuversicht schenken.“

Ein Engel als Kompass für die Suche nach Halt. Denn beides tut jetzt Not: Halten und gehalten werden. Von Menschen, die trösten können, die nicht von der Seite weichen, die Tränen abwischen und zu Helfern in der Not werden. Von Gott, von dem uns nichts trennen kann, auch der Tod nicht.

2. Musik: Maria Mena: Just Hold Me, in: Maria Mena, Apparently Unaffected, 2007, Track 7, LC00162, Label: COLUMBIA (Writer(s): Maria Mena, Arvid Solvang, Copyright: Sony/ATV Music Publishing (Scandinavia) Kb Lyrics powered by www.musiXmatch.com)

Ich schaue mir den Engel genauer an: Er ist aus Esche oder Kiefer hergestellt, sehr liebevoll bearbeitet. In meiner Handinnenfläche berührt er den Lebensnerv.

Ein Engel, den ich fassen kann, wenn mich Unfassbares trifft. Ein Engel, der Verletzung und Verzweiflung kennt. Denn er hat zwei unterschiedliche Flügel.

Nein, fliegen kann er wohl nicht! Aber er ist ein Bote, der Menschen verbindet, die einander beistehen. Der Himmel und Erde vereint. In ihm sind Gottes Nähe und seine Sympathie greifbar.

Der Engel liegt leicht in der Hand. Er gibt der Sprachlosigkeit eine leise Stimme:

Gott steht für mich ein.

Das kann ich hören, das kann ich fühlen.

Gott ist nahe in der Not,

Ich bin gehalten,

ich halte durch

und ich kann anderen Halt geben.

Verzweiflung und Tränen haben nicht das letzte Wort.

Ich bin nicht allein.

Menschen sind da für mich, für andere,

sie sind Boten des Glaubens.

Auch sie sind Engel, nicht aus Holz, sondern aus Fleisch und Blut.

Ich kann sie suchen und finden.

Wir können das gemeinsam.

Davon erzählt mir der Engel in meiner Hand.

3. Musik: Sarah McLachlan: Angel, In: Soundtrack „City of Angels“ 1998, Track 6, LC 00392; Label: Warner Bros. Records (Autor: Sarah McLachlan, Label: Warner Bros.)

Entworfen wurde der Engel von dem Mülheimer Bildhauer Jochen Leyendecker für die Initiative Pskow in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Pskow ist eine alte Stadt im Westen der russischen Föderation. Weil sie im 2. Weltkrieg besonders stark unter der deutschen Besatzung gelitten hat, engagieren sich seit vielen Jahren rheinische Christen dort in einem Versöhnungs- und Partnerschaftsprojekt. Sie kümmern sich um behinderte Menschen. Sie geben ihnen Halt und eine Perspektive. Wie Engel eben.

Über Jahrzehnte hinweg galten Menschen mit Behinderungen in Russland als Störfall. Sie wurden in Anstalten weggeschlossen. Therapie, Betreuung und Bildung – das alles gab es nicht. Es war zum Verzweifeln! Mit den Eltern entstand die Idee, eine Schule zu gründen und so dazu beizutragen, dass Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung gefördert werden und dazugehören. Im Hintergrund aller Bemühungen stand die Gewissheit: Es gibt keine hoffnungslosen Fälle! Niemand darf verloren gehen! Inzwischen ist ein dichtes Netz der Hilfe entstanden: ein Frühförderzentrum, ein inklusiver Kindergarten, eine Schule, eine Werkstatt für behinderte Menschen, Wohnungen mit Betreuung.

Der Künstler Jochen Leyendecker hat den Engel für diese Initiative bewusst mit einer besonderen Note gestaltet: Mit seinen ungleichen Flügeln ist er selbst behindert. Jochen Leyendecker will damit sagen: Auch Engel brauchen Unterstützung.

In der Pskower Werkstatt stellen behinderte Menschen diese Holzengel selbst her. Junge und alte Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen sägen aus dicken Brettern die Engel aus, bearbeiten sie fein mit Schmirgelpapier, bis sie ganz rund und schön anzufassen sind.

Als ich zehn Tage vor dem Gottesdienst im Kölner Dom in Pskow anrief und fragte: Könnt ihr 3000 Engel anfertigen für die Menschen, die jetzt um Angehörige und Freunde des Flugzeugunglücks trauern?“, wurde nicht lange überlegt. „Wir versuchen das“, sagten die Mitarbeiter, „es ist schwer, aber wir haben die schrecklichen Bilder im Fernsehen gesehen. Ihr habt uns geholfen – jetzt helfen wir euch.“

Eine Woche lang wurde unter Hochdruck in der Werkstatt gearbeitet. Und tatsächlich: Zwei Tage vor dem Gottesdienst lagen 3000 Engel bereit, wurden in zwei übergroße Koffer gepackt und machten sich auf die Reise nach Deutschland, um schließlich im Dom ihre Botschaft zu verbreiten. Ein Trost von behinderten Menschen aus Russland – für Menschen, die Halt suchen.

4. Musik: Goo Goo Dolls: Iris, In: Soundtrack „City of Angels“ 1998,

Track 7, LC 00392; Label: Warner Bros. Records (Autor: John Rzeznik, Label: Warner Bros.)

So sind die Engel, die Boten Gottes: mal ein kleines Stück Holz, das mich an den Halt erinnert, der mir bisweilen abhandenkommt. Mal ist es ein menschlicher Bote, der zwar keine Flügel hat, aber hilft und meine Seele berührt. Engel sind merkwürdige Wesen. Viele Menschen glauben heute nicht mehr an Engel, schon lange nicht mehr. Engel scheinen nicht in unsere aufgeklärte Welt zu passen. Aber wir reden von ihnen, als seien sie da. Jeder weiß: So wie Maler oder Bildhauer sie gestalten, so gibt es Engel gar nicht. Auch die Bibel spricht niemals von der Existenz der Engel an sich. Das hat guten Grund: Engel sind Gottes Boten. Sie gehen in dem auf, was sie uns mitteilen. Sie sind ganz und gar Gottes Botschaft, dass wir auch im Schrecklichsten geliebt sind, auch in der Verlorenheit nicht allein sind, auch im Tod geborgen. Eine großartige Botschaft! Mir ist aufgefallen, dass die Menschen in der Bibel sehr alltäglich von Engeln erzählen. Das Wort Gottes oder die Wende der Not ereignet sich nicht auf übernatürliche, wunderhafte Art, sondern auf dem Weg, im Haus, auf dem Acker, am Arbeitsplatz. Dazu passt es, dass der Pskower Engel auf ganz profane Weise in einer Werkstatt hergestellt wurde. 3000 Engel in zwei großen Koffern verpackt. Mit Bus und Flugzeug und Taxi zu uns gebracht und in die Hand gelegt – und schon beginnt der Engel seine Botschaft zu entfalten.

Nach dem Gottesdienst haben uns viele Engelgeschichten erreicht.

Angehörige haben erzählt, dass sie diese Geste aus dem fernen Pskow sehr getröstet hat. In den Tagen nach dem Gottesdienst: Ein Engel in der Jackentasche, dann und wann ergriffen, in der Hand gewogen. Zum Festhalten, wenn der Boden unter den Füßen wankt. Da kann die Gewissheit wachsen: Auch wenn alles sehr schwer ist - ja, ich bin gehalten.

Andere haben gefragt, ob sie die kleinen Holzengel für die Beerdigung bekommen können. Natürlich war das möglich. Wieder machten sich einige Engel auf die Reise von Russland nach Deutschland.

Ein Mann schrieb: “Mein Schwager ist Pilot. Ihm hab ich einen Engel vom Trauergottesdienst geschickt...jetzt fliegt dieser Engel durch die Welt und sendet mir Fotos ... und passt hoffentlich etwas auf.“

Den Piloten ist das Unglück sehr nahe gegangen. Und sie erleben: Sie werden von vielen Passagieren kritisch beäugt. Das Vertrauen hat Risse bekommen. Da kann der Engel Kraft geben, die Verantwortung für die Passagiere und die Crew zu tragen.

Eine Frau schrieb: „Ich habe einen Pskower Engel geschenkt bekommen. Der hatte in den letzten Wochen gleich viel zu tun. Er musste mich nicht nur vor Unglück bewahren, sondern auch meinen Mann begleiten, der an Krebs operiert wurde. Ich danke für dieses Symbol und hoffe, dass der Engel auch hier seine behütende Wirkung entfaltet.“

Auch bei den Konfirmationen in vielen Gemeinden war der Pskower Engel am Werk. Als Bestärkung – denn das heißt Konfirmation - und als Segenswunsch. Ein Engel als Lebensbegleiter.

5. Musik: Viktoria Tolstoy & Jacob Karlzon: Against all odds, in: Viktoria Tolstoy & Jacob Karlzon, A Moment of Now, 2013, Track 5, LC07644; Label: ACT, (Autor: Phil Collins)

Ein kleiner Holzengel erinnert uns daran, dass wir beides sind: Von Gott Gehaltene und Menschen, die anderen Halt geben. Die Engel in unserem Leben haben alltägliche Gesichter. Sie haben Hände, die zupacken können, einen Mund, der die Sprache der Hoffnung kennt, ein Herz, das auch Unaussprechliches hört. So wirken sie mitten unter uns. Und helfen uns, das Leben mit allem Schönen und Schwierigen zu meistern. Manchmal kommen sie von weit her, wie die Engel aus Pskow in Russland. Manchmal scheinen sie selbst bedürftig zu sein, wie die behinderten Mitarbeiter in der Werkstatt.

Es verabschiedet sich von Ihnen Pfarrer Klaus Eberl. Ich wünsche Ihnen, dass immer ein Engel an ihrer Seite ist – und dass Sie anderen zum Engel werden.

Informationen:

Initiative Pskow: http://www1.ekir.de/pskow/

Trauergottesdienst, Engel:

http://www.evangelisch.de/inhalte/121136/21-04-2015/holzengel-vom-trauergottesdienst-fuer-flugzeugabsturz-opfer-koeln-koennen-jetzt-bestellt-werden

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