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Kirche in WDR 5 | 19.08.2015 | 06:55 Uhr
Sehnsucht
Sprecher:
„Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk getan
Und niemand mehr im Hause wacht,
Die Stern am Himmel an.
Dann saget, unterm Himmelszelt,
Mein Herz mir in der Brust:
‚Es gibt was Bessers in der Welt
Als all ihr Schmerz und Lust.‘“
(Die Sternseherin Lise, Matthias Claudius, Sämtliche Werke, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1996, Seite 595f.)
Autor: Guten Morgen,
sind Sie in diesem Sommer auch schon einmal nachts nach draußen gegangen und haben die Sterne betrachtet? Einfach in die dunkle Nacht gehen, den Kopf in den Nacken legen und den Blick nach oben richten. Besonders gut geht das, wenn es draußen klar ist und man die Milchstraße sehen kann. Auf dem Land, wo es wenig künstliches Licht gibt, ist sie deutlich zu sehen. Da fange ich immer an zu zählen – und höre doch bald wieder auf. So viele Sterne leuchten da. Manche gibt es schon gar nicht mehr, aber ihr Licht erreicht uns bis heute. Da stehe ich „unterm Himmelszelt“ und kann mich nicht satt sehen.
In mir steigt dann diese eigenartige Sehnsucht auf, die auch der Poet Matthias Claudius kannte und von der er in dem Gedicht von der „Sternseherin Lise“ spricht. Sehnsucht, die etwas sucht, und nicht so genau weiß, was sie sucht und was sie will. Die sich nach etwas sehnt ohne genau sagen zu können, wonach sie sich eigentlich sehnt.
Diese Sehnsucht lässt sich mit der Vernunft nicht einfangen. Sie lässt sich auch nicht beruhigen oder stillen. Matthias Claudius meinte: Wir können die Vernunft benutzen, sollten sie aber nicht vergöttern. Sie bleibt unser bestes Werkzeug, aber sie ist eben auch nur ein Werkzeug, mehr nicht. Hinter den Dingen und über den Dingen gibt es etwas, was die Vernunft nicht erklären kann. Zu dieser Welt hat kann uns die Vernunft keinen Zugang verschaffen. Sie ist dort nicht zuhause. Aus dieser fernen Welt kommen wir wohl und haben bis zum Ende eine Sehnsucht danach, so, als seien wir dort einmal gewesen.
Matthias Claudius hat zeit seines Lebens gehofft, dass er einmal ein reines Gotteserlebnis haben wird. Dass er wirklich erkennen kann, wer Gott ist. Noch auf dem Sterbebett sehnt er sich danach, dass Gott sich zeigt und aus dem Zweifel für ihn eine feste Gewissheit wird. Aber er wusste auch: Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, sondern wir müssen uns nach ihr richten. Das Vertrauen auf Jesus Christus gehörte für ihn zu den Grundfesten seines Lebens. Er ließ sich davon nicht abbringen, trotz mancher Kritik und Häme. Einmal schreibt er:
Sprecher: „Wer nicht an Christus glauben will, der muß sehen, wie er ohne ihn raten kann. Ich und Du können das nicht. Wir brauchen jemand, der uns hebe und halte, weil wir leben, und uns die Hand unter den Kopf lege, wenn wir sterben sollen; und das kann er überschwänglich, nach dem, was von ihm geschrieben steht, und wir wissen keinen, von dem wir's lieber hätten.“
(Briefe an Andres, Erster Brief. Aus: Asmus omnia sua secum portans, oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen, Siebenter Theil. Wandsbeck: beym Verfasser, 1802. Seite 106)
Autor: Die Hand Jesu unter den Kopf gelegt zu bekommen, was für eine schöne Vorstellung! Da sehnt sich jemand danach, dass Jesus ihm ganz nahe ist. Nicht mehr 2000 Jahre trennen die beiden, sondern Jesu Hand wird für ihn sogar eine Lagerstätte. Er legt seinen Kopf sanft in die guten Hände von Jesus.
Als Matthias Claudius viele Jahre später stirbt, das war vor 200 Jahren, hat er sich das wohl schon unzählige Male vorgestellt. Er hat viel darüber geschrieben und blieb doch immer auf der Suche. Mit seinen Gedichten weckt er in uns ein „wunderbares Heimweh“, so meinte es der Dichterkollege Josef von Eichendorff. Seiner Tochter widmet Claudius zu Weihnachten 1814, wenige Tage bevor er stirbt, eine Bibel mit diesen Worten:
Sprecher:
„Es ist in keinem andern Heil (…) als in dem Namen Jesu Christi. Halte Du fest an ihm in Freude und Leid. (…) Ich gehe natürlich voran und erwarte Dich, liebe Augusta, wenn Deine Stunde geschlagen hat, und will, wenn ich kann, Dir entgegenkommen. Dein treuer Vater Matthias Claudius.“
(zit. n. Glaubenssachen 18.01.2015, Christian Feldmann, Seite 8 https://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/glaubenssachen/gsmanuskript712.pdf [Zugriff 12.07.2015])
Autor: Für heute wünsche ich Ihnen, dass Sie Ihre Sehnsucht nicht vergessen. Albrecht Philipps, Pfarrer in Ochtrup und Metelen.