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Kirche in WDR 5 | 26.08.2015 | 06:55 Uhr
Wahr oder unwahr – richtig oder falsch?
Es geht zur Sache an diesem Abend. Eine Tageszeitung hatte mich zu einer Diskussion über „Kirche, Macht und Geld“ eingeladen. Als Generalvikar stehe ich Rede und Antwort. Schnell merke ich: Hier sitzen nicht gerade Kirchenfreunde. Alle möglichen Vorwürfe und Vorurteile fliegen mir um die Ohren – die Kirche als Inbegriff von Machtbesessenheit und Geldgier. Ich versuche, zu erklären und zu vermitteln.
„Glauben Sie ernsthaft, wir horten bei uns Millionenbeträge einfach so im Keller, um unsere Füße darauf zu legen?“, frage ich irgendwann genervt ins Publikum. Geraune und Gejohle schlägt mir entgegen. Ja, genau das glauben wir, so deute ich die Reaktionen.
Guten Morgen,
dieser Abend hatte mich erschrocken. Kritik an den Kirchen kenne ich ja. Viele Jahre habe ich mit jungen Menschen gearbeitet, da bekommt man als katholischer Priester so einiges zu hören. Aber hier erlebe ich eine solche Rundum-Ablehnung, die schon fast an Kirchenhass grenzt. Der Tenor vieler Äußerungen: Du kannst hier erklären was du willst, wir glauben dir nichts! Die Kirche ist ein Lügengebilde! Sie gehört abgeschafft!
Zwei Tage später berichtet die Zeitung von diesem Abend. Ich komme in dem Artikel ganz gut weg. Ein paar Zitate vermitteln das Bild eines Kirchenvertreters, der seine eigene Kirche auch selbstkritisch sieht. Prompt erreichen mich Attacken von ganz anderer Seite. „Sie stellen wohl die ewig gültigen Wahrheiten der römisch-katholischen Kirche in Frage“, poltert einer per Twitter. Jemand anderes fordert meinen Bischof auf, mich aus dem Amt zu jagen. Diejenigen, die sich so und ähnlich gerne lautstark zu Wort melden, halten sich für „richtige“ Katholiken. Ich bin es für sie wohl nicht. Der Tenor ihrer Äußerungen: Was du sagst, darfst du nicht sagen!
Mich erschrecken solche extremen Radikal-Kritiken immer mehr. Sie sind in ihren Urteilen kompromisslos festgelegt und lassen nur eine Sicht der Dinge zu. Sie sind aufgeladen mit einer heftigen Aggressivität. Ein geheimer Wunsch scheint sie zu kennzeichnen: Die andere Seite der Wirklichkeit, die andere Perspektive kann und darf nicht sein! Nur meine Sichtweise hat Berechtigung!
Das ist übrigens keineswegs nur bei Kirchenthemen so. Auf dem Podium saß ich mit einem Politiker, der mir nach der Veranstaltung sagte: „Sie glauben gar nicht, was wir Politiker so alles erleben!“ Und ob ich das glaube. Ein Blick ins Internet genügt, um zu sehen, wie da gewettert und abgeurteilt wird. Lauter Rechthaber scheinen da unterwegs zu sein, die alles genau zu wissen meinen – und jedem anderen absprechen, vertrauenswürdig und wahrhaftig zu sein.
Mir macht das Angst. Was wird sein, wenn sich die Haltung durchsetzt, dass nur meine Wahrheit zählt – und alle anderen nicht? Was wird sein, wenn niemand mehr bereit ist, Perspektiven zu wechseln, sich in seinen Sichtweisen korrigieren zu lassen? Ich habe Angst vor einer Welt, in der es nur eine Wahrheit geben darf, in der am Ende nur die einen richtig, alle anderen aber falsch sind.
Gott lässt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse, und er lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte, hat Jesus einmal gesagt. Gott hält nicht nur Vielfalt, sondern auch Gegensätze unter den Menschen aus. Er hat freie Menschen geschaffen – und freie Menschen entwickeln sich vielfältig, manchmal auch gegensätzlich. Das macht das Zusammenleben nicht einfach, aber eine bessere Alternative gibt es nicht.
Ihnen einen perspektivenreichen Tag! Klaus Pfeffer, Generalvikar in Essen.