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Das Geistliche Wort | 29.11.2015 | 08:40 Uhr

In Erwartung

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer! Herbert Fendrich ist mein Name und ich arbeite als Kunsthistoriker und Theologe beim Bistum Essen.

Es ist jetzt schon ein paar Monate her. Wir hatten im Sommer ein Klassentreffen. Zum ersten Mal, 43 Jahre nach dem Abitur. Für eine ganze Reihe von uns hieß das: Das erste Wiedersehen – nach so langer Zeit. Gut, dass Namensschilder vorbereitet waren. Aus den jugendlichen Milchgesichtern waren gesetzte ältere Herren geworden, mehr oder weniger ergraut – soweit sich überhaupt noch nennenswerter Haarwuchs erkennen ließ. Aber die Phase des mühsamen Wiedererkennens und das erste Fremdeln waren schnell überwunden. Vertraut wurde es – und herzlich. Alles in allem ein wunderbarer Abend, an den ich gerne zurückdenke. Besonders schön fand ich: Es gab kein Schaulaufen. Nicht das berühmte: Mein Haus, mein Auto, mein Boot. Die Gegenwart interessierte uns wenig. Die Vergangenheit wurde lebendig. Und wie! Wir kramten in unseren Erinnerungen, hatten Freude an gemeinsamen Entdeckungen und waren immer wieder überrascht, wenn halb oder ganz Verschüttetes ans Tageslicht geholt wurde: „Weißt du noch…?“. Ja, wir wussten noch. Aber gestaunt haben wir auch: „Dass du das noch weißt!“

Da sagt doch mein alter Freund Michael zu mir: „Herbert, weißt du noch? Ein Schiff wird kommen?“ Und strahlt mich begeistert an. Geradezu überwältigt von der Erinnerung. Für einen Moment war ich völlig sprachlos. Aber dann waren auch für mich 45 Jahre wie weggeblasen. Ja, das war Anfang der 70er Jahre. Primaner waren wir. Im Duisburger Stadttheater gab es für uns Schüler spottbillige Eintrittskarten. Manchmal war das sehr ermüdende Hochkultur: Monteverdi – und dann noch auf Italienisch. Aber gottseidank auch leichte Muse! Und so waren wir mit einem Trupp von 5, 6 Klassenkameraden in „Sonntags nie“. Ein Musical, das einige Jahre zuvor am Broadway für Furore gesorgt hatte: Never on sunday. Ein griechischer Komponist, Manos Hadjidakis. Und – ich kann es nicht leugnen: Ein leicht verruchtes Thema, das für uns junge Männer von 17 Jahren seinen besonderen Reiz hatte. Ein Streik unter den Huren am Athener Hafen. Ziel: Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Unter anderem: Keine Sonntagsarbeit! Deswegen der Titel: Never on Sunday – Sonntags nie! Alles in allem: Beste Unterhaltung. Und der bejubelte Höhepunkt war „Ein Schiff wird kommen“.

Musik I: ca. 1:30 Deutsche Version: Ein Schiff wird kommen

„Ein Schiff wird kommen“. Tagelang waren wir hin und weg von diesem Lied. Es schallte durch die Flure der Schule, ertönte im Klassenzimmer und in der Turnhalle. Nicht die Beatles, nicht die Stones, nicht Bob Dylan und Joan Baez. Ein deutscher Schlager, dessen Zeit eigentlich schon vorbei war. Woher diese Faszination? Die so stark war, dass die Hochstimmung von damals noch Jahrzehnte später in der Erinnerung mitschwingt: Weißt, du noch…?

Ja, ich weiß noch und mir ist auch klar, warum uns dieses Lied damals so ins Herz traf. Unsere Schulzeit ging zu Ende. Wir waren gespannt auf das Leben. Auf die Liebe natürlich auch. Wir waren voller Sehnsucht und Erwartung Ja, wir waren in einer Stimmung, die man mit anderen Worten auch „adventlich“ nennen könnte. Voller Hoffnung, voller Neugier, ein bisschen bange vielleicht, ganz sicher aber zuversichtlich: Ein Schiff wird kommen…

Oder auch andersherum: Es kommt ein Schiff… Das ist der Anfang von einem sehr alten Adventslied. Ich mag es sehr. Es stellt mir dasselbe schöne Bild vor Augen wie der alte Schlager. „Es kommt ein Schiff geladen…“ In mir vermag dieses Lied in ähnlicher Weise Erwartung, Sehnsucht und Hoffnung zu wecken. Selbstverständlich mit anderen, verhalteneren musikalischen Mitteln: Aus dem langsam daher schaukelnden, wiegenden 3er-Takt wird in der zweiten Hälfte jeder Strophe markant marschierender 2er-Takt. Und die dunkle Moll-Stimmung wird an dieser Stelle durch einen Dur-Dreiklang aufgehellt. Jedes Mal, wenn ich dieses Lied singe, freue ich mich auf diesen Übergang. So muss ein gutes Lied sein. Ich glaube der Melodie, was der Text sagt: Dieses Schiff bringt wirklich Gutes…

Musik II: Es kommt ein Schiff geladen (3 Strophen)

Ja, so müsste – so könnte – Advent sein! Ich will nicht in das Lamento verfallen, das zu dieser Jahreszeit in der Kirche so sicher zu hören ist wie das berühmte „Amen“: die Veräußerlichung und Verweltlichung der Adventszeit, der Trubel, die Hetze, die Einkaufswut. Das ist sicher bedauerlich, aber ich zeige nicht gerne mit dem Finger auf die anderen. Es geht um mich. Ich sehne mich nach dieser Sehnsucht: Ein Schiff wird kommen… Die Jugendzeit wünsche ich mir nicht zurück. Nein, aber da muss doch noch etwas kommen? Es fehlt doch noch etwas? Ist in mir noch eine Sehnsucht wach, die nach mehr fragt? Warum sehe ich höchstens noch in den Augen der Kinder die gespannte Erwartung? Die Vorfreude und das Strahlen. Gott will zur Welt kommen und er wird es! Herz, was willst du mehr?

Steht vielleicht meine Lebenserfahrung im Weg? Die teile ich wohl mit vielen Erwachsenen und zieht mich in der Adventszeit eher runter als dass sie mich erhebt: Wenn ich ehrlich bin, kommt ja nichts! Und niemand! Weihnachten kommt – na und? Kommt „alle Jahre wieder“.

Es könnte helfen, einmal die routinierte Perspektive auf Weihnachten zu verlassen. Natürlich feiern wir Christen etwas, was sich vor mehr als 2000 Jahren ereignet hat. Weit weg von hier, in Bethlehem. Aber mit dieser Erinnerung feiern wir doch auch, was kommen wird. Nicht in fernster Zukunft, aber auch nicht routinemäßig „alle Jahre wieder“. Sondern: Hier und jetzt und zugebenermaßen manchmal überraschend oder sogar völlig unerwartet. Und – ähnlich wie damals in Bethlehem – nicht einfach auf der Oberfläche der Ereignisse erkennbar. Gott kommt immer wieder zur Welt. Wird Mensch. Insbesondere da, wo Menschen menschlich werden. Da kommt Gott zur Welt, wird er zur Welt gebracht – auch durch mich.

Musik III

Damit wir uns nicht missverstehen: Wenn Gott zur Welt kommt, dann meine ich nicht einen besonderen inneren spirituellen Vorgang, eine Gebetserfahrung, einen berührenden Gottesdienst oder gar eine spektakuläre Erkenntnis oder Erleuchtung. Das gibt es auch und das sind wunderbare Geschenke. Ich meine Erlebnisse und Begegnungen in der sichtbaren und alltäglichen Welt, die mich umgibt.

Das können ganz kleine Gesten sein. Zum Beispiel, wenn Missverständnisse und Misstrauen die Atmosphäre vergiftet haben. Es gibt kein rechtes Auskommen miteinander und man geht sich tunlichst aus dem Weg. Und – plötzlich und unerwartet – ein erster Schritt: Ein Lächeln vielleicht oder ein freundlicher Gruß oder eine kleine Hilfeleistung. Ich bin überzeugt: So kommt Gott zur Welt.

Übrigens: In diesem Jahr höre ich die Zeile „Es kommt ein Schiff geladen“ noch mit ganz anderen Ohren. Denn dieses Jahr wird in die Geschichte eingehen als das jahr, in dem Deutschland für so viele Menschen auf der Flucht nicht nur zum Sehnsuchtsort, sondern zu einem sicheren Hafen geworden ist.

Vielleicht wird es dieses Jahr in Deutschland in besonderer Weise möglich, Weihnachten zu feiern. Denn auf einmal ist der Stall von Betlehem ganz nahe. Da sind Menschen in meiner Nachbarschaft, für die es keinen Platz gibt in ihrer Heimat, wo sie in Frieden und Sicherheit leben können. Ihre Herbergssuche hat ein Ziel gefunden. Und hoffentlich ein glückliches Ende.

Musik IV

Aus Essen verabschiedet sich Herbert Fendrich. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.

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