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Kirche in WDR 5 | 28.11.2015 | 06:55 Uhr
Hosianna
Thomas guckt auf sein Handy. Eine Nachricht. Andreas ist krank, hohes Fieber, nichts zu machen. Und dabei hatten sie vorgehabt, mittags nach Hamburg zu fahren: Hafen, Reeperbahn, Weihnachtsmärkte überall.
Und nun? Er lässt sich auf sein Sofa fallen.
Es klingelt an der Tür, er bleibt sitzen.
Wer da wohl geklingelt hat?
Schön, wenn es Marie gewesen wäre. Aber das war lange vorbei. Vielleicht hatte sie schon einen Neuen und ging immer noch samstags arbeiten für gemeinsamen Urlaub. Das hatte sie sich immer so gewünscht.
Es klingelt wieder.
Thomas rennt zur Tür und drückt den Türöffner. Eine ältere Dame kommt die Treppe rauf.
Hallo Herr Schmidt, ich heiße Inge Lambrich. Ich komme vom Besuchsdienst der evangelischen Gemeinde, wir wollten in diesem Advent mal die jungen Menschen in unserer Gemeinde besuchen und…
Thomas starrt sie an. Während Frau Lambrich weiterredet denkt er: Oh, aus der Kirche wollte ich ja auch noch austreten, Mist!
…weil in der Adventszeit bereiten wir uns ja darauf vor, dass Gott uns besucht.
Frau Lambrich sieht Thomas erwartungsvoll an.
Äh, hm. Und was wollen Sie jetzt?
Sie schluckt: Vielleicht einen Moment hereinkommen?
Oh. Ok. Kommen sie. Ich hab aber keinen Kaffee mehr, sagt er auf dem Weg in die Küche.
Macht nix, sagt Frau Lambrich, ich habe Ihnen da was mitgebracht!
Sie hält ihm ein Tütchen hin: Himmlischer Adventstee, 200g exquisite lose Teemischung. Danke, das ist…
Den könnten wir ja zusammen trinken, sagt sie begeistert.
Er sieht sie entgeistert an und geht doch zum Wasserkocher.
Und dann sitzen sie da, beide eine heiße Tasse Adventstee vor sich.
Meinen Sie das wirklich ernst, dass, also, dass Gott Menschen besucht?
Er erschrickt über seinen spöttischen Unterton. Die arme Frau.
Ja, er hat es zumindest schon mal gemacht. (Matthäus 21,1-9)
Echt, ja?
Ja. Das ist zwar schon lange her, aber es fing damit an, dass Jesus seinen Freunden gesagt hat: Geht in das nächste Dorf. Nehmt einen Esel und lasst ihn zu mir bringen.
Jesus ließ sich einen Esel klauen, denkt Thomas, die Story kenne ich noch nicht.
Frau Lambrich fährt fort: Und dann ist er auf dem Esel in Jerusalem eingeritten wie der Retter, den Gott den Menschen versprochen hatte. Und die Leute haben erkannt: Das ist er wirklich und sie haben ihre Kleider auf den Weg geworfen und sich sehr gefreut.
Was für Spinner, sich die Kleider vom Leib reißen, weil ein Mann auf einem gestohlenem Esel geritten kommt. Die Bibel war ja voller guter Comics. Thomas muss grinsen.
Frau Lambrich sieht sein Lächeln. Die Menschen haben vor Freude „Hosianna“ gesungen!
Und, was heißt das?
Also, so was wie: Hilf uns Gott, gut dass du da bist, wir haben so lange auf dich gewartet.
Und hat er ihnen geholfen?
Ja, ich glaube nicht allen, aber vielen. Sie hatten danach mehr Hoffnung, denke ich.
Hoffnung?
Ja, also die waren mutiger, weil er gekommen ist.
Thomas staunt: Die Frau erzählt einfach, was sie glaubt. Tut, was sie möchte. Er ist nie so mutig. Nie würde er ohne Andreas irgendwo hingehen. Nie hätte er Marie gesagt: Komm, lass es uns noch mal versuchen. Ich werde mir diesmal auch mehr Zeit für dich nehmen.
Ich bin nie wirklich mutig, sagt er und guckt Frau Lambrich an. Ich wäre gerne mutiger, aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll!
Frau Lambrich legt ihre Hand auf seinen Unterarm: Doch. Sie haben mir einfach erzählt, dass sie gerne mutiger wären. Das gibt keiner gerne zu, obwohl es für die meisten stimmt.
Sie gucken beide auf den Tisch, lächeln und schweigen.
Danke, dass Sie vorbei gekommen sind, ich hab das vorher gar nicht gewusst, dass, also dass ich gerne also, Sie wissen schon.
Ja, sagt Frau Lambrich. Sie nimmt den letzten Schluck, steht auf, geht zur Tür.
Auf Wiedersehen Frau Lambrich, vielen Dank.
Sie lächelt, Gott segne Sie.
Thomas schließt die Tür. Geht langsam zu seinem Handy und wählt eine Nummer.
Möge Gott auch Sie in diesem Advent besuchen, wünscht Ihnen Katrin Berger, Pfarrerin in Levern.