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Das Geistliche Wort | 20.12.2015 | 08:40 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Gnadenbringende Weihnachtszeit

Autor: Guten Morgen! Gehen Sie heute auf den Weihnachtsmarkt? Noch ein bisschen Gebrannte-Mandel-Duft schnuppern, die Lichter, Glühwein, weihnachtliche Atmosphäre genießen? Also, was mich betrifft: Ich gehe nicht gern auf Weihnachtsmärkte. Mein Name ist Traugott Vitz, und ich bin evangelischer Pfarrer im Ruhestand aus Essen. Nun denken Sie aber bloß nicht, Sie hätten es heute Morgen mit einem Weihnachtsmuffel zu tun. Im Gegenteil. Es ist nur so, dass ich die Texte der Weihnachtslieder ernst nehme. Als Hintergrundgeräusch auf dem Weihnachtsmarkt sind sie mir zu schade. Zum Beispiel: „O du fröhliche“. In dem Liedtext ist davon die Rede, dass mir Gnade gebracht wird von der gnadenbringenden Weihnachtszeit, und dass das eine fröhliche Angelegenheit ist. Gut, fröhlich sein kann man auf dem Weihnachtsmarkt auch - eine Stunde, vielleicht zwei. Das alte Lied hat aber etwas im Sinn, das länger vorhält: Gnade. Schwieriges Wort. Es glänzt nicht und ist auch nicht gerade alltäglich. Weihnachten würde man damit wohl auch nicht auf Anhieb verbinden. Was bedeutet das eigentlich genau: Gnade?"

Musik 1 Track 8 Oh du fröhliche von CD Jazz Tannenbaum Latin, Interpret Ewood Brothers, Komponist: Rick von Bracken; Label: Casino Records, Copyright: 2010 Casino Records, ohne LC.

Autor: Wenn Sie auch so Mitte sechzig sind, dann erinnern Sie sich vielleicht noch an die allererste Gerichtsshow im Fernsehen. Die hieß: „Das Fernsehgericht tagt“. Das war in den sechziger und siebziger Jahren. Der Vorsitzende hatte einen Spitznamen: „Papa Gnädig“. Den hatte er auch schon, als er noch aktiver Amtsrichter in Hamburg war. Ein Richter, der mit den vor ihm stehenden Menschen menschlich umgeht, gütig, voller Verständnis für die Verstrickungen, in die einer geraten kann, auch wenn er am Ende vielleicht sagen muss: Du bist schuldig, und für diese Schuld muss ich jetzt eine angemessene Strafe finden.

Das ist das erste, was für mich im Begriff der Gnade drinsteckt: Dass da Güte und Verständnis im Spiel sind. Dass mich einer als Person mit den und den Lebensumständen ernst nimmt.

Dass mir ausgerechnet der Papa Gnädig als erstes eingefallen ist, also ein Richter, hat auch etwas damit zu tun, dass Gnade und Recht in einem gewissen Gegensatz zueinander stehen. Die Symbolfigur von Recht und Gerechtigkeit, die Justitia (das ist die mit der Waage und dem Schwert), die trägt ja eine Augenbinde. Das heißt eben, dass sie die Person nicht ansieht, nicht ansehen darf, wenn sie auf ihrer Waage Schuld und Strafe, Recht und Unrecht abwägt, denn sie soll ja unparteiisch sein und sich nicht davon beeindrucken lassen, ob sie einen Minister oder einen Tippelbruder vor sich hat. Wenn Justitia dann fertig ist und wir Zuschauer uns das Ergebnis ohne Augenbinde anschauen, dann sind wir manchmal zufrieden über die Gerechtigkeit. Da kriegt der Minister die gleiche Strafe wie der Tippelbruder. Manchmal sind wir aber unglücklich mit dem Ergebnis, weil es uns menschlich nicht befriedigt. Das ist gnadenlos, sagen wir dann, wenn einer, der es sowieso schon schwer im Leben hatte, hart bestraft wird. Und dann wünschen wir uns, man möge „Gnade vor Recht ergehen lassen“, wie es in der Redensart heißt.

Gnade vor Recht: Das muss man wörtlich nehmen: Die Gnade hat den Vortritt; das Recht muss zurückstehen. Und wenn das Recht zurückstehen muss, dann heißt das: Gnade ist ungerecht. Immer! Sie kommt immer einem zugute, der das nicht verdient hat.

Ein Beispiel: Stellen Sie sich einen Winzer vor, der für die Weinlese zusätzliche Arbeitskräfte braucht und Zeitarbeiter anheuert. Die Vereinbarung lautet: Hundert Euro am Tag. Der Winzer ist so knapp dran mit der Ernte, dass er sogar noch im Lauf des Tages Arbeitskräfte von hier und da heranholt und in den Weinberg fährt, bis in den späten Nachmittag.

Abends, als die Arbeit geschafft ist, geht er von einem zum anderen und zahlt ihn aus: Jedem einen Hunderter. Da stehen dann welche, die den ganzen Tag geschuftet haben, und schauen fassungslos zu, wie der Mann neben ihnen, der erst seit vier oder fünf Uhr dabei ist, auch einen Hunderter bekommt. Das lassen sie natürlich nicht unkommentiert. Mitten in das unzufriedene Murren sagt der Winzer: „Natürlich ist das mehr, als der Kollege hier verdient hat. Na und? Ihr habt doch bekommen, was ausgemacht war! Geht es euch was an, wenn ich großzügiger bin als ich muss?“

Sehen Sie: Das ist Gnade. Sie ist ungerecht, weil da jemand etwas bekommt, was er nicht verdient hat. Es ist aber zugleich sehr angemessen. Denn das Beispiel stammt aus einer Zeit, als es keine Grundsicherung und kein Arbeitslosengeld gab. Wenn der Winzer nicht großzügig gewesen wäre, dann hätten Frau und Kinder des Zeitarbeiters an diesem Tag hungern müssen. Und das wäre auch nicht gerecht gewesen. Das fand jedenfalls Jesus, als er dieses Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg erzählte. Gnade hat auch etwas mit Mitleiden zu tun.

Musik 2 = Musik 1

Autor: Gnade. Ein schillernder Begriff. Gnade. Sie ist persönlich, gütig, verständnisvoll, zugewandt und unverdient und deswegen ein kleines bisschen ungerecht. Und schließlich ist sie mitleidig. Da bekommt jemand Hilfe, der sich selbst nicht helfen konnte. Der Dichter von „O du fröhliche“, Johannes Daniel Falk, hatte genau solche Leute vor Augen. Nachdem vier seiner sieben Kinder an Typhus gestorben waren, gründete er in Weimar das „Rettungshaus für verwahrloste Kinder“. Den dort aufgenommenen Kindern widmete er 1816 das Lied und ein anderer dichtete es weiter.

„Welt ging verloren, Christ ist geboren“ heißt es da.

Die Welt und die Menschheit, so sagt das Lied, sind in einem desolaten Zustand, den die Menschen aus eigener Kraft nicht zum Besseren wenden können. Weihnachten aber, da wendet sich Gott der ganzen Welt gütig und mitleidig zu, um ihr zu helfen.

Das hören manche nicht gern. „So ein Quatsch“, sagen sie zum Beispiel, „die Menschheit braucht keine Hilfe von außen. Sie ist nicht böse und auch nicht auf dem absteigenden Ast, sie war es auch nie. Das hat die Kirche erfunden, um uns ein schlechtes Gewissen einzureden und selber besser herrschen zu können. Wir brauchen keine Erlösung, wir müssen uns nur weiter entwickeln in die Richtung, in die wir sowieso schon unterwegs sind. Mehr Humanität, ethische Höherentwicklung und so.“

Es wäre natürlich schön, wenn das stimmte. Dann dürften wir hoffen, dass wir im Lauf der Zeit alles in den Griff kriegen, was heute noch Probleme macht. Da würden dann populistische Volksverhetzer ausgelacht statt gewählt. Industriemanager würden sich in Grund und Boden schämen, bevor sie ihre Kunden auch nur ansatzweise belügen. Von der Regel „Du sollst nicht töten“ gäbe es wirklich keine Ausnahme, weder bei den Drohnenpiloten noch im Strafvollzug. Aber zurzeit sieht es mir nicht danach aus, als ob wir damit in absehbarer Zukunft rechnen dürften. Ich glaube vielmehr: Wir sind, ethisch gesehen, heute keinen Deut besser als zu Christi Geburt. Wir begehen zwar nicht mehr dieselben Verbrechen wie beispielsweise zurzeit der Kreuzzüge, aber oft noch viel schlimmere. „Welt ging verloren“? Oh ja! Verloren ist sie immer noch, die Welt, solange die Menschheit glaubt, auf Christus verzichten zu können und keine Hilfe zu brauchen, die von außen kommt und hinausweist und hinausführt über das, was wir von selber können.

Die Sache ist nämlich die: Wo der Mensch sich selber für den Herrn aller Dinge hält, der alles weiß und beherrscht und auch das moralische Gesetz nirgends als in der eigenen Brust zu suchen braucht, da ist er auf das Versprechen der Schlange im Paradies hereingefallen, die zu Adam und Eva sagte: „Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“

In der Geschichte meinte sie damit: Wenn ihr auf Gottes Willen pfeift und vom Baum der Erkenntnis esst. Nun: Die Paradiesgeschichte beruht natürlich nicht auf einem historischen Ereignis. Sie sagt mir vielmehr in erzählender Form, wer ich im Verhältnis zu Gott bin, wo mein Platz in der Welt sein sollte und wo er dank meiner Schwäche für alle möglichen Versuchungen tatsächlich ist. Ich sag’s mal mit meinen Worten: Der Mensch war gedacht als einer, der mit Gott im Einklang lebt und als sein verlängerter Arm auf Erden dafür sorgt, dass es ihm selber und der gesamten Schöpfung gut geht. Dieser ihm zugedachten Rolle hat er sich verweigert. Er hat angefangen, selber der „Liebe Gott“ sein zu wollen. Das hat ihm und das hat der Schöpfung nicht gut getan. Es hat eine Spirale des Bösen begonnen, die sich immer weiter dreht und aus der der Mensch nicht mehr raus kommt. Es sei denn: Einer greift ein von außen. Einer, der nicht in die Spirale des Bösen hineingezerrt werden kann. Einer, der uns immer und von je her gegenüber steht, den wir nicht in der eigenen Seele finden können, sondern dem wir als einem Außenstehenden begegnen.

Und wie soll das passieren? Das Weihnachtslied antwortet: „Christ ist erschienen, uns zu versühnen“. „Versühnen“ heißt „versöhnen“. Und versöhnen heißt: zusammenbringen, was sich feindlich gegenübersteht. Seit der Mensch beschlossen hat, „lieber Gott“ zu spielen, ist da nämlich ein Riss zwischen den beiden, und den spürt man auch. Den will Gott überwinden, indem er Christus mit seiner Botschaft auf die Erde schickt. Er hofft offenbar, dass da noch was geht. Er traut uns zu, dass wir vielleicht doch noch auf ihn hören und dabei auf Ideen kommen, die uns selber und allen anderen Geschöpfen gut tun. Von Christus könnte man zum Beispiel lernen, wie man am besten mit Außenseitern umgeht. Er hat sich nicht von ihnen abgeschottet, sondern ist auf sie zugegangen.

Diese Rettungsaktion hätte Gott nicht starten müssen. Aber er tut es. Freiwillig. Sagen wir ruhig: Gnädig.

Musik 3 = Musik 1

Autor: Gott findet: Mit dieser Welt geht noch was. Das ist die Nachricht, die ich mit Weihnachten verbinde. Und mich möchte er dabei an seiner Seite haben. Ich darf mitmachen und mithelfen, dass es mit dieser Welt ein Happyend gibt. Das schenkt er mir, einfach so. Eine tolle Sache, finde ich. Das Weihnachtslied meint sogar, darüber gerieten die Engel im Himmel aus dem Häuschen: „Himmlische Heere jauchzen Dir Ehre.“ Da kann die Christenheit sich ruhig auch freuen. Ich wünsch Ihnen was für die kommenden Tage! Seien Sie fröhlich; Sie haben allen Grund dazu! Es verabschiedet sich Ihr Pfarrer Traugott Vitz aus Essen.

Musik 4 = Musik 1

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