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Das Geistliche Wort | 06.03.2016 | 08:35 Uhr

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Leidenschaftliche Liebe

Autor: „Es wird Zeit, dass der Frühling kommt!“, sagt Frau Meier. Herr Lambrich und Frau Baum nicken. Die trüben Wintermonate zwischen Weihnachten und Ostern: furchtbar. Alles grau. Einziges Highlight: der Karneval. Einmal im Jahr in eine andere Rolle schlüpfen. So eine Pappnase wirkt manchmal Wunder. Gott sei Dank gibt’s jetzt schon bunte Tulpen und Osterglocken zu kaufen, bunte Eier und Schokohasen auch. Österliche und frühlingshafte Dekoration – darauf muss auch in der trüben Jahreszeit keiner verzichten. Wir tricksen sie einfach aus, die Kalenderzeit. Doch der Kirchenjahreszeitkalender sieht für die Zeit zwischen Karneval und Ostern etwas anderes vor: Es ist Passionszeit.

Übersetzt: Leidenszeit. Die Zeit, in der man daran denkt, dass Jesus Christus unter den Menschen gelitten hat.

In vielen Kirchen gibt es Bilder oder Skulpturen, die Jesus auf seinem Leidensweg zeigen, die so genannten Kreuzwege: Man sieht, wie sich die Nägel durch sein Fleisch bis in das Holz des Kreuzes bohren. Am Kreuz wurde er unschuldig ermordet.

Aber: Irgendwie wollen die meisten das nicht mehr sehen. Darstellungen vom Leiden Christi werden in der Öffentlichkeit immer weniger gezeigt. Man will Kindern den Anblick des Leidens nicht mehr zumuten. „Denn in den Medien werden schon genug traurige Bilder gezeigt“, heißt es dann.

Musik 1: Udo Jürgens und Jenny: Track 4: Liebe ohne Leiden, Album (Best of Udo Jürgens, CD 1)

Autor: "Ich wünsch Dir Liebe ohne Leiden", das hat der Ende 2014 verstorbene Udo Jürgens vor über dreißig Jahren für seine Tochter gesungen. "Liebe ohne Leiden und dass Dir nie die Hoffnung fehlt." Genau das möchte ich auch meinen Kindern wünschen. "...und dass Dir nie die Hoffnung fehlt."

Für Christinnen und Christen ist Jesus Christus derjenige, der ihnen Liebe schenkt und Hoffnung gibt. Und sein Leiden ist ganz eng mit dieser Hoffnung auf Liebe verbunden. Aus Liebe zu Gott, den er Vater nannte, und aus Liebe zu seinen Mitmenschen, hat Jesus gelitten. Er sagte, was er glaubte und trug die Konsequenzen dafür. Denn das passte vielen nicht und er galt als Unruhestifter. Er hätte sich dem Foltertod entziehen können, mit Gewalt, oder indem er seinen Glauben geleugnet hätte. Beides kam für ihn nicht infrage. Sein Leiden empfand er als Tat der Liebe.

Er wollte die Spirale der Gewalt durchbrechen, aus leidenschaftlicher Liebe zu den Menschen. "Ich wünsch Dir Liebe ohne Leiden". Gibt es Liebe ohne Leiden? Jesus Christus hat für seine Liebe leiden müssen. Aber auch in unserem Sprachgebrauch sind Liebe und Leiden verbunden. Wir sprechen ganz selbst verständlich von "Leidenschaft" wenn es darum geht, ein ganz intensives Gefühl zu beschreiben, das auf ein bestimmtes Ziel gerichtet ist. Ein leidenschaftlicher Mensch kann ein Sammler sein, der seltene Dinge sucht. Wer einen Menschen von Herzen liebt, hat ebenfalls eine ganz besondere Leidenschaft für ihn. Oft wird das Wort so dahingesagt. Aber wer wirklich liebt, leidet auch an inneren Auseinandersetzungen und muss manche Entbehrung und Enttäuschung hinnehmen. Und ein Sammler findet vielleicht nie das letzte fehlende Stück.

Wenn ich eine besondere Leidenschaft habe, dann bin ich vielleicht nicht mehr mein eigener Herr. Dann geschieht mit mir etwas, das ich nicht immer beeinflussen kann. Leiden muss nicht unbedingt heißen, dass ich Schmerzen habe, es kann auch bedeuten, dass ich etwas erdulde. Mich hingebe.

Hingabe fällt schwer. Lieber möchte ich das Heft des Handelns selbst in der Hand haben. Ich will nicht erdulden, ich will bewirken. Ich will gestalten, ich will etwas schaffen. Als Christ weiß ich eigentlich: Gott hat das letzte Wort darüber, was geschieht. Und doch schlüpfe ich immer wieder in seine Rolle. Will selbst der Macher sein.

Aber dann sehe ich: In der Leidensgeschichte Jesu hat Gott die Rollen gewechselt. Christen glauben, dass sich in Jesus Christus Gott zeigt. Der Schöpfer ist zum Geschöpf geworden. Der Macher ist zum Erdulder geworden.

Gott verzichtet auf Macht, um zu zeigen, wozu Machtmissbrauch führen kann. Er geht in der Person Jesu den Weg der Gewaltlosigkeit, den Weg der Liebe. Das ist seine Leidenschaft. Menschen können ihm Leid zufügen und Schmerzen bereiten, aber die Liebe können sie nicht bezwingen. Die Liebe wird sich Wege suchen, Gewalt zu überwinden.

Musik 2 = Musik 1: Udo Jürgens und Jenny: Track 4: Liebe ohne Leiden, Album (Best of Udo Jürgens, CD 1)

Autor: Liebe ohne Leiden. Ein schöner Traum. Und: Unmöglich. Wer schon mal leidenschaftlich geliebt hat weiß: Liebe und Leiden sind nicht zu trennen. Das Leiden Christi ist ein Zeichen der Liebe Gottes zu den Menschen. Verdient haben sie diese Liebe nicht. Sie verursachen immer wieder schlimmstes Leid. Und kriegen selbst die Liebe einfach nicht auf die Reihe. Sie bringen sogar jemanden, der sich wie Christus leidenschaftlich für sie einsetzt, ans Kreuz. Die Bilder seines Leidens in Liebe sind für den Betrachter schwer zu ertragen.

Einer, der sich diesen Bildern gestellt hat, ist der Schriftsteller und Publizist Navid Kermani, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. In seinem Buch "Ungläubiges Staunen - Über das Christentum" versenkt sich Navid Kermani in die christliche Bilderwelt. Da er selbst Muslim ist, kann er die Werke ohne vorgeprägte Erwartungen betrachten.

Kermani beschreibt zum Beispiel das über vierhundert Jahre alte Gemälde von El Greco mit dem Titel: „Der Abschied Christi von seiner Mutter":

Sprecher: "Bei El Greco fehlt ihr insgesamt das Mütterliche; nicht richtet sich ihr Blick besorgt oder bekümmert auf den Sohn, sondern mit einem Ausdruck ruhigen Glücks in die Ferne oder ins Nichts. So selbstverloren blickt eine, die sich beim Geliebten geborgen weiß. Und tatsächlich schaut er sie mit Augen an, die zugleich begehren und behüten. Das ist weniger ein Erlöser als einer, der in der Liebe selbst Erlösung fand, das ist ein Brennen und Bewundern". (1)

Autor: Der Abschied Christi von seiner Mutter – hier beginnt die Leidensgeschichte Jesu. Und doch zeigt das Bild von El Greco kaum etwas von diesem Leiden. Aber es weist auf den Grund für Christi späteres Leiden hin: Die Liebe! Es ist die Liebe Gottes zu den Menschen, die in dieser Darstellung von Mutter und Sohn deutlich wird. Eine Liebe, die den Tod nicht scheut.

Sprecher: "Besonders aber sind es die Blicke, deretwegen ich an alles, nur an keine Passion denke, besonders der Blick der Frau, in dem mehr als nur Liebe liegt, nämlich die Seligkeit ihrer Erfüllung. Hingegen der Mann - und das ist der einzige Anflug des Schreckens auf dem Bild - scheint die Endlichkeit aller Dinge und erst recht des Glücks zu ahnen". (2)

Autor: Der Betrachter kann das künftige Leiden im Blick des Liebenden nur vermuten. "Lass den Kelch an mir vorüber gehen", so wird Jesus bald im Garten Gethsemane zu Gott beten. Doch er fügt hinzu: "Es geschehe nach Deinem Willen." Jesus hat die Aussicht auf das ewige Leben im Herzen, doch davor steht die Endlichkeit des Kreuzes.

Navid Kermani betrachtet ein weiteres Gemälde. Es ist über 500 Jahre alt. Sandro Botticellis "Kreuztragung". Diese Szene spielt kurz vor dem Höhepunkt der Leidensgeschichte.

Sprecher: „Jesu Kreuz wirkt nicht schwer: Keine Spur von Anstrengung im Gesicht, trägt er es weniger, als daß er es wie seine Partnerin auf der Schulter balanciert. Sein Gesichtsausdruck könnte Sehnsucht genauso wie Verlorenheit ausdrücken, kaum den körperlichen Schmerz, der sonst zur Passion gehört." (3)

Autor: Botticelli malte Jesus in einem leuchtend roten Gewand. Von diesem Passionsbild wendet man sich nicht ab, es zieht die Blicke an:

Sprecher: "Nicht nur Jesu Gewand, das außer durch die Farbe durch den seidenen Stoff, den anmutigen Kragen gefällt - auch sein Leib so feingliedrig, das zarte Handgelenk, die samtene Haut, die Finger von keiner Plackerei gezeichnet, überlang die unteren und oberen Schenkel, die sich unterm Stoff abzeichnen." (4)

Autor: Botticelli und El Greco - die beiden Maler deuten das Passionsgeschehen als Liebesbeziehung. Vielleicht braucht es erst den unverstellten Blick eines Betrachters wie Navid Kermani. Einen, der nicht schon ein festes Bild hat – zum Beispiel durch die christlichen Traditionen. Vielleicht braucht es einen Beobachter, der "ungläubig staunen" kann, um dem christlichen Betrachter die Sicht frei zu machen. Der Vorhang des schmerzhaften Leidens wird beiseitegeschoben, um dahinter die leidenschaftliche Liebe Jesu Christi zu erkennen.

Musik 3: Falk&Sons: Track 4: Jesu Bleibet Meine Freude (Jesus Joy). Album (Celebrate Bach)

Autor: Die Leidensgeschichte Jesu - eine leidenschaftliche Liebesgeschichte. So kann ich dem Leiden mehr Sinn abringen. Das Leiden Jesu - kein Betriebsunfall der Geschichte. Im leidenden Christus tritt Gott in die Welt. Und erfährt selbst, wie Liebe an den menschlichen Verhältnissen und unter irdischen Bedingungen scheitern kann. Wie Machthunger und Gewalt versuchen, die Liebe auszurotten. Gott selbst garantiert uns keine Liebe ohne Leiden. Aber er teilt das Leiden mit den Menschen. Geht in seinem Sohn bis ans Kreuz. Ein solcher Gott fordert nicht den geliebten Sohn als Opfer für die Sünden der Welt. Ein solcher Gott opfert sich selbst und erträgt die Schmerzen. Als wollte er sagen:

Seht her – ihr selbst kreuzigt die Liebe. Die Liebe aber rächt sich nicht. Sie hält an dem fest, was ihr richtig erscheint, bis zum Schluss: an der Gerechtigkeit für die Schwachen, daran, dass Gewalt niemals ein Mittel ist, mit dem man Frieden herstellen kann. Nun könnte ein anderer Betrachter von außen sagen: Warum ist dann noch Leid in der Welt? Hätte Gott das nicht abschaffen können?

Gott hat den Menschen mit seinem Wunsch nach Liebe geschaffen. Und er hat ihn befähigt, tief zu lieben. Doch viel zu oft verwechselt der Mensch Liebe mit Selbstsucht. Eigentlich geht es ihm meist um sich selbst. Sich hingeben – zurückstecken für den anderen oder die andere. Manches dulden und erdulden für die Liebe. Das ist schwer. Gott kennt diese selbstsüchtige Seite des Menschen. Doch will er ihn deshalb weder strafen noch vernichten. Er hat sich entschlossen, in Jesus Christus Teil dieser Welt zu werden. Und als solcher Teil dieser Welt teilt Gott immer noch das Leid der Welt jeden Tag und jede Nacht.

Dass Gott das tun wird, das hatte der Prophet Jesaja lange vor Jesu Geburt angekündigt:

Sprecher: "Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre." (Jesaja 53,4)

Autor: Gott schickt in Jesus nicht jemand anderen, der solche Schläge auf sich nimmt, sondern er ist es selbst, der mit seinen Geschöpfen gemeinsam leidet. Gott schafft das Leid nicht aus der Welt, sondern er teilt es mit den Menschen. Seine Leidenschaft ist es, jeden und jede voll und ganz zu lieben.

Am heutigen Sonntag ist mehr als die Hälfte der Passionszeit vergangen. Er heißt Lätare – das heißt übersetzt: Freut euch. Freut euch, dass Jesus, dass Gott euch leidenschaftlich liebt. Dass er bei euch ist - in der Freude und in allem Leid. Ich blicke wie die Mutter Jesu auf ihn und weiß mich bei ihm geborgen. Mitten im Leid.

Es grüßt Sie: Pfarrer Michael Nitzke von der Evangelischen Kirche in Dortmund.

Musik 4: Falk&Sons: In Dir Ist Freude (Joyful). Album (Celebrate Bach)

Quellenangaben:

(1) Navid Kermani: Ungläubiges Staunen - Über das Christentum. Verlag C.H.Beck, 7. Auflage, München 2015. Seite 32. (über das Bild: El Greco (1541-1614), Der Abschied Christi von seiner Mutter. Ca. 1578-1580. Öl auf Leinwand, 64 x 93 cm. Privatsammlung)

(2) ebd. Seite 36.

(3) ebd. Seite 46. (über das Bild: Sandro Botticelli (1445-1510), Kreuztragung. Nicht datiert. Tempera auf Leinwand, 131,5 x 166,7 cm. Pinacothèque de Paris)

(4) ebd. Seite 45.

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Musikinformation:

Musik 1 und 2

CD-Name: Best of (Udo Jürgens)

Titel: Liebe ohne Leiden

Track-Nr.: 4 (CD 1)

Interpret: Udo Jürgens / Jenny Jürgens

Komponist: Udo Jürgens

Texter: Wolfgang Hofer

Verlag: Aran / BMG

Label: Ariola (Sony Music)

LC-Nr.EAN (Barstrichcode): LC 00116

Musik 3

CD-Name: Celebrate Bach

Titel: Jesu Bleibet Meine Freude (Jesus Joy)

Track-Nr.: 5

Interpret: Dieter Falk, Max Falk, Paul Falk

Komponist: Johann Sebastian Bach

Label: Boutique (Universal Music)

LC-Nr.EAN (Barstrichcode): LC 00699

Musik 4

CD-Name: Celebrate Bach

Titel: In Dir Ist Freude (Joyful)

Track-Nr.: 13

Interpret: Dieter Falk, Max Falk, Paul Falk

Komponist: Giovanni Giacomo Gastoldi

Label: Boutique (Universal Music)

LC-Nr.EAN (Barstrichcode): LC 00699

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