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Das Geistliche Wort | 24.04.2016 | 08:35 Uhr

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„Liebt einander“

Guten Morgen!

Als Bischof werde ich öfter gefragt: Was ist die Kurzfassung des Christentums? Ich gebe dann gerne als Antwort: Das Christentum lässt sich gut beschreiben – und zwar über alle konfessionellen Verschiedenheiten hinweg – in dem einen Auftrag: „Liebt einander!“

Diese Kurzformel stammt aus dem Johannesevangelium und ist eingebettet in die Abschiedsreden Jesu vor seiner Kreuzigung. Der Text wird heute in der katholischen Kirche im Gottesdienst vorgetragen und lautet im Zusammenhang (Joh 13,31-33a.34-35):

Sprecher:

In jener Zeit, als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: „Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht. Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen. Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“

Musik 1

Jesus sagt dieses Liebesgebot seinen Jüngern im Abendmahlssaal, kurz nachdem Judas den Raum verlassen hatte. Liebt einander! Das klingt vielleicht alt, fromm, komisch. Aber irgendwie auch einvernehmlich. Wie viele Menschen könnten sich wohl dieser Aufforderung anschließen: „Liebt einander!“? Ich vermute: Mit diesem Wort wird vielleicht nicht nur die Summe aller christlichen Konfessionen erreicht, sondern vielleicht alle Religionen oder gar alle Menschen guten Willens. Und das ist gut so! Liebe ist das Einigungsprinzip überhaupt: Frau – Mann, Eltern – Kinder, in Beziehungen aller Art. Liebe verbindet Unterschiede, ohne sie aufzulösen. Liebesbeziehungen sind die engsten, schönsten und kostbarsten Bindungen, die wir Menschen überhaupt haben. Liebesbeziehungen sind die, die wirklich zählen: Wenn die Gesundheit versagt, wenn Angst und Trauer dominieren, wenn wir am Sterbebett stehen oder gar selber in diesem Bett liegen. Dann zählt die Liebe. Die Frage „Bin ich geliebt?“, bekommt eine ganz andere Bedeutung als „Bin ich gesund?“. So gilt wörtlich: Hauptsache geliebt!

Liebe verbindet Menschen, Liebe verbindet Religionen, Liebe verbindet. Liebe hat immer mit Hingabe zu tun. Für mich wird das deutlich, wenn ich daran denke, wie oft meine Eltern nachts aufstehen mussten, weil „der Kleine“ gewickelt, gefüttert oder getröstet werden musste. Wie viel Zeit, Geld und Leben haben meine Eltern für mich gegeben – aus Liebe. Ich war nicht immer ein leichtes Kind. Und wie viel Zeit, Geld und Leben geben Menschen für eine geliebte Person, ohne etwas zurückzuerwarten. Liebe ist Hingabe und steckt die eigenen Bedürfnisse zurück. Liebe will das Wohl des anderen, Liebe verhindert falsche Übergriffe in das Leben und die Entscheidungen der anderen Mitmenschen. Das gilt in großen Zusammenhängen von Terrorismus und religiöser Gewalt, das gilt in engen Beziehungen von Missbrauch und Zwangsprostitution.

Musik 2

Liebt einander! Dieses Wort verhindert Böses. Aber irgendwie klingt das alles immer noch sehr diplomatisch, fromm, in eine andere Zeit gehörend. Die eigene Erfahrung lehrt doch etwas anderes: Viel zu oft nützt dieses Wort nichts. Wenn es Beziehungsstress gibt, wenn der Tod etwas zerrissen hat, wenn mein Gegenüber nicht zur Versöhnung bereit ist, wenn Gewalt im Spiel ist. Was soll ich dann mit dieser Aufforderung tun? Was soll ich tun, wenn Bomben vom Himmel regnen? Was sollen die Flüchtlinge aus Syrien damit anfangen, wenn sie vor den Mördern der IS oder der eigenen Regierung fliehen? Was haben die Opfer von Missbrauch von einem solchen Satz? Liebt einander kann sehr hohl klingen.

Jesu Wort ist aber kein frommes Sätzchen, kein Kalenderspruch. Es ist eine Anweisung! „Ein neues Gebot gebe ich euch“ (Joh 13,34), heißt es doch im Johannesevangelium als Einleitung zu diesem Satz. Es ist nicht nur eine Anweisung, sondern in eine konkrete Situation hingesprochen. Judas, der Jesus mit einem Kuss verraten wird, der ihn seinen Mördern ausliefern wird, hatte den Raum verlassen. Das Böse nimmt seinen Lauf. Das Böse beginnt die Jünger mehr und mehr zu umkreisen, die Schlinge wird enger. In wenigen Minuten – so im Johannes-evangelium weiter – wird Jesus zum Ölberg gehen und seinen Kreuzweg beginnen. Judas ist auf dem Weg, um die Soldaten zu holen. In diesem Augenblick gibt Jesus den Jüngern auf, er gebietet es ihnen: Liebt einander! Das Liebesgebot beginnt nicht in einer Art romantischer Anwandlung, in einer entspannten Situation. Das Liebesgebot hat seinen Ursprung in Angst und Not. In Todesgefahr. Das Liebesgebot ist eine Zumutung! Wie kann Jesus so etwas verlangen?

Liebt einander! Das Liebesgebot ist nicht nur damals umlagert von Verrat, Hass, Neid, Geldgier, Tod, Verurteilung, Angst vor Revolutionen, Minderwertigkeits-komplexen, Schuld, Trauer und Versagen. Bis heute steht das Gebot im ständigen Widerspruch der schlechten Erfahrungen. Und dennoch gilt es: Liebt einander! Das ist nur zu verstehen weil das Liebesgebot erfüllt ist durch die Hingabe Jesu am Kreuz, davon, dass Gott sich von seinen Kreaturen hat ans Kreuz schlagen lassen, davon, dass der Hass und der Tod die Nagelprobe waren. Jesus selbst hat ernst gemacht mit diesem Gebot: Liebt einander! Daher ist es kein frommer Spruch geblieben. Es ist mehr, es hat seine Erfüllung gefunden durch die Auferstehung, will heißen: Die Liebe siegt sogar über den Tod. Nicht Gewalt und Mord, nicht Neid und Angst haben das letzte Wort. Die Liebe besiegt den Tod!

Musik 3

Liebt einander ist kein Kalenderspruch, sondern eine schwere Aufgabe, ein Gebot, das Jesus den Jüngern und damit allen Menschen auferlegt hat. Und hier gewinnt es doch etwas speziell Christliches: Denn, so hatte es Johannes in seinem Evangelium verheißen, „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35). Die Jünger des Herrn, mithin die Christen, auch die Frauen und Männer der heutigen Zeit, die Jesus als den Sohn Gottes bekennen: Ihnen wird dieses Gebot auferlegt. Durch die Verwirklichung dieses Gebotes wird man sie als Jünger Christi erkennen.

Ich frage mich oft, ob man an meinem Verhalten erkennen kann, dass ich ein Jünger des Herrn sein will oder es sogar bin. Ich frage mich das ganz persönlich. Ich frage das in meiner Verantwortung als Bischof für die Kirche. Ich frage aber nicht nur nach dem äußeren Bild, dem Bild, das andere von mir haben. Ich frage mich, wie ich, wie die Kirche in dieser Liebe wachsen kann. Es ist eine Liebe, die angefragt und bedrängt wird. Es ist eine Liebe, die konkret sein muss. Wenn ich darüber nachdenke, kann ich leicht der Gefahr erliegen, abstrakt zu bleiben. Daher helfen mir die Werke der Barmherzigkeit, die ich mir wie einen Spiegel vorhalte. Die Werke der Barmherzigkeit sind: Die Unwissenden zu lehren, die Zweifelnden zu beraten, die Trauernden zu trösten, die Sünder zurechtzuweisen, den Beleidigern gern zu verzeihen, die Lästigen geduldig zu ertragen, für die Lebenden und Verstorbenen zu beten, Hungrige zu speisen, Obdachlose zu beherbergen, Nackte zu bekleiden, Kranke und Gefangene zu besuchen, Tote zu begraben und Almosen zu geben. – Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander!

Musik 4

Liebt einander! Das fällt nicht schwer, wenn ich einem geliebten Menschen einen Gefallen erweise. Und wer schon einmal verliebt war, weiß von der Freude und der Schönheit, von der Romantik und der Anziehung dieser Liebe, von Sehnsucht und Hingabe, von Freiheit und Glück. Dann sind Taten der selbstlosen Liebe einfach.

Was aber ist mit dem Nachbarn, der mir nicht wohlgesonnen ist, der mir vielleicht Böses will, der schlecht über mich redet? Wie soll ich ihn lieben? Und was ist mit dem, der mich unendlich verletzt, verraten und verkauft hat? Wie soll ich den lieben können? Und wie soll ich die ewig nervende Verwandtschaft, den nörgelnden Onkel, die kontrollierende Schwiegermutter, den komischen Cousin ertragen, ja gar lieben?

Liebe wird oft mit einem Gefühl gleichgesetzt. Dann wird es von den Liebesbeziehungen abgeleitet, die wir alle kennen. Das Gebot der Liebe meint aber nicht, dass wir alle Menschen nett finden müssen, oder ein gutes Gefühl für die Person haben sollten. Es gibt Menschen, die nicht nett sind. Vielleicht finden umgekehrt auch Menschen uns nicht nett. Das Gebot der Liebe hat nichts mit nett finden zu tun, mit einem guten Gefühl. Im Gegenteil: Wer liebt, wie es das Liebesgebot Jesu meint, der überwindet die reine Gefühlsebene und bleibt nicht stehen bei der Befangenheit der eigenen Gefühle wie Trägheit, Antipathie, Missgunst oder gar Böswilligkeit.

Wiederum muss ich an meine Eltern denken. Niemand von ihnen ist nachts vor Freude aus dem Bett gesprungen, weil „der Kleine“ wieder schrie. Sie taten es aus einem bewussten Entschluss der Liebe, weil sie wussten, dass es gut und wichtig ist, das eigene Kind zu trösten und zu umsorgen. Solche Liebe reagiert nicht nach Lust und Laune, sondern aus einer festen Überzeugung, dass die Liebe dem anderen gut tut, dem anderen zum Leben verhilft: Liebe gibt. Liebe vergibt. Liebe schafft Raum. Jemand, der liebt, überwindet Schranken und Grenzen. Jemand, der liebt, übersteigt sich selbst und schafft neues Leben. Das wird mir sehr bewusst in dem, was Jesus durch seine Liebe bewirkt hat, die sogar den Tod überwunden hat.

Jesus. Er hat geliebt und sogar den Tod überwunden. Und Jesus liebt immer noch. Ich bin überzeugt: Wenn ich nicht mehr lieben kann, dann kann Er es in mir. Deshalb gefällt mir ein Gebet so gut, das auf Martin Luther zurückgeht: „Jesus, dir leb‘ ich, Jesus, dir sterb‘ ich, Jesus, dein bin ich im Leben und im Tod“ . Mit Jesus verbunden, kann ich lieben. Immer. Überall. Und wenn ich es nicht mehr kann, dann tut Er es.

Musik 5

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

Ihr Felix Genn, Bischof von Münster

Vgl. GL, Nr. 367,1.

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