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Kirche in WDR 5 | 29.04.2016 | 06:55 Uhr
Alle gleich?
Frühstück in der Jugendherberge. Ich setze mich schwungvoll an den für unsere Pfarrerfortbildung reservierten Tisch. Strahlend wünsche ich meiner Kollegin einen guten Morgen. Nur, das ist gar nicht meine Kollegin. Die Frau, die meiner Kollegin von hinten so ähnlich sieht, giftet: „Wir sind hier nicht die Zeugen Jehovas.“ „Nein“, sage ich und lächele, „wir sind hier nur die evangelische Kirche.“ „Ach, alles gleich schlimm. Alles richtig gleich schlimm.“
Sie wendet sich ab. Wie kommt sie jetzt auf die Zeugen Jehovas? Mir fällt die Gruppe junger Studenten in dunklen Anzügen ein, die hier gerade ein Seminar über Unternehmensberatung machen. Da haben wir uns wohl beide vertan. Die Frau mit ihrer Tischwahl und der Einschätzung, die angehenden Unternehmensberater wären Zeugen Jehovas. Und ich damit, sie wäre meine Kollegin und der Einschätzung, man könnte mit Freundlichkeit und evangelischer Kirche noch was gut machen.
Schade, kein schöner Start in den Tag. Und vor allem diese Aussage „Alles richtig gleich schlimm“, diese Sekten und Religionen. Wie schnell ich das vergesse, dass so viele Menschen die christlichen Kirchen so erfahren. Im Geschichtsunterricht, im Fernsehen. Im Elternhaus oder in der eigenen Gemeinde. Die Religionen sind an allem Schuld, heißt es da. Führen Kriege im Namen Gottes, haben ganze Völker auszulöschen versucht und vielen zarten Seelen Höllenqualen bereitet. Und ein Ende ist nicht in Sicht. So weit die gängige Meinung.
Und ich - ich habe das Glück, es anders zu erleben. Mein Glaube stärkt mich und andere. Und ich treffe andere, denen es mit ihrer Religion auch so geht. Zum Beispiel in unserem ehrenamtlichen interreligiösen Zeitungsprojekt. Da sind Rabeya, Muslimin und Imamin, Lara - Jüdin und Anne - Katholikin und all die anderen Frauen. Vieles haben wir gemeinsam, merke ich. Den Frust über robuste patriarchale Strukturen, die Frauen Steine in den Weg legen. Oder über mächtige Politiker oder Religionsvertreter, die keine andere Meinung gelten lassen. Aber vor allem eint uns die Lust an unseren Festen und Traditionen, den Ritualen, den Texten, die uns Kraft geben, Mut und Identität.
Wenn wir zusammen arbeiten, dann werde ich mir selbst erst einmal fremder. Gewinne einen neuen Blick auf meine Bilder und Vorstellungen von den anderen und mir selbst, meinem Gott und meinem Glauben. Und dann wieder kommen wir einander näher: Wenn wir zusammen betrauern, was die radikalen Strömungen unserer Religionen sich gegenseitig angetan haben. Und wie jede unserer Religionen zu Gewalt und Unfrieden missbraucht werden kann. Wenn wir beklagen, wie wir medial und politisch gegeneinander ausgespielt werden. Und wenn wir miteinander lachen, über so manches seltsame Vorurteil über unsere Religionen und uns freuen über die tollen gemeinsamen Projekte. Dann spüre ich in mir das Gefühl wachsen: Wir könnten alle gleich gut für diese Welt sein. Und wir sind es schon. Weil unsere Religionen uns die Liebe zu den Menschen ins Herz gepflanzt haben und wir uns gemeinsam dafür einsetzen, dass die Gerechtigkeit für alle blüht. Wir sind nicht alle nur schlimm. Wir sind auch nicht alle gleich. Und wir sind auch nicht alle immer gut. Aber gemeinsam haben wir echt Potenzial.
Meint Katrin Berger, Pfarrerin in Levern.