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Kirche in WDR 5 | 21.05.2016 | 06:55 Uhr
Stille Momente
Guten Morgen!
Jedes Jahr fahre ich nach Rom, um einer Gruppe diese wunderschöne Stadt zu zeigen. Meine Liebe für diese Stadt kommt daher, dass ich ein Jahr in Rom gelebt habe. Es ist nicht nur für viele Katholiken die Weltstadt schlechthin: Die Verbindung von Antike und Moderne, von politischer und kirchlicher Macht, von Einheimischen und Gästen – all das macht den Flair dieser Stadt aus, die auf mich wie ein großes Freilichtmuseum wirkt durch die Jahrhunderte. Die Faszination, die das alles auslöst, springt fast immer auf meine Gruppen über. Immerhin: wir absolvieren immer ein strammes Programm. Kein Wunder, dass einige Mitreisende auch schon mal müde oder sogar überdrüssig werden ob der vielen Eindrücke, die zu verarbeiten sind. Wenn es irgendwie geht, suche ich deshalb mit meinen Gruppen zwischendurch Orte auf, an denen es still ist. Ein solcher Ort ist für mich seit damals die Kirche Santi Quattro Coronati. Genauer: Es ist ein der Kreuzgang neben der Kirche zu der auch ein altes Kloster gehört. Anders als in anderen mittelalterlichen Kreuzgängen in Rom ist dieser von Santi Quattro Coronati sehr schlicht gestaltet. Keine überreich verzierten Säulen, sondern schlichte Baukunst aber doch von einfacher Schönheit. Dieser Ort ist für mich der friedlichste in Rom überhaupt. Denn hier ist es phantastisch still – im Gegensatz zu der sonst doch lauten und lärmenden Stadt. Es kommt mir bei jedem Besuch vor, als ob man kurzerhand in einer andere Welt eintreten würde. Dazu trägt ein kleiner Brunnen bei, der in der Mitte des Kreuzgangs steht. Das Plätschern seines Wassers und die ruhige, gleichförmige Bewegung des Wasser untermalen die Besonderheit dieses Ortes, vor allem seine Ruhe.
Meine Reisegruppe lade ich in der Regel dazu ein, sich dort zehn bis fünfzehn Minuten einfach Zeit zu nehmen, jeder und jede für sich.
Ich bin immer wieder überrascht, wie gut diese Erfahrung den einzelnen tut! Die Gruppe hat neue Kraft getankt und wirkt ein bisschen innerlich erfrischt. Interessant ist für mich, was dann geschieht: Nach dieser Unterbrechung kommen auf einmal Themen und Fragen in der Gruppe zur Sprache, die menschlich bewegen und tiefer liegen. Fragen nach dem Sinn des eigenen Lebens, nach der Zukunft. Es wird auch einfach nur festgestellt, wie gut die Ruhe tut angesichts der Hektik und Lautstärke – und das nicht nur in Bezug auf die Stadt Rom. Wie gerne würde ich diese Erfahrung der Ruhe im Kreuzgang von Santi Quattro Coronati in Rom festhalten und in den Alltag mitnehmen, sagen mir Mitreisende immer wieder – und das kann ich selbst nur bestätigen. Es berührt mich, wenn ich selbst in stillen Momenten mit mir selbst, und auch mit Gott, in Kontakt komme. Solche Momente sind wichtig, um im Alltag etwas tiefer zu fühlen. Wobei ich auch spüre, dass stille Momente unberechenbar sind. Denn es kann etwas aufbrechen, was mich herausfordert, vielleicht sogar überfordert. Aber es kann nur etwas aufbrechen, was sowieso schon da ist. Und ich vertraue dann darauf, dass alles, egal was mich da bewegt, letztlich von Gott gehalten und bei ihm aufgehoben ist und damit für mich zur Ruhe wird. Auch von dieser göttlichen Ruhe erahne ich selbst etwas im Kreuzgang von Santi Quattro Coronati.
Es muss nicht immer Rom sein. Orte der Ruhe und des Durchatmens gibt es auch hier im normalen Alltag. Allerdings: solche Orte und Gelegenheiten ergeben sich nicht von selbst, ich muss sie gezielt aufsuchen. Und es kann auch nicht immer ein mittelalterlicher Kreuzgang sein. Dafür aber vieles andere: die einmal geschlossene Bürotür, eine dreiminütige Gymnastik am Arbeitsplatz. Ein kurzer Blick auf ein schönes Bild. Oder ein stiller Moment auf dem Weg zum nächsten Termin.
Herzlich grüßt Sie aus Paderborn Ihr Domvikar Michael Bredeck.