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Das Geistliche Wort | 16.02.2014 | 08:40 Uhr

Was heißt hier Erfüllung?

Guten Morgen liebe Hörerinnen und Hörer!

Was macht das Leben reich und glücklich? Was trägt zu einem erfüllten Leben bei. Auf diese uralten Fragen gibt es keine fertige und allgemeingültigen Antworten. Aber es gibt Beispiele, wie Menschen für sich diese Fragen beantwortet haben. Mit dem heutigen Datum verbinden sich zwei historische Ereignisse, die für mich zwei Extreme von Erfüllung beschreiben.

Musik I

Zwei historische Beispiele für Erfüllung, die unterschiedlicher kaum sein können:

Das erste Beispiel erinnert an das Geschenk eines erfüllten Lebenstraumes: 16. Februar 1923. Howard Carter und Lord Carnarvon betreten die Grabkammer Tutanchamuns.

Wir befinden uns in Ägypten und in der Welt der Archäologie. Seit dem Jahr 1899 zeichnet hier ein junger Mann aus England Ausgrabungsfunde auf. Schließlich findet er Gefallen am Ausgrabungsgeschäft selbst. Sein Name: Howard Carter. In Lord Carnarvon, trifft er einen Gleichgesinnten und - was noch viel wichtiger ist – auf den notwendigen Geldgeber, um sich im berühmten Tal der Könige in Theben betätigen zu können. Zwar entdecken beide viele Schätze, aber Howard Carter bleibt unzufrieden. Er ist fest davon überzeugt, dass irgendwo noch das Grab Ramses VI. existieren muss, genannt Tutanchamun. Kurz bevor Lord Carnarvon entnervt die Zahlungen einstellen will, stößt das Team Carters am 4. November 1922 tatsächlich auf den Treppenabgang zum Grab des Pharaos. Die fast unversehrte Grabkammer selbst kann Carter erst gut ein viertel Jahr später, genau am 16. Februar 1923, betreten. Damit geht Carters Archäologentraum wirklich in Erfüllung. Seine innere Ahnung, dass es einmal so kommen werde, hatte zuvor ungeheure Energien freigesetzt, so dass er nie an seinem Vorhaben ernsthaft gezweifelt hatte. Ein erfülltes Archäologenleben!

Mit dem heutigen Datum verbindet sich aber auch ein Beispiel ganz anderer Art von Erfüllungsvorstellung:

16. Februar 1568: Die Kongregation der römischen Inquisition verurteilt alle Niederländer wegen Häresie zum Tode.

König Philipp II. von Spanien versucht seit seinem Amtsantritt im Jahr 1555, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, zu dem damals auch die Niederlande gehörten, für die Habsburger zusammenzuhalten. Die Niederlande versuchen, sich dem Zwangsregime zu entziehen. Diese Unabhängigkeitsbewegung geht einher mit der Übernahme des Bekenntnisses des Reformators Johannes Calvins. So kommt zur politischen Freiheitsbewegung noch die Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten hinzu. Es wächst eine unselige Koalition zwischen Rom und Spanien: Mittels Inquisition versucht man, die Niederlande in die Knie zu zwingen. Mit Ausnahme einiger namentlich genannter Persönlichkeiten werden alle 3 Millionen Niederländer am 16. Februar 1568 der Ketzerei bezichtigt und zum Tode verurteilt. 10 Tage später bestätigt König Philipp diese Verfügung und lässt mit den ersten Hinrichtungen anfangen. Es ist der Beginn eines Blutbades:

Menschen sind erfüllt von einem Eifer, der bereit ist, über Leichen zu gehen. Was heute nur Unverständnis und vielleicht Wut über diesen Fanatismus auslöst, zeigt eine besessene Vorstellung von Religion und weltlicher Macht, die zu wissen meint, wie andere zu leben und was sie zu glauben haben. Platz für andere Vorstellungen von einem erfüllten Leben bleibt da nicht mehr.

Musik II

Zwei zeitgeschichtliche Erinnerungen zum heutigen Tag, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun 1923 und das Todesurteil gegen alle Niederländer wegen der Häresie 1568. Beide Ereignisse kreisen um das eine Stichwort „Erfüllung“. Erfüllung steht hier in der Spannung zwischen Begeisterung und Fanatismus, zwischen Lebensglück und Lebenszerstörung.

Erfüllung spielt auch bei Jesus eine Rolle. Aber, was ist angesichts der gerade aufgezeigten Spannung, die mit Erfüllung umrissen ist, gemeint, wenn heute im katholischen Sonntagsgottesdienst Jesus zu Worte kommt:

„Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.“ (Mt 5,17)

Diese Ankündigung eröffnet wie ein Motto den zweiten Teil der sogenannten Bergpredigt. Die Ortsangabe ist in Anspielung auf Mose gewählt, der die Tafeln mit den Zehn Geboten von einem Berg mitbrachte und zwar vom Berg Sinai, dem Ort der Gottesoffenbarung. Matthäus will deutlich machen: Hier bei der Bergpredigt offenbart sich Gott auch: und zwar in diesem Jesus, der Moses überbietet. Denn er bringt nicht bloß erlassene Gesetze von Gott mit, sondern er spricht mit göttlicher Vollmacht aus sich selber heraus und legt sie aus.

Dabei klingt das Ganze zunächst einmal so, dass es wirklich darum geht, buchstabengetreu das Gesetz zu halten. Meint das aber die Rede vom Erfüllen des Gesetzes im Munde Jesu? Das also ist die entscheidende Frage: Was heißt hier Erfüllung?

Musik III

Was meint Jesus, wenn er von der Erfüllung des Gesetzes spricht? Besteht seine Sendung darin, buchstabengetreu die Gebote des Alten Testaments zu halten? Fordert er Gesetzesgehorsam um jeden Preis? Und wäre das nicht geradezu die Begründung für fanatische Pflichterfüllung, wie sie in der Verurteilung aller Niederländer zum Tode durch die römische Inquisition am 16. Februar 1568 grausame Wirklichkeit geworden ist?

Keine Frage, eine solche Auslegung des Wortes Jesu hat es in der Vergangenheit gegeben. Aber es scheint doch eher ein Missverständnis, das denen in die Hände spielt, die zu wissen meinen, was das Gesetz genau meint. Erfüllen im Sinne von „das Gesetz bis ins Letzte einhalten“, wird dem Leben in seiner Vielfalt nicht gerecht, es wäre die Vereisung des Lebens. Für erfülltes Leben – wie ich es verstehe – gäbe es da keinen Spielraum mehr. Denn akribische Gesetzeserfüllung passt so gar nicht zur sonstigen Botschaft Jesu und auch nicht zu den Beispielen, die er in der weiteren Bergpredigt anführt. Mehrmals stellt er nämlich einem Gebotssatz aus den Zehn Geboten seine eigene Sichtweise gegenüber. Das erste und markanteste Beispiel sei einmal ausgewählt, um näher zu ergründen, was „das Gesetz erfüllen“ im Sinne Jesu heißt.

Jesus zitiert das Tötungsverbot. „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten.“ Dann fasst er auch noch die jüdische Rechtspraxis zusammen: „Wer aber jemand tötet, soll dem Gericht verfallen sein.“, um dann schließlich mit seiner Sicht fortzufahren: „Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du gottloser Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.“

(Mt 5,21-22)

Aber ist diese Sichtweise Jesu nicht noch viel enger als die jüdischen Gesetze, so dass dem Fanatismus doch erst recht Tür und Tor geöffnet sind?

Jesus denkt sich in die Logik derer hinein, für die buchstabengetreue Gesetzeserfüllung alles bedeutet, aber er verändert die Vorzeichen. Der Tötungsfall ist nicht erst gegeben, wenn man jemanden umbringt. Die tödlich endende Spirale der Gewalt beginnt doch oft sehr viel früher: nämlich beim Zornesausbruch, bzw. wenn jemand einen anderen beschimpft oder beleidigt. Zornausbruch als Tötungsdelikt – und das gehört vor Gericht! So auf die Spitze getrieben, wird das Denken derer, die ängstlich und eng den Wortlaut des Gesetzes erfüllen wollen, zur Karikatur. Jesus zeigt auf, wie absurd eine solche Logik ist, die allein auf Erfüllung beharrt. Ja, sie ist doppelt absurd: weil sie zum einen meint, alles müsse vor Gericht gebracht werden; und weil sie zum anderen übersieht, dass viele Dinge, die das Miteinander bestimmen, gar nicht gesetzlich zu regeln sind.

Musik IV

Was meint Jesus, wenn er seine Sendung darin sieht, Gesetz und Propheten zu erfüllen und nicht aufzuheben? Die Karikatur einer strikten Gesetzeserfüllung weist eine Spur. „Erfüllen“ meint nicht akribisch Gesetze zu befolgen, sondern nach dem eigentlichen Sinn des Gesetzes zu fragen. Denn das Gesetz ist nicht um des Buchstabens willen da, sondern um der Menschen willen, deren Leben, Freiheit und Wohlergehen es schützen und fördern möchte.

Jesus kehrt eine bis heute gängige Sicht auf das Gesetzeswesen um, die lediglich fragt: „Was darf ich tun und was ist mir verboten?“ Denn auf dieser engführenden Basis scheint das Leben darin zu bestehen einen Katalog genau abzuarbeiten und – um nicht daran zu scheitern – vor allem die Schlupflöcher zu finden, um das Ge- und Verbotene letztlich doch umgehen zu können. Die Frage lautet doch vielmehr: Wie kann ich die Lebensweisungen Gottes kreativ so anwenden, dass sie Leben ermöglichen; dass ich zu einem erfüllteren Leben gelange. Das Beispiel, das Jesus wählt, rät zu einer sehr weiten Auslegung dessen, was unter Töten zu verstehen ist. Es ist nicht erst der Mord, sondern bereits das Wort kann töten: Der Zornesausbruch, der einen anderen klein und hilflos dastehen lässt, die Beschimpfung, die dem anderen Unrecht zufügt. Es scheint, als ob Jesus die Maschen des Gesetzes ganz klein und eng macht, dabei greift er durch diese Maschen nach dem Herzen des Menschen. Es geht ihm um eine veränderte Einstellung zum Leben und das führt zu einer Umkehrung der Perspektive.

Das zeigt sich in der weiteren Rede Jesu, wenn er nicht rät – wie man es erwarten würde – im Tempel seine Gabe stehen zu lassen, wenn einem einfällt: Ich bin jemandem böse. Nein: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe.“ (Mt 5,23f.) Das würde in der Tat vieles in menschlichen Beziehungen ändern, sich selbst erst einmal zu fragen: „Hat jemand etwas gegen mich?“ Und dann den ersten Schritt zur Beseitigung dieser Verstimmung zu tun, ohne auf den anderen zu warten.

Das ist nicht mehr Buchstabenerfüllung des Gesetzes. So etwas kann man überhaupt nicht verordnen. Aber wo eine solche Umkehrung der Perspektive gelingt, kann eine Ahnung davon entstehen, was Erfüllung auch diesseits der eher seltenen Erfüllung von Lebensträumen wie bei Howard Carter sein kann: einen neuen Spielraum zu entdecken, um wirklich in menschlichen Beziehung leben zu können.

Musik V

Solche Art von Erfüllung wünscht ihnen Gunther Fleischer aus Köln.

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