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Das Geistliche Wort | 20.11.2016 | 08:35 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Und danach? – Bilder vom Leben nach dem Tod

Wir sitzen im Wohnzimmer. Trauergespräch. Ich bin zu Besuch bei Frau Richter (1) aus unserer Gemeinde. Ihr Mann ist vor kurzem gestorben, nach über fünfzig gemeinsamen Jahren. Zuletzt war es abzusehen, dass er sterben würde. Aber als es dann wirklich passierte, war es für sie doch ein Schock. Ich merke das immer wieder: Den nahenden Tod eines lieben Menschen vor Augen zu haben und ihn dann wirklich zu erleben, das sind zwei sehr verschiedene Dinge. Wir sagen ja oft, man muss sich vorbereiten auf den Abschied. Und das ist auch wichtig und wahr. Aber ich glaube, wir können das nur sehr begrenzt. Wir können die Endgültigkeit nicht vorwegnehmen. Die spüren wir erst in ihrer ganzen Härte, wenn wir sie erleben. Vielleicht kennen Sie das Buch „Ronja Räubertochter“ von Astrid Lindgren. Wir haben es unseren Kindern zigmal vorgelesen. Am Ende dieses Buches stirbt der älteste Räuber, Glatzen-Per, so etwas wie ein väterlicher Freund des Räuberhauptmanns Mathis. Und Mathis schreit seine ganze Traurigkeit und seinen Schmerz heraus und sagt dabei einen Satz, der mich bis heute tief berührt: „Er war immer da“, sagt er, „er war immer da – und jetzt ist er nicht mehr da!“ Das ist es doch, mit ganz einfachen Worten gesagt: Da hat ein Mensch fest und intensiv zu meinem Leben gehört, da war jemand verlässlich und fast selbstverständlich immer dabei – und plötzlich ist er einfach nicht mehr da, endgültig nicht mehr.

Frau Richter erzählt, wie sie ihren verstorbenen Mann überall sucht. Sie sieht ihn am Küchentisch, auf seinem Platz auf dem Sofa – wir haben ja alle so unsere vertrauten Orte. Manchmal meint sie zu hören, wie er den Schlüssel auf das Sideboard im Flur legt, wie er das immer gemacht hat, wenn er nach Hause kam. Und jedes Mal ist es wie ein Stich, zu spüren: Nein, er ist es leider nicht.

Musik 1: Track 10 Voices of Om ...

Während ich Frau Richter zuhöre, denke ich: Manche Menschen sind wie Bäume, die lange Zeit in großer Nähe zueinander gewachsen sind. Ihre Wurzeln haben sich berührt, verbunden, sind zusammen gewachsen. Wenn einer von ihnen fällt, dann reißt er etwas vom anderen mit heraus. Und es braucht nicht unbedingt fünf Jahrzehnte Ehe, damit das so ist.

Im Verlauf des Gesprächs zeigt mir Frau Richter die Traueranzeige, die sie für ihren Mann entworfen hat. Im Hintergrund sieht man einen Weg, der sich durch eine Landschaft windet und am Horizont in den Bergen verschwindet. Und hinter diesen Bergen ist die helle Sonne zu sehen. Vielleicht kennen Sie dieses Bild, man sieht es öfter als Hintergrund von Traueranzeigen. „Ich habe das Bild wegen meinem Mann ausgesucht“, sagt Frau Richter. „Auf solchen Wegen ist er immer gerne gewandert.“ Ich schaue mir den Weg an und versuche mir vorzustellen: So ähnlich war vielleicht der Lebensweg des Verstorbenen. Nicht gradlinig, eher gewunden, hin und her, mal rauf, mal runter, mal an einem Fluss entlang, manchmal eher durch trockenes Gebiet. So ähnlich sind alle Lebenswege. Und wenn ein Mensch stirbt, dann sehe ich seinen Weg nicht länger, dann verliert er sich am Horizont.

Und dann betrachte ich die Sonne. Sie steht genau da, wo ich den Weg nicht mehr sehen kann, wo er quasi verschwindet dort oben in den Bergen. Und ich frage Frau Richter: „Was meinen Sie: geht die Sonne hier unter oder auf?“ – „Ich weiß nicht“, sagt sie. „Ich habe sie erst immer untergehen sehen. Vielleicht, weil ich mich gerade so fühle: dass es zu Ende ist.“ Und dann überlegt sie weiter: „Aber vielleicht geht sie auch auf. Vielleicht geht sie für ihn jetzt auf, nach all seinen Schmerzen und seiner Krankheit. Ja, ich hoffe das: dass für ihn jetzt die Sonne aufgeht!“

Musik 2: Track 6 Barolos ...

Nach diesem Trauer-Gespräch habe ich gedacht: Wie gut ist es, wenn wir Bilder haben, die von Hoffnung erzählen. Oder die für uns zu Hoffnungsbildern werden. Frau Richter hatte dieses Bild ursprünglich ja nicht ausgesucht, um ihre Hoffnung zum Ausdruck zu bringen. Sie hatte etwas gesucht, was zu ihrem Mann passt. Aber beim genaueren Hinsehen ist es ihr zu einem Bild der Hoffnung geworden. Und ich weiß nicht, wie oft sie später noch darauf geschaut und in dem Moment gedacht hat: „Da ist mein Mann jetzt. Im Licht. In einem neuen Tag.“ Ihr Schmerz ist dadurch nicht weg, ganz sicher nicht. Aber sie hat etwas, was sie ihm zur Seite stellen kann.

Immer häufiger finde ich solche Bilder auf Traueranzeigen. Mal ist dieser Weg darauf zu sehen, mal das Meer, mal ein offenes Fenster, durch das man auf eine Blumenwiese schauen kann.

Alles Bilder vom Leben nach dem Tod. Obwohl niemand genau weiß, wie es wirklich sein wird. In solchen Bildern drückt die menschliche Seele aus, wie es sein könnte. Eine Ahnung. Es könnte sein, dass wir aus dem Dunkeln ins Licht gehen. Ja, es könnte sein, dass wir uns am Horizont nicht verlieren, sondern in einen neuen Tag hineingehen. Eines Tages treten wir vielleicht aus all unseren Ängsten und Belastungen und Verletzungen heraus in die Weite. Licht und Weite, das ist es, was all diese Bilder ausstrahlen. Und genau darauf hoffe ich.

Musik 3: Track 10 Voices of Om ...

Wenn jemand stirbt, dem ich verbunden war, braucht es vieles. Menschen, bei denen ich so sein darf wie ich gerade bin. Bei denen ich weinen darf. Bei denen ich Geschichten erzählen kann oder einfach schweigen, wenn es nichts zu sagen gibt. Manchmal brauche ich es auch, allein zu sein. Manchmal brauche ich Ablenkung. Man kann nicht pausenlos, rund um die Uhr, Trauerarbeit leisten. Das hält keiner aus. Und dann brauche ich Bilder der Hoffnung über den Tod hinaus. Ich sehe mir die Bilder auf Traueranzeigen gerne an, obwohl sie mir manchmal schlicht vorkommen und ein bisschen naiv. Besonders kostbar sind mir noch andere Bilder: die Hoffnungsbilder, die die Bibel zeichnet. Auch das sind Sätze, die Menschen gesagt und geschrieben haben. Aber mir kommen sie vor wie Lichtstrahlen, wie Botschaften aus einer anderen Wirklichkeit. Zum Beispiel der Satz aus der Offenbarung des Johannes, ganz am Ende der Bibel:

Sprecherin: „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein.“ (Offenbarung 21,4)

Ein kostbarer Satz! Meine Tränen der Trauer und des Schmerzes, meine Tränen des Zorns und des Protestes gegen den vielleicht viel zu frühen Tod eines geliebten Menschen – alles darf sein, alles wird gesehen und ernst genommen, jede einzelne Träne.

All das darf sein – und all das ist nicht das Letzte! Das Letzte wird Gott selber sein, der in meine Traurigkeit hineinkommt. Die Tränen behutsam trocknet. Mich verwandelt und heilt.

Ein anderes Bild hat der Apostel Paulus gezeichnet: Er vergleicht das Leben mit einem Samenkorn:

Sprecherin: „Gesät wird Vergängliches, Unvergängliches entsteht zum Leben. Gesät wird das Schwache, in Kraft wird es auferstehen!“ (1. Korinther 15,42-43)

In die dunkle Erde gesät wird das Samenkorn, auferstehen wird die voll entfaltete Ähre in all ihrer Schönheit und Kraft. Was muss das nach dem Tod für ein neues Erblühen sein in Gott, unter der Sonne seiner Liebe!

Ein sehr interessantes anderes Bild vom Leben nach dem Tod malt der Prophet Jesaja:

Sprecherin: „Gott wird den Tod verschlingen auf ewig!“ (Jesaja 25,8)

All das, was der Tod bei uns anrichtet an Verletzung, an Zerstörung, all das nimmt Gott in sich selber auf. Er nimmt die Kälte und Dunkelheit des Todes selber auf sich und in sich hinein. Ein Konfirmand übersetzte das in die heutige Sprache mal so: „Gott zieht sich selber rein, was uns kaputtmacht!“

Wenn der Tod in Gott ist, dann sind auch alle in ihm, die schon gestorben sind und die wir hier oft so schmerzlich vermissen.

An diesem Ort will ich gern all unsere Toten glauben: in Gott, im Licht seiner Liebe, die schon hier in dieser Welt immer wieder in Dunkelheit hineinstrahlt.

Musik 4: Track 7 Growth of a Flower ...

Mancher denkt sich jetzt vielleicht: Sind das nicht Wunschträume? Bastelst Du Dir da nicht etwas zurecht, um besser mit dem Tod klarzukommen? Ist es nicht ehrlicher, auszuhalten, dass der Tod nun mal das Ende ist – und sonst nichts mehr? Der Wissenschaftler Richard Dawkins schreibt in seinem Buch „Der Gotteswahn“:

Sprecherin: „Wir alle müssen sterben, das heißt, wir haben Glück gehabt. Die meisten Menschen sterben nie, weil sie nie geboren werden. Die Männer und Frauen, die es rein theoretisch an meiner Statt geben könnte, sind zahlreicher als die Sandkörner in der Sahara … Und entgegen dieser gewaltigen Wahrscheinlichkeit gibt es gerade Sie und mich in all unserer Gewöhnlichkeit. Wir wenigen Privilegierten haben in der Geburtslotterie gegen alle Wahrscheinlichkeit gewonnen. Wie können wir es da wagen, über unsere vermeintliche Rückkehr in jenen früheren Zustand zu jammern, aus dem die große Mehrheit nie herausgetreten ist?“ (2)

Dawkins hat recht: Mein Leben ist ein großes und kostbares Geschenk, über das ich nur staunen kann. Unter unglaublich vielen Möglichkeiten bin ich geworden. Und Sie, die Sie jetzt zuhören. Das allein ist schon ein großer Reichtum.

Und trotzdem. Es gibt Tage, da fühle ich das anders. Daran hat mich eine Jugendliche vor kurzem erinnert, die erzählte:

Sprecherin: „Manchmal denke ich, dass ich irgendwann gar nicht mehr da bin. Und meine Lieben auch nicht. Und dieser Gedanke macht mich unheimlich traurig.“

Ich spüre diese Traurigkeit auch. Und ich finde, sie ist nicht nur Gejammer schwacher Menschen. Sie ist auch Ausdruck von Sehnsucht nach Ewigkeit. Einer Sehnsucht nach einem Zuhause, das nicht allein von dieser Welt ist. Ich glaube, dass Einer diese Sehnsucht in uns hineingelegt hat. Der, der selber der Ewige ist. Und der sich danach sehnt, das wir uns nach ihm sehnen.

Natürlich, wir erleben hier vom Tod nur, dass er das Leben eines Menschen endgültig beendet. Wir wissen nichts über den Tod hinaus. Selbst die Autoren der Bibel sind sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, ein Leben nach dem Tod zu beschreiben. Erst spät haben die jüdischen Glaubensvorfahren ihre Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod geäußert. Gottes Liebe und Treue kann doch auch nicht einfach an dieser Grenze halt machen. Es ist der Glaube an Gottes verlässliche und bleibende Güte, der Menschen in Israel über den Tod hinaus hat hoffen lassen. Und es ist die Erfahrung von Ostern: Da war einer, den hat der Tod nicht halten können. Der ist von Gott aus dem Tod ins Leben gerufen worden. Jesus Christus. Und als Christ habe ich Anteil daran. Und darf hoffen, dass es auch mir einmal so gehen wird.

Beweise für ein Leben nach dem Tod gibt es also nicht. Aber Hoffnungsbilder, die über sich selbst hinausweisen auf Gott. Und es gibt die Berichte der Jüngerinnen und Jünger Jesu vom ersten Ostermorgen. An dem ihnen der erschienen ist, den sie für endgültig tot und begraben hielten. Jesus. Man sagt ja oft: „Es ist noch keiner zurückgekommen.“ Der christliche Glaube sagt: „Einer war da. Und hat sich seinen Freunden gezeigt. Einer ist erschienen. Und sein Weg durch die Dunkelheit ins Licht wird auch unser Weg sein.“ Darauf darf ich mich verlassen. Und deshalb möchte ich, dass bei meiner Beerdigung eines Tages ein Satz des Apostels Paulus gelesen wird:

Sprecherin: „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes – nicht einmal der Tod!“ (Römer 8,38-39)

Halten Sie die Hoffnung fest! Es verabschiedet sich Joachim Römelt von der Evangelischen Kirchengemeinde Solingen-Dorp.

Musik 5: Katie Melua: Track 9 Thankyou, Stars, ...

(1)Name von der Redaktion geändert.

(2)Richard Dawkins: Der Gotteswahn, Ullstein, Berlin 9/2007, S. 533.

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