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Das Geistliche Wort | 22.01.2017 | 08:35 Uhr

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Glauben heißt lieben

Autor: Es ist ein Mittwochabend, wenige Tage vor Weihnachten. Die Frau – Ende siebzig – und ich – wir sitzen in ihrem Wohnzimmer. Alles ist adventlich geschmückt. Kleine Engel stehen auf dem Sideboard, der Adventskranz auf dem Wohnzimmertisch hat rote Kerzen. „Wir haben uns so auf Weihnachten gefreut“, sagt sie. „Die Kinder kommen.“ Doch dann weint sie und legt ihr Gesicht in die Hände; „Das kann doch einfach nicht sein. Wir wussten, dass sein Herz schwach ist, aber damit haben wir nicht gerechnet, niemals!“ Vor wenigen Minuten ist ihr Mann verstorben. Plötzlich, beim Einkaufen. Zwischen den Regalen eines Supermarktes brach er zusammen. Viele Jahre waren sie verheiratet, diese beiden, haben Kinder und Enkel. Und nun ist er tot, ihr Ehemann, Gefährte über viele Jahrzehnte, Vater ihrer Kinder. Alle Versuche, sein Herz wieder zum Schlagen zu bringen, blieben erfolglos.

Musik 1: Titel: Track 1 La mia casa 1

Autor: „Wir haben uns gut verstanden, mein Mann und ich“, sagt die Frau, die mir gegenübersitzt. „Ich kann es einfach nicht glauben. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht dabei war, als es passiert ist.“ Ich höre zu, sage nur wenig, spüre ihren Schmerz und die tiefe Verbundenheit dieses Ehepaares. Ein Stapel Weihnachtspost liegt auf der Vitrine, fertig frankiert, zum Abschicken bereit. Jahrzehnte haben sie miteinander geteilt. Familie, Freunde, den Alltag und die Feste, auch viele Weihnachten. Ein gemeinsamer Weg ist zu Ende, abrupt, völlig unerwartet, unwiderruflich ein Abschied.

Es sind Situationen wie diese, in denen wir als Mitarbeitende der Notfallseelsorge gerufen werden. Auch diesmal erhalte ich nur eine kurze Information, als mich die Leitstelle der Feuerwehr anruft. Ein 82-Jähriger sei in einem Supermarkt verstorben. Viele Mitarbeitende im Geschäft, auch Kunden hätten es mitbekommen. Die Ehefrau des Verstorbenen sei schon vor Ort. Mit dieser knappen Lagebeschreibung fahre ich los.

Bei meiner Ankunft treffe ich auf den Notarzt. Er berichtet, dass man den alten Mann leblos zwischen den Regalen auf dem Boden gefunden hatte. Der Geschäftsführer des Supermarktes hatte sofort mit Herzdruckmassage und Beatmung begonnen. Der Rettungsdienst war schnell vor Ort; aber es gelang auch dem Notarzt nicht, den herzkranken Mann wieder ins Leben zu holen. Sein Herz war einfach zu schwach. Wenige Minuten nach dem Tod traf seine Frau ein. Sie war ihren Mann suchen gegangen. Und so konnte sie sich von ihm Mann verabschieden, ihn noch einmal anschauen und berühren, das Unfassbare begreifen.

Ich habe die Witwe nach Hause begleitet, sitze auf ihrem Sofa und höre einfach zu. Tränen und Lächeln wechseln. Jede Minute, jede Einzelheit wird erinnert. Auch die Situation im Supermarkt. Mich beeindruckt der Geschäftsführer dieses Marktes; wie beherzt und entschlossen hat er getan, was dran war. „Er hat alles richtig gemacht“, hat mir der Notarzt gesagt. „Lehrbuchmäßig.“ Auch die Mitarbeitenden im Geschäft haben unterstützt, die Situation mit bewältigt.

Dann der Notarzt und die Rettungsdienstler – mit Blaulicht durch den Feierabendverkehr. Hier war ein Team tätig – hat versucht, diese lebensbedrohliche Situation zu wenden, die sich in Sekunden entwickelte und die niemand vorausgesehen hat. Mit viel Umsicht, Beherztheit und Entschlossenheit haben sie alle um das Leben dieses Menschen gekämpft.

Vermutlich wird nicht in der Zeitung stehen, was hier an diesem Adventsabend kurz vor Weihnachten passiert ist. Es wird vielleicht von nur wenigen bemerkt. Aber es sind diese Lebensleistungen, mutig, entschieden und zupackend, die unsere Gesellschaft zusammen halten und überzeugend zeigen, was Menschlichkeit ist.

Musik 2 = Musik 1

Autor: Gerade dann, wenn ein Leben endet, ist jede Floskel, jede Belanglosigkeit fehl am Platz. Wenn ich an den Ort eines Unglücks komme, treffe ich auf starke Gefühle. Es sind intensive Momente, in denen klar wird, wie kostbar Leben ist.

Martin Luther hat seine Gemeinde in einer Predigt daran erinnert:

Sprecherin 1: „Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert und es wird keiner für den andern sterben, sondern ein jeglicher in eigener Person muss für sich mit dem Tod kämpfen. In die Ohren können wir wohl schreien, aber ein jeglicher muss für sich selber geschickt sein in der Zeit des Todes: Ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir.“ (1)

Autor: Mit diesen Sätzen begann Luther am 9. März 1522 in der Stadtkirche zu Wittenberg eine Predigt. Es war sein erster öffentlicher Auftritt nach Monaten, in denen er sich auf der Wartburg versteckt hielt. Als verurteilter Ketzer musste er mit Verfolgung, Verhaftung und Tod rechnen. Enge Freunde hatten ihn deshalb zum Schein auf die Wartburg entführt und der Öffentlichkeit entzogen. Aber dann gab es Unruhe in Wittenberg. Und Luther erfuhr, dass es zu gewaltsamen Übergriffen und dem Versuch einer radikalen Umgestaltung des kirchlichen Lebens kam. Da entschloss er sich zur Rückkehr. Anfang März 1522 traf er in Wittenberg ein und begann eine Reihe von acht Predigten – mit diesen Worten von Sterben und Tod.

Und ihm war klar: Im Sterben ist jeder Mensch ganz auf sich gestellt. Diesen Weg muss jede, muss jeder alleine gehen. Was aber bleibt dann? Und was geschieht mit denen, die zurückbleiben?

Sprecherin 2: „Gott will nicht Zuhörer oder Nachredner haben, sondern Nachfolger und Ausübende, und das im Glauben durch die Liebe. Denn der Glaube ohne die Liebe genügt nicht, ja ist kein Glaube sondern ein Scheinglaube…“ (2)

Autor: So heißt es weiter in Luthers Predigt. Die Liebe ist entscheidend. Bei allem. Auch im Glauben. Glaube ohne Liebe ist Scheinglaube. Starke Worte. Wenn ich an die Witwe denke, die gerade ihren Mann verloren hat, dann ahne ich die Kraft der Liebe. Eine Liebe, die Jahrzehnte überdauert hat und auch über den Tod hinaus noch da sein wird. Aber auch der Chef des Supermarktes und die Mitarbeitenden des Rettungsdienstes sind lebendige Beispiele für die Liebe zum Leben. Es braucht eine solche Liebe oder einen Glauben, die helfen, beherzt, entschlossen und ohne zu zögern zu handeln.

Sprecherin 3: „Darum lasst uns das mit Furcht und Demut verhandeln und einer dem andern zu Füßen liegen, einander die Hände reichen, einer dem andern helfen.“ (3)

Autor: So predigte Martin Luther weiter. Ich weiß nicht, ob die Männer und Frauen im Supermarkt oder im Notarztwagen religiös sind oder einer Kirche angehören. Aber sie haben in Liebe gehandelt, um ein Leben gekämpft, ohne dass sie den Mann überhaupt kannten, der da zusammengebrochen war. Und so handelten sie stellvertretend für alle, die ihn kennen und lieben. Sie gaben diesem letzten Moment in einem Menschenleben Würde.

„Ihr Mann war nicht allein, als er starb“, sage ich zu seiner Frau. „Da waren Menschen, die um ihn gekämpft haben bis zuletzt.“ – „Ich weiß“, sagt sie, „ich konnte mit ihnen sprechen.“

Musik 3: Titel: Track 3 People help the people

People help the people

And if your homesick, give me your hand and i'll hold it

People help the people

And nothing will drag you down

Oh and if I had a brain, Oh and if I had a brain

i'd be cold as a stone and rich as the fool

That turned, all those good hearts away

Autor: Nicht immer verhalten sich Menschen so vorbildlich wie der Geschäftsführer, die Supermarktmitarbeiter oder vielleicht auch die Kunden, die Alarm geschlagen haben, als der alte Mann seine Kraft verlor.

Da bricht ein 82-Jähriger im Eingangsbereich einer Bankfiliale zusammen. Kunden gehen achtlos an ihm vorbei zum Geldautomaten, um ihre Geschäfte zu erledigen. Erst nach 20 Minuten hilft jemand. Es ist zu spät. Der Mann stirbt später. (4)

Da erleidet ein Neunundvierzig-Jähriger in Düsseldorf einen Schlaganfall mitten auf einer belebten Straße. Viele Passanten gehen vorbei. Erst nach einer Viertelstunde hilft jemand und ruft den Notarzt. Wertvolle, überlebenswichtige Minuten gehen verloren. Der Mann überlebt und sucht über Facebook nach seinem Schutzengel. (5)

Sprecherin 4: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (6)

Autor: Freiheit ist evangelisches Programm. Aber Freiheit heißt im christlichen Sinn nicht nur frei sein von, sondern auch frei sein für etwas. Es ist Ausdruck von Glaubensfreiheit, sich verantwortlich für andere zu fühlen und ihnen zu helfen. Luther kehrte von der Wartburg zurück, weil einige in Wittenberg ihre neue Freiheit rücksichtslos ausleben wollten. Auch vor Gewalt scheuten sie nicht zurück. Rechte Glaubensfreiheit hieß für Luther: Handle überlegt und maßvoll. Nimm Menschen respektvoll in den Blick.

Am Ende trägt jeder Mensch selbst Verantwortung für sein Leben und sein Handeln vor Gott und den Menschen. Jede und jeder muss das eigene Gewissen befragen. Ganz besonders dann, wenn es um Leben und Tod geht.

Daran hat Martin Luther in seiner Predigt erinnert.

Musik 4 = Musik 3

God knows what is hiding, in that world of little consequence

Behind the tears, inside the lies

A thousand slowly dying sunsets

God knows what is hiding in those weak and drunken hearts

I guess the loneliness came knocking

No on needs to be alone, oh save me

People help the people

And if your homesick, give me your hand and i'll hold it

People help the people

Nothing will drag you down

Oh and if I had a brain, Oh and if I had a brain

I'd be cold as a stone and rich as the fool

That turned, all those good hearts away

Autor: Oft werde ich als Notfallseelsorger gefragt: „Wie kommt ihr denn mit dem starken Leid zurecht, mit dem ihr immer wieder konfrontiert werdet?“ Ich sage dann meist: Mich beeindruckt, wie stark Menschen sind, denen ich in Einsätzen begegne. Und ich sehe Sinn darin, Betroffene zu begleiten. Damit sie nicht alleine bleiben, wenn ihnen jemand stirbt. Und zudem erweist und bewährt sich die Kraft des Glaubens genau dort, wohin wir gerufen werden:

Da gelingt es, dass wir mit einer Frau den Abschied von ihrem Mann gestalten können oder ein Vater begreift das Unbegreifliche, dass sein Kind nie wieder kommt. Und mitten in diesen Begegnungen kann es dann sein, dass ein Betroffener oder eine Seelsorgerin einen Moment lang spüren: Ich bin nicht allein. Gott ist da. Oder: Ich bin gehalten, was immer jetzt kommen mag. Vielleicht auch: Mein Mann, meine Frau, mein Kind ist in Gottes Hand geborgen.

Martin Luther vergleicht die Kraft des Glaubens mit der Sonne:

Sprecherin 5: „Es ist kein König so stark, dass er den Lichtglanz der Sonne biegen oder lenken könnte. Aber die Hitze lässt sich lenken und biegen und ist überall um die Sonne. Ebenso muss der Glaube allezeit ganz unbeweglich in unsern Herzen bleiben, und wir dürfen nicht von ihm weichen, während die Liebe sich beugt und sich lenkt, so dass sie unsern Nächsten begreifen und ihm folgen kann.“ (7)

Autor: Das ist ein schönes Bild, finde ich. Glaube gibt wie der Lichtglanz der Sonne Stetigkeit, aber die wärmende Liebe geht dorthin, wo sie gebraucht wird. Gott erweist Seine Macht gerade dort, wo Menschen Schwäche zulassen und ehrlich sind mit sich selbst und anderen. Die Liebe wird gerade dort ganz dringend gebraucht, wo Lebenswege enden. Hier braucht es Menschen, die menschlich handeln wie an diesem Abend in einem Supermarkt. Es lohnt sich, solchen Wahrheiten nachzuspüren und den Wegen der Liebe auch.

Liebe, die wärmt wie die Sonne, Liebe, die unerschöpflich aus dem Glauben fließt, die wünsche ich Ihnen an diesem Januarsonntag.

Aus dem evangelischen Landespfarramt für Notfallseelsorge in Bonn grüßt Sie Uwe Rieske.

Musik 5 = Musik 3

Quellenangaben: (1) Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Erster Band 2. Auflage Frankfurt 1983, 271.

(2) Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Erster Band 2. Auflage Frankfurt 1983, 272.

(3) Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Erster Band 2. Auflage Frankfurt 1983, 274.

(4) https://www.welt.de/vermischtes/article159121573/Mehrere-Bankkunden-steigen-ueber-sterbenden-Mann.html (Abruf 04.01.2017)

(5) http://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/unterlassene-hilfeleistung-duesseldorf-100.html (Abruf 04.01.2017)

(6) Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, in: Martin Luther, Ausgewählte Werke, 2. veränderte Aufl., 2. Bd., hg. von H.H. Borcherdt und Georg Merz, München 1938, 319.

(7) Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hg. von Karin Bornkamm und Gerhard Ebeling, Erster Band 2. Auflage Frankfurt 1983, 273f.

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