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Kirche in WDR 5 | 06.02.2017 | 06:55 Uhr

Chancenverwertung

Guten Morgen!

Chancenverwertung kennt man aus dem Fußball, wenn‘s ums Tore-Machen geht. Aber Chancenverwertung kann auch noch ganz anders gehen:

Vor zwei Jahren kam Emmanuel aus dem Südsudan über Norwegen nach Deutschland mit der Hoffnung, ein zweites Asylverfahren in Europa zu starten. In Norwegen war sein Erstantrag bereits abgelehnt worden. Als die reale Gefahr drohte, von Deutschland aus über Norwegen in den Nordsudan zurückgeführt zu werden, wo Christen mit dem Tode bedroht werden, bekam ich die Chance von ihm zu erfahren.

Emmanuel war damals aus dem Sudan geflohen, weil er in Lebensgefahr war. Es bestand für ihn die Gefahr getötet zu werden. Er war nämlich als Moslem geboren und hatte sich als erwachsener Mann in Karthum taufen lassen. Das galt und gilt als todeswürdiges Verbrechen. Sogar sein eigener Vater trachtet ihm seitdem nach dem Leben.

Kurz vor der Rücküberführung nach Norwegen wandten sich seine Freunde voller Verzweiflung an mich als Pfarrer und fragten nach der Möglichkeit des Kirchenasyls. Und ich weiß noch genau, wie skeptisch ich damals darauf reagierte: Warum soll ich das machen, warum nicht eine andere Gemeinde. Im Nachhinein bin ich mir sicher: Das war meine Chance auf etwas ganz Neues. Es war meine Chance der Begegnung mit einem mir völlig unbekannten Menschen, der sich in einer ausweglosen Situation befand. Eigentlich ein Zufall, aus dem eine Freundschaft wurde.

„Am Ende ist es immer das Fälligste, was uns zufällt“, heißt es bei Max Frisch in einem Eintrag seines zweiten Tagebuchs. Frisch beschreibt den vermeintlich lächerlichen Zufall, wenn ein Mann seinen Hut verwechselt und an der Garderobe infolge seiner kleinen Verwirrung ausversehen auf die Füße einer jungen Frau tritt, was beiden so leid tut, dass sie miteinander ins Gespräch kommen und die Folge eine Ehe mit Kindern ist. Ein schöner Zufall, der die Chance für etwas Neues ist.

Viele Chancen meines Lebens nehme ich nicht wahr, sie bleiben mir sogar verborgen, werden mir niemals bewusst. Ich habe aber, wie Max Frisch es beschreibt, das Vertrauen, dass uns nichts erreicht, was uns nichts angeht.

Anders formuliert: Von Max Frisch habe ich gelernt, dass es zwar immer wieder Zufälle gibt, die ich übersehe und überhöre, obwohl sie zu mir gehören; aber dass die, welche ich bewusst erlebe, wirklich zu mir gehörn. „Denn am Ende ist es immer das Fälligste, was uns zufällt.“

Der Zufall wollte es, dass Emmanuel also an meine Tür klopfte und ich mich darauf einließ und mich für ihn einsetzte. So kam es, dass die Bundesrepublik Deutschland Emmanuel die Chance eröffnete doch noch ein neues Asylverfahren anzustreben.

Er wiederum hat diese Chance genutzt. Allein in der Zeit bei uns bis zum offiziellen Verfahren hat er den gemeinsamen Mittagstisch in meiner Gemeinde für Bedürftige unterstützt Essensausgabe und Spülen. Er hat sich selbst als Hilfsbedürftiger zum Anwalt anderer gemacht. Emmanuel hat so nicht nur mir, sondern auch anderen in der Gemeinde die Chance gegeben, sich mit einem zunächst sehr fremd erscheinenden Menschen auseinanderzusetzen und so etwas Neues zu erfahren: das Fremde Freunde werden.

Manches Mal habe ich Emmanuel auch niedergeschlagen und verzweifelt erlebt, wenn es im Deutschkurs doch nicht so voran ging, wie erhofft, wenn es schreckliche Nachrichten aus dem Südsudan gab, wo seine Mutter und seine Schwestern leben. Beeindruckt hat mich dann aber immer seine Hoffnung auf Gott. Die hat er nie aufgegeben und mir sogar die Chance gegeben, diese mit ihm zu teilen.

Vor zwei Wochen startete er sein Bundesfreiwilligendienst für Geflüchtete hier in der Stadt Detmold. Emmanuel hat damit eine Arbeitsstelle und zeigte mir vor einigen Tagen voller Freude seinen Ausweis und die Krankenkassenkarte. Mir kommt es inzwischen so vor, als ob sein Name Programm ist, denn Emanuel heißt eigentlich: „Gott mit uns“. Und diese Chance, dass Gott mit uns ist, die sollten wir nicht verstreichen lassen, wenn Fremde zu uns kommen.

Ihr Pfarrer Christian Ritterbach aus Detmold.

*Vgl. Max Frisch, Tagebuch 1946-1949, S.407ff. Suhrkamp, Frankfurt 1985.

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