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Das Geistliche Wort | 05.06.2017 | 08:35 Uhr
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Die Taube
Musik 1: Quadro Nuevo, Wenn ich ein Vöglein wär
Autor:
Eine junge Frau und ein junger Mann. Sie sind verliebt, schwärmen voneinander. Sie möchten turteln wie die Tauben. Aber der Geliebte ist fort, nur in Gedanken ganz nah.
Sprecherin:
Seine Augen sind wie Tauben an den Wasserbächen, sie baden in Milch und sitzen an reichen Wassern. Seine Wangen sind wie Balsambeete, in denen Gewürzkräuter wachsen. Seine Lippen sind wie Lilien, die von fließender Myrrhe triefen. (Hld 5,12f.)
Sprecher:
Siehe, meine Freundin, du bist schön! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, und dein Mund ist lieblich. Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born. (Hld 4,1.12)
Autor:
Vom Turteln der Beiden erzählt das biblische Hohelied. In ihrem Traum kommt der Geliebte seiner Taube ganz nah:
Sprecherin:
Ich schlief, aber mein Herz war wach. Da ist die Stimme meines Freundes, der anklopft: „Tu mir auf, liebe Freundin, meine Schwester, meine Taube, meine Reine! Denn mein Haupt ist voll Tau und meine Locken voll Nachttropfen.“ Aber als ich meinem Freund aufgetan hatte, war er weg und fortgegangen. Meine Seele war außer sich, dass er sich abgewandt hatte. Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht; ich rief, aber er antwortete mir nicht. (Hld 5,2.6)
Autor:
Und auch für Ihn ist die Geliebte unerreichbar. Wie eine Taube, die hoch im Gebirge ihr Nest gebaut hat. Er bittet voller Sehnsucht:
Sprecher:
Meine Taube in den Felsklüften, im Versteck der Felswand, zeige mir deine Gestalt, lass mich hören deine Stimme; denn deine Stimme ist süß, und deine Gestalt ist lieblich. (Hld 2,14)
Autor:
Bildschön. Rein, aber unerreichbar. Manchmal ist sie vertraut und nah. Aber dann entzieht sie sich wieder und ist verborgen. Die Taube. In ganz verschiedenen Geschichten der Bibel taucht dieser Vogel auf. Vertraut und fremd zugleich. Eine Mitbewohnerin und doch nicht festzuhalten. Die Taube - in der christlichen Überlieferung ist sie ein vielschichtiges Symbol für den Heiligen Geist.
Musik 2: Onair, Wenn ich ein Vöglein wär
Bin ich gleich weit von dir, bin ich im Traum bei dir, und red' mit dir.
Wenn ich erwachen tu’, wenn ich erwachen tu’, bin ich allein.
Autor:
Die Taube heißt auch „das Rennpferd des Bergmanns“. Hans-Werner Schink ist Taubenvater aus Recklinghausen. Vor fünf Jahren ging sein Traum in Erfüllung. Er hatte die schnellste Taube der Welt gezüchtet. Sein Prachtvogel mit Namen „Rubbellos“ gewann in Südafrika einen Flugwettbewerb über 578 Kilometer. Dafür erhielt er 152.000 Euro Preisgeld.
Davor lag jedoch viel Arbeit. Nicht nur die Zucht. Der Alltag der Taubenväter ist davon geprägt, dass die Tauben dressiert werden. Sie müssen daran gewöhnt werden, dass man sie irgendwo aussetzt. Dann müssen sie selbständig den Weg nach Hause finden. Stundenlang sind sie unterwegs. Manchmal Tage. Und längst nicht immer kehren sie heim.
Als Kind im Ruhrgebiet kannte ich einige Taubenzüchter. Sie hielten ihre Tiere entweder in Taubenschlägen im Garten. Oder unter dem Dach ihres Hauses. Ich erinnere mich noch an den Moment, als ich einmal einen Taubenvater zu seinen Lieblingen begleiten durfte. Die warme, scharfe Luft im Taubenschlag verschlug mir den Atem.
Das alles scheint mit der verliebten Poesie des Hoheliedes nicht viel zu tun zu haben. Doch wie die Liebenden in der Bibel machen Taubenzüchter eine Erfahrung, die zwei Seiten hat. Sie erleben ein intensives Miteinander. Und dann wieder eine angespannte Trennung. Voller Unsicherheit, ob es wohl ein Wiedersehen geben wird.
Diese Erfahrung ist nicht neu. Die Taubenzucht ist eine Tradition mit langer Geschichte. Wer Herrenhäuser und Schlösser in der Normandie besichtigt, findet dort prächtige Taubentürme. Und schon der Prophet Jesaja wusste von Tauben, die in Schlägen zuhause sind:
Sprecher:
Wer sind die, die da fliegen wie die Wolken und wie die Tauben zu ihren Schlägen? (Jes 60,8)
Musik 3 = Musik 2: Onair, Wenn ich ein Vöglein wär
Wenn ich ein Vöglein wär’ und auch zwei Flügel hätt’ flög' ich zu dir. Weil's aber nicht sein kann, weil's aber nicht sein kann, bleib ich allhier.
Autor:
Ich stehe mit Kindern am Taufbecken. Es hat einen barocken Deckel. Kunstvoll geschnitzt und bemalt. Ich frage, was da oben auf dem Deckel sitzt. „Ein Vogel!“ „Ein Adler!“ „Nein, eine Taube!“
Wenn ich dann nachfrage, was die Taube denn da soll, wissen die Kinder immer eine Geschichte zu erzählen: „Das ist eine Friedenstaube. Die hat einen Zweig im Schnabel. Noah hat sie fliegen lassen aus der Arche.“ Die meisten kennen das Bild von Picasso, der die Taube immer wieder gemalt hat. Sogar seine Tochter hat er „Taube“ genannt: Paloma. Manche Kinder kennen auch die weiße Taube auf blauem Grund. Das Symbol der Friedensbewegung, das der finnische Grafiker Mika Launis entworfen hat.
In vielen Kulturen wird von einer großen Flut erzählt. Irgendwann ließ der Regen nach und die Wasser begannen sich zu verlaufen. Nach dem biblischen Bericht wollte Noah mit einem Trick herausfinden, ob es schon wieder trockenen Boden gab:
Sprecherin:
Noah ließ eine Taube ausfliegen, um zu erfahren, ob die Wasser sich verlaufen hätten auf Erden. Da aber die Taube nichts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu ihm in die Arche; denn noch war Wasser auf dem ganzen Erdboden. Da tat er die Hand heraus und nahm sie zu sich in die Arche.
Autor:
Noah gib nicht auf. Er wartet eine Woche. Dann versucht er es erneut:
Sprecherin:
Er ließ abermals eine Taube fliegen aus der Arche. Die kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, ein Ölblatt hatte sie abgebrochen und trug's in ihrem Schnabel. Da merkte Noah, dass die Wasser sich verlaufen hätten auf Erden.
Autor:
Aber Noah kann noch nicht ganz sicher sein. Vielleicht schwamm der Zweig auf dem Wasser. Erst wenn die Taube gar nicht mehr zurückkäme, könnte er hoffen: Sie hat Land gefunden. Einen Ort zum Bleiben. Nur dann würden auch die Menschen und die anderen Tiere wieder einen sicheren Platz zum Leben haben. Deshalb macht Noah einen dritten Versuch:
Sprecherin:
Noah harrte noch weitere sieben Tage und ließ eine Taube ausfliegen; die kam nicht wieder zu ihm. (Gen 8,8-12)
Autor:
Der Ölzweig im Schnabel war ein Friedenszeichen. Ein Zeichen der Hoffnung, mit dem die Taube zurückkehrte. Aber das beste Zeichen war, dass die Taube fortblieb. Zur Taube gehört beides. Sie steht für Frieden und Liebe. Doch immer wieder entzieht sie sich.
Musik 4: Mark Forster, Kommt ein Vogel geflogen
Lieber Vogel, fliege weiter, nimm ein’ Gruß mit, einen Kuss, denn ich kann dich nicht begleiten, weil ich hier bleiben muss.
Autor:
Die Kinder, mit denen ich am Taufbecken stehe, kennen die Friedenstaube. Ich frage nach: „Und was hat die Taube mit der Taufe zu tun?“ Ein Moment Schweigen. Dann machen die Kinder Vorschläge. „Bei der Taufe geht es ja auch ums Wasser.“ Oder: „Taube und Taufe, das klingt so ähnlich.“
Ich muss genauer werden. „Jesus ist ja auch getauft worden. Im Fluss Jordan, von Johannes dem Täufer.“ Dann erinnert sich ein Kind. „Stimmt, da kam ja auch eine Taube aus dem Himmel. Sie ist Jesus auf den Kopf geflogen, als er aus dem Wasser kam.“
Wie die Taube von Noah, die gutes Land gefunden hatte. Ich mache den Kindern einen Vorschlag, was das Bild bedeuten könnte. Der Heilige Geist ist zu dem getauften Jesus gekommen. Und damit wir uns das besser vorstellen können, erzählt die Bibel von der Taube. So, wie die Friedenstaube zu Jesus kommt, so kommt Gottes Heiliger Geist zu ihm.
Ein Kind fragt nach: „Ist die Taube dann immer bei Jesus geblieben?“ Eine interessante Frage. Wohl eher nicht. Ich kenne keine Geschichten und Bilder von Jesus, bei denen er von einer Taube begleitet wird. Da fragt das Kind weiter: „Ist das mit dem Heiligen Geist auch so? Mal kommt er, und dann ist er wieder weg?“
Die Frage hat mich nachdenklich gemacht. Denn das Kind hat ja recht. Wer könnte schon sagen, dass der Heilige Geist immer bei ihm ist? Dass er oder sie sich immer von Gott erfüllt fühlt. Voller Liebe für Gott und die Menschen.
Andererseits: Die Taufe gilt ein für allemal. Wir müssen nicht immer wieder getauft werden, um den Heiligen Geist zu erhalten. Gott hat ihn uns ein für allemal geschenkt.
Vielleicht ist deshalb die Taube so ein wunderbares Zeichen für den Heiligen Geist. Sie steht für die Spannung, dass sie mal abwesend ist und mal ganz nah. Die Liebenden kennen das. Die Taubenzüchter auch. Und Noah in der biblischen Erzählung machte diese Erfahrung. Und genau das macht den Heiligen Geist aus: Manchmal erfüllt er uns mit seiner Nähe. Und dann wird er wieder schmerzlich vermisst.
Musik 5 = Musik 1: Quadro Nuevo, Wenn ich ein Vöglein wär
Autor:
Nicht nur Picasso hat seine Tochter Taube genannt, auf spanisch Paloma. Auch der Israelit Amittai nannte seinen Sohn Taube. In seiner Sprache hieß das „Jona“. Der berühmte Prophet Jona, der drei Tage vom Walfisch verschluckt war, trägt den Namen der Taube.
Sprecher:
Es geschah das Wort des Herrn zu Jona, dem Sohn Amittais: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen und kam hinab nach Jafo. Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren und dem Herrn aus den Augen zu kommen.
Autor:
Es kommt ein Sturm auf. Das Schiff droht zu sinken. Jona ahnt, dass es an ihm liegt, weil er sich Gott entziehen will. Als die Seeleute fragen, wie sie sich retten sollen, schlägt er vor:
Sprecher:
„Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist.“ Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten. […] Aber der HERR ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. Da sprach der HERR zu dem Fisch und der spie Jona aus ans Land. (Jona 1+2*)
Autor:
Jona, der Prophet, der Taubenmann, hat einen Auftrag von Gott. Aber er entzieht sich. Er scheint verloren. Versunken in den Fluten. Verschlungen im Bauch des Wals. Aber er lebt. Er darf zurückkehren zu den Menschen. Gott ist ihm treu geblieben und hat ihn geschützt.
Ich glaube, dadurch bekommt die Spannung von Nähe und Distanz das entscheidende Vorzeichen. Auch wenn sich die Taube immer wieder entfernt: Letztlich steht sie für die Treue. Sie kehrt immer wieder zurück, auch wenn sie fort war.
Paloma heißt die Taube auf Spanisch. Jona im Hebräischen. Lateinisch heißt sie Columba. Das erinnert mich an Christoph Kolumbus, der über See fuhr und neues Land entdeckte.
Und ich denke bei Columba an Kolumbarien. Die Gebäude, in denen die Urnen der Verstorbenen beigesetzt werden. Wegen der reihenweise übereinander angebrachten Nischen ähneln sie manchmal einem Taubenschlag. Der Tod ist die größte Bewährungsprobe für unseren Glauben. Werden auch die wiederkommen, die scheinbar für immer abwesend sind? Werden sie durch Gottes Geist neu leben können?
Ich vertraue darauf: An den Toten wird sich zeigen, dass die Ambivalenz meines Lebens ein klares Vorzeichen hat. Ich lebe in der Spannung von Nähe und Distanz. Manchmal fühle ich mich Gott ganz nah. Ich glaube, etwas von seinem Geist zu spüren. Und dann erscheint er mir wieder ganz weit weg. Aber am Ende wird Gott mir die Treue halten.
Einen frohen, geisterfüllten Pfingstmontag wünscht Ihnen Pfarrer Sven Keppler aus Versmold.
Musik 6: Through the Sparks, Like a Dove