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Das Geistliche Wort | 03.09.2017 | 08:35 Uhr

„Warum ich glaube“

Marlies Wilmer (MW), Stadtlohn (Sprecherin)

Pfarrer Stefan Jürgens (SJ), Münster (Autor, Sprecher)

SJ: Guten Morgen!

Warum ich glaube. Das ist ein sehr persönliches Thema. Warum glaube ich überhaupt? Und warum glaube ich – noch? Warum schließlich fällt es vielen heute so schwer? Ich will einige Antworten versuchen. Kein Katechismus, eher ein Zeugnis.

Eine erste Antwort: Ich glaube, weil ich den Glauben geerbt habe. Meine Eltern glauben. Ich habe mir diesen Glauben einfach abgeguckt. Ich habe nachgeahmt, was ihnen wichtig war. In meiner Heimatgemeinde fand ich Christen, die glaubwürdig waren. Ich habe zunächst nicht in Frage gestellt, was dort üblich war, habe einfach mitgemacht. Aber: Wenn das schon alles gewesen wäre, dann würde ich jetzt nicht mehr glauben. Die Tradition, in der ich aufgewachsen bin, war wichtig, aber sie konnte nicht alles sein.

Daraus ergibt sich meine zweite Antwort: Ich glaube, weil ich mich irgendwann dafür entschieden habe. Diese Grundentscheidung nennt die Bibel: Bekehrung. Das griechische Wort für „Bekehrung“ lautet: Metanoia. „Metanoiete“ heißt aber nicht: „bekehrt euch“, wie es meistens etwas moralinsauer übersetzt wird. Sondern es heißt wörtlich: „denkt größer“. Denkt größer von Gott! Denkt so, wie Jesus von ihm gedacht hat. Also kann ich sagen: Als Erwachsener habe ich mich bekehrt. Mich entschieden für Jesus Christus.

Aus dieser Erfahrung ergibt sich eine dritte Antwort auf die Frage, warum ich glaube.

Ich glaube, weil es vernünftig ist. Wer einmal seinen Kinderglauben in Frage gestellt hat, sucht nach Argumenten. Sicher, es gibt für Gott keine Beweise. Niemand kann Gott beweisen, so wenig wie man Liebe beweisen kann. Aber es gibt gute Gründe zu glauben. Diese Gründe habe ich gefunden.

Dennoch, ich muss es ganz deutlich sagen: Wenn es das Christentum in seiner westeuropäisch-aufgeklärten Form nicht gäbe, wenn ich also glauben müsste ohne zu verstehen, oder wenn ich – schlimmer noch – nur Autoritäten zu gehorchen hätte, dann wäre ich lieber Agnostiker. Wohlgemerkt: nicht Atheist, sondern nur unentschieden. Ohne vernünftige Argumente würde ich mich heraushalten.

Musik: Reinhard Börner (Gitarre), Sonne der Gerechtigkeit

Warum ich glaube. Eine vierte Antwort auf die Frage, die ich mir gestellt habe: Ich glaube, weil es Jesus gibt. Denn ich bin davon überzeugt: Wir können nicht von Gott reden, ohne von Jesus zu sprechen. Denn der Name „Gott“ ist ambivalent, er kann eine Chiffre sein für alles Mögliche, für jeden Fanatismus und fast jede Dummheit. Der Name „Jesus“ aber kann das nicht!

Auf den Koppelschlössern der Soldaten im Ersten Weltkrieg stand noch: „Gott mit uns“. Niemand hätte – auch schon damals! – gewagt, darauf zu schreiben: „Jesus mit uns“. Weil in Jesus Gott so nahe ist, so voller Liebe und Erbarmen, so eindeutig, dass man seinen Namen nicht mehr missbrauchen kann.

Manche fragen: Was hat uns Jesus eigentlich gebracht? Ist die Welt durch ihn etwa besser geworden? Darauf möchte ich ganz einfach antworten: Jesus hat Gott gebracht! Er hat den nahen, barmherzigen Gott gebracht, der keine Opfer will, sondern Barmherzigkeit. Den liebenden Gott, der mir jede Angst nimmt: die Angst vor dem Tod genauso wie die Angst vor dem Leben. Jesus nennt ihn „Abba, lieber Vater“, und deshalb nenne ich ihn auch so.

Daraus ergibt sich meine letzte Antwort auf die Frage, warum ich glaube. Ich glaube, weil ich ewig leben werde. Ich glaube fest daran, dass Jesus vom Tod auferstanden ist. Sonst wären seine Jünger für diese Botschaft nicht in den Tod gegangen. Das bedeutet für mich: Mein Leben kann nicht mehr scheitern. Ich kann mich einsetzen für andere, ohne Angst zu haben, dabei etwas zu verlieren oder zu verpassen. Ich bin gelassen im Vorletzten, weil ich geborgen bin im Letzten.

Und deshalb glaube ich auch: um dieser Erde willen, um der Menschen willen. Wenn man sich für nichts und niemanden mehr einsetzen mag, wozu ist man dann noch auf der Welt? Ich bin fest davon überzeugt: Es ist Gottes Erde, die wir bewohnen, und es sind seine Menschen, mit denen wir leben. Deshalb ist es Gott nicht egal, was aus seiner Erde wird. Und darum ist es auch mir nicht egal. Ich möchte mich da einbringen, möchte mitmischen. Wenn ich vielleicht auch nur ganz wenig verändern kann; ich will es versuchen. Wenn auch das Reich Gottes für mich eine Nummer zu groß ist; ich vertraue darauf, dass Gott mich braucht.

Musik: Reinhard Börner (Gitarre), Siehe, ich habe dir geboten

Deshalb also glaube ich: weil ich es so erfahren und gelernt habe; weil ich mich irgendwann dafür entschieden habe; weil es vernünftig ist; weil es Jesus gibt; weil ich auferstehen werde, und weil ich davon überzeugt bin, dass ich hier auf der Erde gebraucht werde.

Mein Glaubensbekenntnis heißt: Ich glaube Jesus seinen Gott. Das klingt zuerst wie falsches Deutsch, so als wäre der Dativ wirklich dem Genitiv sein Tod. Aber ich meine es anders. Ich glaube ihm – diesem Jesus im Dativ – seinen Gott. Ich glaube ihm seinen Gott, das heißt: Ich glaube, dass der Gott und Vater Jesu wirklich der Schöpfer der Welt ist. Und ich glaube, dass Gott wirklich so ist, wie Jesus von ihm gesprochen hat. Wie er mit ihm gelebt hat. Wie er ihn geliebt hat.

MW: Stefan, ich finde, du sprichst überzeugend von Deinem Glauben, sehr persönlich auch. Aber: Kennst Du denn gar keine Zweifel? Ist für Dich immer alles so sonnenklar?

SJ: Nein, Marlies, selbstverständlich nicht. Ich habe auch meine Zweifel. Außer der Existenz Gottes habe ich schon alles in Zweifel gezogen, was die Kirche lehrt. Wirklich alles außer der Existenz Gottes und dem ewigen Leben. Beides war mir immer gewiss. Gauben ist eben kein Zustand, sondern ein Weg. Dazu gehört das Auf und Ab, das Finden und Verlieren, die Leere und die Fülle. Auch für mich.

MW: Was meinst Du, warum fällt es vielen heute so schwer, zu glauben? Hat Religion nicht alle Selbstverständlichkeiten verloren? Für mich war früher auch alles klar. Aber heute?

SJ: Die Menschen waren nicht religiöser als heute; aber ihre Welt war religiöser, sie war voller Rituale, Zeichen und Geläufigkeiten. Kultur und Religion waren noch ganz nahe beieinander, sie sahen einander zum Verwechseln ähnlich. Und „bei Kirchens“ machte man einfach mit, aber man machte sich weiter keine Gedanken. Das aber funktioniert nicht mehr. Die Menschen glauben nicht mehr wie von selbst. Man glaubt, weil man sich für Gott entschieden hat. Oder wenigstens, weil man Leute kennt, die sich entschieden haben, und von denen man sich irgendwie mitziehen lässt.

Musik: Reinhard Börner (Gitarre), Nun lasst uns Gott den Herren

MW: Du hast gesagt, „das funktioniert nicht mehr“. Hat Religion denn früher funktioniert? Kann man das überhaupt sagen, dass Religion eine Funktion hat?

SJ. Na klar. Seit ihrer Entstehung war Religion vor allem eine seelische Krücke, die man sich unter den Arm klemmt, um mit der Angst fertig zu werden, der Angst vor dem Leben und der Angst vor dem Tod. Religion war ein Mittel gegen Daseinsangst.

MW: Und was glaubst Du, warum ist Religion funktionslos geworden?

SJ: In archaischen Religionen war das Göttliche anziehend und schrecklich zugleich. Deshalb musste man sich absichern gegen Unheil, indem man die Götter gnädig stimmt und für seine Sünden Sühne leistet. Man hatte Angst vor Unwetter, Krankheit und Krieg. Um sich mit dem Göttlichen gut zu stellen, brachte man Opfer dar. Alles, was Menschen nicht erklären konnten, fühlte sich irgendwie göttlich an.

MW: Und heute?

SJ: Heute ist das Leben hundertprozentig entzaubert, vor allem durch Wissenschaft und Technik. Es scheint für fast alles eine Erklärung zu geben. Deshalb muss vor dem Göttlichen niemand mehr zittern und niemand mehr staunen. Auch die Naturgewalten sind entzaubert. Deshalb muss niemand mehr vor einem Gewitter Angst haben, und niemand muss um eine gute Ernte bitten. Alles wächst, weil die Genetik es so will, nicht aber das Göttliche.

Vor allem sind Sünde und Schuld kein Problem mehr. Nicht der einzelne Mensch sündigt; immer sind die Umstände, die Gesellschaft oder die Erziehung schuld. So kann man sich guten Gewissens selber leidtun – und braucht niemanden um Verzeihung zu bitten, am wenigsten Gott. Unschuldswahn nennt man das.

MW: Du meinst also, man macht alles nur noch mit sich selber aus?

SJ: Genau. Der Mensch fühlt sich heute nicht mehr abhängig, sondern selbstständig. Er hat sich mit seinen „existentiellen Beleidigungen“ abgefunden; er hat sich damit abgefunden, Zufall der Evolution zu sein, nicht mehr Mittelpunkt des Weltalls zu sein, ja nicht einmal mehr Herr seiner selbst. Wozu bedarf es eines letzten Lebenssinns, wenn der Mensch sich selbst als bedeutungslos empfindet?

MW: Wie ist Religion entstanden?

SJ: Religion entstand mit der Sesshaftwerdung, also mit Ackerbau und Bevorratung. Dadurch hatten die Menschen Zeit zum Nachdenken, zu Kult und Kultur. Bestattungsriten waren die ersten kultischen Handlungen. Aber auch hier spielte die Angst die größte Rolle. Man hatte Angst vor dem Tod und Angst vor den Toten. Heute haben sich die meisten mit ihrer Endlichkeit abgefunden.

MW: Und wie ist es mit den verfassten Religionen, mit der Hierarchie?

SJ: In archaischen Gesellschaften stellte man sich das gesamte Weltgefüge hierarchisch vor: Da musste es einfach eine „oberste Instanz“ geben, das Göttliche, damit sich die Autoritäten von diesem her legitimieren konnten. Heute misstraut man jeder Autorität, auch der religiösen und kirchlichen, oft aus gutem Grund.

MW: Aber ich finde, der Mensch braucht auch Werte, und die werden doch von der Religion begründet und geschützt.

SJ: Mag sein. Aber heute meinen die meisten, man könne auch ohne Religion ein guter Mensch sein. Das mag stimmen, wenn es auch am Ende hoffnungslos wäre. Manche sehen in der Religion eine Werteinstanz; aber das wird morgen vorbei sein.

MW: Was wäre Europas Humanität ohne das Christentum? Die Kirche war doch von Anfang an für die Armen da. Sie hat Spitäler gebaut und Armenküchen unterhalten. Sie hat die Arbeiter gesammelt und für Bildung gesorgt.

SJ: Heute sind alle diese Funktionen in öffentlicher Hand. Viel Evangelium ist schon drin in der Welt, es geht ganz gut ohne Kirche. Die Welt wird davon nicht schlechter.

MW: Und die Menschen heute haben einfach einen größeren Horizont!

SJ: Früher war das eigene Dorf die Welt. Heute ist die Welt ein globales Dorf. Man weiß: Auch der religiöse Ausdruck, ja die Religion selbst ist ein Kulturprodukt und stark von der jeweiligen Mentalität geprägt. Damit wird auch das Absolute mit einem Mal relativ und vergleichbar. Andere Religionen glauben anders; warum soll dann ausgerechnet meine Religion Recht haben? Damit ist alles relativ; das Heilige ist nicht mehr heilig, weil es vergleichbar geworden ist.

Musik: Reinhard Börner (Gitarre), Oh, dass ich tausend Zungen hätte

MW: Irgendwie klingt das alles aussichtslos. Frustriert Dich das nicht?

SJ: Nein. Wenn Religion keine Funktion mehr hat, wenn sie also nicht mehr unbedingt notwendig ist, so ist das eine riesengroße Chance für den Glauben. Denn beim Glauben kommt es nicht auf Nützlichkeit an, sondern auf Schönheit. Nicht auf Unterwerfung, sondern auf Freiheit. Und diese Freiheit empfange ich in der Beziehung zu Jesus. Durch ihn verstehe ich erst, wer Gott wirklich ist. Religion ist eine seelische Krücke, der Glaube an Jesus aber ist für mich eine Herausforderung. Ich glaube Jesus seinen Gott.

MW: Du meinst also, früher war man religiös aus Angst, und heute glauben Christen nur noch wegen Jesus?

SJ: Oder eben nicht. Die Entscheidung liegt bei Dir.

Musik: Reinhard Börner (Gitarre), Warum sollt ich mich grämen

Aus Stadtlohn und Münster grüßen Sie

MW: Marlies Wilmer

SJ: Und Pfarrer Stefan Jürgens

Musik: Reinhard Börner, Choräle auf sechs Saiten, cap-music CD 52 07371

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