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Kirche in WDR 5 | 22.09.2017 | 06:55 Uhr
Sie haben die Wahl – Nur die Ruhe!
Haben Sie an einer Kirmes-Losbude schon einmal die „Freie Auswahl“ gezogen? – Abgesehen davon, dass man angesichts des jubelnden Losverkäufers meint, der ganze Rummelplatz blicke einen jetzt an, kommt nun das Problem: Was nehme ich denn jetzt? Den CD-Spieler oder doch den Riesen-Teddy? Angesichts der bunten, überströmenden Vielfalt in der Bude könnte man verrückt werden. Verrückt werden an Luxus und Überfluss...
Das scheint mir eines der Hauptleiden der Gegenwart zu sein: Wir schwimmen förmlich in Material und Möglichkeiten – und schaffen es immer weniger, eine klare Wahl zu treffen. Wie viele Menschen auf dieser Welt würden sich auch nur einen Bruchteil unserer Wahlmöglichkeiten wünschen – sei es im Geschäft oder politisch. Es ist sicher einfacher, ohne eine Wahl durchs Leben zu kommen – aber wird dadurch das Leben lebenswerter? Umgekehrt gilt natürlich auch: Helfen uns Luxus und Überfluss weiter in unserem Leben? Vervielfachen sich mit den Wahlmöglichkeiten auch unsere Lebensmöglichkeiten?
Gerade hier scheint oft das Gegenteil der Fall zu sein. Vor der Losbude zu stehen und vor lauter Preisen nicht mehr aus noch ein zu wissen – das scheint ein luxuriöses Randproblem zu sein. Und doch: Exakt der gleiche Mechanismus des Abwägens und Prüfens begleitet uns ein ganzes Leben lang. Da gibt es eben die „Große Auswahl“ oder nur die Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten: Sie haben die Wahl – ist es der blaue oder der rote Draht, der an der Bombe durchtrennt werden muss, um sie zu entschärfen. Eine klassische Situation, in der es auf ganz kühles Nachdenken ankommt. Das braucht Zeit und Ruhe, und einen wirklich souveränen Überblick über die zur Wahl stehenden Situationen.
Und so möchte ich an diesem Freitag Werbung für einen Moment der Ruhe machen, in dem man Kraft für solche Entscheidungen tankt. Einen kleinen oder mehrere kleine Au-genblicke können da schon sehr hilfreich sein. Vielleicht ist es ein Augenblick beim Start ins Wochenende, oder einer heute Abend. Wichtig ist nur, dass es sie gibt, diese Augen-blicke der Ruhe und der Sammlung. Ohne eine solche Ruhe können Entscheidungen, egal zwischen wie vielen Möglichkeiten auch immer, schnell daneben gehen.
Die Jesuiten, die „schlauen Jungs“ der katholischen Kirche haben Jahrhunderten eine Methode eingeführt, um solche Entscheidungen zu treffen. Sie nennen es die „Unterscheidung der Geister“. Dabei geht es darum, genau zu prüfen aus welcher Motivation, aus welchem Geist ich welche Entscheidung fällen würde. Wie eine Wahl, eine Entscheidung dann letztendlich ausfällt, ist fast schon egal.
Hauptsache, sie wurde in Ruhe und überlegt getroffen. Ganz schlecht sind immer Entscheidungen, die unter hohem Zeitdruck oder von Lärm begleitet getroffen werden müssen. Und gerade für solche Entscheidungen ist es wichtig, dass man möglicherweise vorher schon genügend Ruhe und Kraft tankt und nicht einfach so von Entscheidung zu Entscheidung stolpert und am Ende nur irgendwelche Zufallsprodukte dabei herauskommen.
Das darf am Ende natürlich auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht alle Entscheidungen, auch immer die gewünschten Folgen haben. Hauptsache, ich kann sagen: Ich habe das mir Mögliche beigetragen zu einer guten Entscheidung. Ich habe meine Wahl nach bestem Wissen und Gewissen getroffen.
Am Sonntag ist Entscheidungstag für Deutschland. Es ist Wahltag. Jeder sollte diese Wahl nutzen. Und nicht hineinstolpern in die Kabine, sondern sich zumindest die verbleibenden zwei Tage Zeit nehmen, um zu überlegen.
Ich wünsche Ihnen einige Augenblicke der Ruhe und Sammlung, damit sie ihre anstehenden Entscheidungen gut und überlegt treffen können. Am Sonntag im Wahllokal, in ihrer Familie, an ihrem Arbeitsplatz, im Freundeskreis. Sie haben die Wahl – nur die Ruhe! Einen guten Start ins Wochenende wünscht Pfarrer Ulrich Clancett aus Jüchen.