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Das Geistliche Wort | 26.11.2017 | 08:35 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Spottkönig oder Superstar

Aufmüpfige Gedanken zum letzten Sonntag im Kirchenjahr

Das ist jetzt schon über sechzig Jahre her, aber die Szene ist mir immer noch sehr lebendig vor Augen:

Ich sitze, vielleicht 10 Jahre alt, gebannt vor dem alten Radio in der Küche, abends, weil da soll der Empfang besser sein. Irgendwo hatte ich gehört,

auf Kurzwelle könne man Radio Vatikan empfangen. Das Ohr am Lautsprecher

taste ich die Frequenzen ab und bekomme Sternchen in die Augen:

endlich, der Sender aus Rom, und zur vollen Stunde das Pausenzeichen:

Toneinblendung: Im Pegelrauschen, Pausenzeichen Radio Vatikan (25’’)

Inzwischen habe ich gelernt: die Geschichte dieser schlichten und einprägsamen Melodie ist über zwölfhundert Jahre alt. Sie geht zurück auf Anrufungen der fränkischen Liturgie in der Mitte des 8. Jahrhunderts.

Im Oktober 1949 bekam der erste Leiter der Musikabteilung von Radio Vatikan

den Auftrag, daraus ein Pausenzeichen für den Sender zu machen.

Jetzt klingen neben der Orgel auch ein Streichorchester, die Harfe und vor allem

die Klangstäbe der Celesta, genau zwanzig Sekunden lang.

Ich vermute, es ist das älteste Pausenzeichen der Rundfunkgeschichte,

seit fast siebzig Jahren unverändert im Gebrauch:

Toneinblendung: ohne Pegelrauschen, Pausenzeichen Radio Vatikan (20’’)

Warum ich gerade heute davon erzähle?

Der Text zu dieser Melodie ist wie eine Überschrift zum heutigen Sonntag:

Der letzte Sonntag im Kirchenjahr wird in der evangelischen Kirche

als ‚Totensonntag’ oder ‚Ewigkeitssonntag’ gefeiert.

Die katholische Liturgie schaut auf den Herrn der Kirche

und bekennt sich zu Christus, dem König:

„Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat.“

Toneinblendung: Anrufung deutsch gesungen (capella henrici, bamberg) (25’’)

Zugegeben: Was den kleinen Jungen nach dem Krieg am Küchenradio fasziniert hat, muss sich heute, ein Leben danach, buchstäblich in einer anderen Welt bewähren. Diese Welt ist multimedial, ist digital, ist kommunikativ vernetzt wie nie zuvor.

Wie also heute von Christus, dem König, reden, wenn vielleicht morgen

oder übermorgen ein dritter Weltkrieg über Twitter angezettelt wird?

Wie von Christus, dem König, reden in einem Land, das in unzähligen Casting-shows auf der Suche ist nach immer neuen Superstars?

Da klingen manche Passagen aus dem Rockmusical der Siebzigerjahre heute fast prophetisch aktuell:

Toneinblendung: ‚Jesus Christ Superstar’ / Titelsong (20’’)

Die Jesusgeschichte als Bühnenereignis, von manchen als blasphemisch abgelehnt, von vielen begeistert aufgenommen, jahrzehntelang erfolgreich, weltweit.

Toneinblendung: ‚Jesus Christ Superstar’ / Hosanna (15’’)

Da fragt ein frecher Judas: „Sag mal Jesus, wer bist du? Stimmt, was die Leute von dir sagen? Hast du dir nicht die falsche Zeit ausgesucht und das falsche Land? Versteh mich nicht falsch, ich würd’s nur gern wissen…“

Toneinblendung: ‚Jesus Christ Superstar’ / Jesus must die (15’’)

Ein spöttischer Herodes bietet ihm die Freilassung an

für einen Gang über seinen Swimmingpool.

Und in der Verfilmung des Musicals sieht man bei der Tempelaustreibung Waffenlobby und Menschenhändler.

Toneinblendung: ‚Jesus Christ Superstar’ / Maria Magdalena (15’’)

Offenbar ist es den Autoren des Musicals gelungen, etwas von der Spannung zwischen kritischen Fragen und leidenschaftlichem Glauben so umzusetzen,

dass sie viele Menschen damit erreichen konnten. Eine ganze Generation

ist durch diese Musik der Jesusgeschichte vielleicht näher gekommen

als durch viele Predigten.

Toneinblendung: ‚Jesus Christ Superstar’ /Titelsong und Nachspiel (30’’)

Das Liebeslied der Maria Magdalena ist vielen bis heute im Ohr,

und es gibt mir sehr zu denken, dass bis in unsere Tage dieses Stück

auf den Bühnen zu finden ist.

Für mich selbst aber ist ein ganz anderer Zugang zum Geheimnis vom Königtum Christi entscheidend geworden.

Seit zwanzig Jahren feiere ich den Gottesdienst mit der Gemeinde

unter einem einfachen Holzkreuz aus Eichenbalken.

Der lebensgroße Korpus daran ist sicher die größte Kostbarkeit in unserer Kirche. Siebenhundert Jahre alt, in den Pyrenäen geschnitzt, ist er kunstgeschichtlich

eine seltene Überlagerung spätromanischer und frühgotischer Bildsprache.

Die Kreuze der Romanik zeigen Christus als königlichen Sieger über den Tod,

mit ausgebreiteten Armen, mehr vor dem Kreuz schwebend als daran festgemacht, mit einer Herrscherkrone auf dem Haupt und ganz in ein Gewand gehüllt. Erst später in der Gotik liegt der Akzent mehr auf dem Leiden und Sterben am Kreuz. Das Gewand schrumpft zu einem Lendenschurz, die hoheitlich aufgerichtete Gestalt wandelt sich zum gekrümmten und geschundenen Leib,

oft mit verrenkten Gliedmaßen, und aus der Königskrone wird die Dornenkrone.

Das Kreuz in St. Maria Magdalena ist eine Schnittmenge aus beiden Bildtypen.

Besonders deutlich wird das am Haupt des Gekreuzigten. Er trägt eine geschmückte Königskrone und darunter sieht man auf seiner Stirn die Blutspur der Dornenkrone, also ein Osterbild, in dem Tod und Auferstehung zugleich ansichtig werden.

Ich bin fest davon überzeugt, dass in der gegenwärtigen Situation unserer Gemeinden nichts nötiger ist und hilfreicher sein kann, als ein solcher Blick auf die Herzmitte christlichen Glaubens.

Der König, auf den die Kirche zum Ende des Kirchenjahres schaut,

erweist sich in seinem Leiden und Sterben ganz als einer von uns Menschen,

solidarisch mit allen Leidenden, bis in den Tod. Dafür steht die Krone aus Dornen.

In seiner Auferstehung wird er für die Seinen zum Fürst des Lebens,

zum Sieger über den Tod. Dafür steht die Krone des Herrschers.

Beide österlichen Dimensionen in einem Bild, das ist für mich der stärkste Ausdruck für die Herausforderung christlichen Glaubens:

blutig und gekrönt zugleich: also doch ein König!

Elisabeth Langässer hat diesen Gedanken in ihrer Kurzgeschichte ‚Saisonbegin’

auf eindrucksvolle Weise anschaulich gemacht:

(Sprecherin:)

Die Arbeiter kamen mit ihrem Schild und einem hölzernen Pfosten,

auf den es genagelt werden sollte, zu dem Eingang der Ortschaft,

die hoch in den Bergen an der letzten Passkehre lag.

An der Stelle, wo die Männer den Pfosten in die Erde einrammen wollten,

stand ein Holzkreuz, über dem Kopf des Christus war auch ein Schild angebracht. Seine Inschrift war bis heute die gleiche, wie sie Pilatus entworfen hatte: J. N. R. J. die Enttäuschung darüber, dass es im Grunde hätte heißen sollen: er behauptet nur, dieser König zu sein, hatte im Lauf der Jahrhunderte an Heftigkeit eingebüßt.

Auch der sterbende Christus, dessen blasses, blutüberronnenes Haupt

im Tod nach der rechten Seite geneigt war, schien sich mit letzter Kraft zu bemühen, die Inschrift aufzunehmen. Als die Männer den Kreuzigungsort verließen und ihr Handwerkszeug wieder zusammenpackten, blickten alle drei noch einmal befriedigt zu dem Schild mit der Inschrift auf. Sie lautete:

"In diesem Kurort sind Juden unerwünscht.“

Einspielung: Max Reger, Wie schön leuchtet der Morgenstern / Collage: Anfang der Phantasie, Ende der Fuge (2’50’’)

(in die Orgelmusik, im ersten Drittel, eingesprochen:)

Blutig und gekrönt zugleich: also doch ein König!

Es kommt mir so vor, als hätte Max Reger mit seiner Orgelphantasie

die gleiche Predigt halten wollen.

Am Ende der kunstvollen Fuge setzt sich achtstimmig das Choral-Thema

gegen alle anderen durch. Es ist, als hörte man über den Noten

den strahlenden Triumph der letzten Zeile des Chorals:

‚Singet, springet; jubilieret, triumphieret, dankt dem Herren.

Groß ist der König der Ehren.’

Blutig und gekrönt zugleich: also doch ein König!

So meint der letzte Sonntag im Kirchenjahr alles andere

als eine geistlose Heldenverehrung.

Ganz im Gegenteil: Es ist eine Einladung, das Widerständige, das Verrückte,

das Paradoxe in unserem Christusbekenntnis neu in den Blick zu nehmen.

Als der Christkönigssonntag durch Papst Pius XI. im Jahre 1925 eingeführt wurde, waren damit auch noch monarchische Gedanken verbunden.

Schon zehn Jahre danach wurde für die katholische Jugend im Nazi-Deutschland dieses Fest zu einem machtvollen politischen Signal.

Im Bekenntnis der Jugend zu Christus, dem König, war sehr bewusst auch Protest gegen den menschenverachtenden Führer-Kult.

Ich finde, gerade dieser gesellschaftskritische Bezug des Festes

Ist heute nicht weniger aktuell:

ein Christus-Bekenntnis gegen alle populistischen Rattenfänger,

eine aufmüpfige Kirche gegen phantasielose Resignation.

Und ich kenne keinen Text aus der jüngeren Kirchengeschichte,

der die Herausforderungen heutigen Christseins besser beschreibt

als das Schlussdokument der Würzburger Synode, einer Kirchenversammlung

aus der Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Darin heißt es im Beschluss ‚Unsere Hoffnung’:

(Sprecherin:)

Eine Kirche, die sich erneuern will,

muss wissen, wer sie ist und wohin sie zielt.

Nichts fordert soviel Treue wie lebendiger Wandel. …

Der Preis für dieses Zeugnis ist hoch, das Wagnis dieses Gehorsams ist groß,

es führt in ein Leben zwischen vielen Fronten.

Jesus war weder ein Narr noch ein Rebell;

aber offensichtlich beiden zum Verwechseln ähnlich.

Schließlich wurde er von Herodes als Narr verspottet

und von seinen Landsleuten als Rebell ans Kreuz ausgeliefert.

Und wer ihm nachfolgt, muss damit rechnen,

der gleichen Verwechslung zum Opfer zu fallen

und zwischen alle Fronten zu geraten- immer neu, immer mehr.

So möchte ich gleich mit der Gemeinde Gottesdienst feiern, zwischen allen Fronten, und ich freue mich jetzt schon auf die Begegnung

unter dem Kreuz mit der Krone über dem Blut auf der Stirn.

Ich bin Dietmar Schmidt, Pastor in Bochum

Einspielung: Johann Sebastian Bach, Johannespassion, Schlusschoral (2’15’’)

(eingesprochen, im ersten Drittel der Musik:)

Heute beginnt der Gottesdienst mit einem Vers

aus dem letzten Buch der Heiligen Schrift:

„Würdig ist das Lamm, das geschlachtet, ist,

Macht zu empfangen, Reichtum und Weisheit, Kraft und Ehre.

Ihm sei die Herrlichkeit und die Herrschermacht in Ewigkeit“

Blutig und gekrönt zugleich: also doch ein König!

Die gleiche Paradoxie begegnet uns im Schlusschoral der Johannespassion:

Was wie ein Todes-Schlaf-Lied beginnt, leuchtet am Ende auf im strahlenden Lobpreis, wie aus einer anderen Welt…

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