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Das Geistliche Wort | 04.02.2018 | 08:35 Uhr

"Zeit satt"

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,

und ich hoffe, es ist ein guter Morgen für Sie. Ich habe gerade noch so überlegt: Irgendwie wird die Zeit heute wieder recht knapp. Jetzt gleich soll ich Frühstück für die Familie machen, naja, vielleicht macht es schon jemand anderes, wäre ja schön. Dann einigermaßen in Ruhe Kaffee trinken, bis meine Frau und ich schauen müssen, dass die Kinder angezogen sind, denn wir wollen ausnahmsweise mal nicht auf die letzte Minute in der Kirche sein. Danach nicht zu lange mit anderen erzählen, denn das Essen soll ja auf den Tisch und heute Nachmittag wollen wir ja mal einen längeren Ausflug machen, hatten wir den Kindern ja versprochen. Und ich muss jetzt schon dran denken, dass ich heute Abend auf jeden Fall noch an den Schreibtisch muss, das kann auch noch mal länger dauern, sonst bekomme ich den Stapel da nie weggearbeitet. (seufz) Zeit ist echt knapp!

Musik: Lee Ritenour – Alfie’s Theme (ab 0:35)

Zeit ist echt knapp! Ich habe leider immer wieder diese Momente, da bräuchte der Tag ein paar Stunden mehr. Oder eine zusätzliche Woche wäre gut. Und ich weiß, das geht nicht nur mir so. Wenn ich mich in meiner Alltagswelt umschaue, sind da die vielen berufstätigen Eltern mit meist noch kleinen Kindern, deren Zeit zwischen Arbeit, Familie, Renovierungsarbeiten, Freizeitaktivitäten und eigenen Interessen so zerteilt ist, dass ich mich manchmal wundere, wie viel Zeit dann noch in WhatsApp-Gruppen zu Kindergeburtstagen oder Ähnlichem investiert werden kann. Oder: Da sind die Kolleginnen und Kollegen an meinem Arbeitsort, einem großen Berufskolleg, für die es schwierig ist, im Schulalltag noch Zeit für Besprechungen zu finden, weil alles schon voller Terminen ist. Da ist der Freund im mittleren Management, in dessen Firma es eine Art Wettbewerb ist, in wessen Büro abends noch am längsten Licht brennt.

Dass das in unserem Alltag so ist, hat natürlich verschiedene Gründe. Für den Soziologen Hartmut Rosa spielt die technische Beschleunigung dabei eine entscheidende Rolle. Alle kommen schneller von einem Ort an den anderen, können viel schneller mit viel mehr Leuten kommunizieren, bekommen meist viel schneller ihre Wünsche erfüllt, wenn denn das nötige Geld dafür da ist. Und weil das so ist, verändert sich auch der Erwartungshorizont: Das Päckchen mit dem bestellten Buch könnte ja schon morgen da sein, ein Wochenendtrip nach London wäre auch mal wieder schön, und: Warum antwortet die nicht auf meine letzte Nachricht? Ist doch schon eine Stunde her? Aus all dem ergibt sich, dass sich unser Lebenstempo ordentlich beschleunigt hat. Fasziniert und abgeschreckt zugleich habe ich letzte Woche eine Frau im Café beobachtet, die sich mit ihrer Freundin unterhielt, dabei Nachrichten auf ihrem Handy schrieb, ihrer kleinen Tochter neben sich Apfelstückchen in den Mund schob und noch einen Latte Macchiato bestellte ohne aufzuschauen. Wohlgemerkt: Alles gleichzeitig.

Mich fasziniert das schon, hat doch etwas für sich, alles auf einmal zu erledigen – wenn nicht bei den meisten Leuten, mit denen ich darüber spreche, das Gefühl vorherrschen würde: So ein beschleunigtes Leben ist auch nicht reicher, lässt nicht mehr Zufriedenheit aufkommen. Die Rede von der Tretmühle oder dem Hamsterrad macht da viel mehr die Runde.

Natürlich gibt es dieses Gefühl von Hast und Fremdbestimmtheit nicht nur in der heutigen Zeit. Das gibt es vermutlich, seit es Menschen gibt. Was mich zu Ijob führt, einem Weisheitslehrer aus der Bibel. Der klagte auch:

Sprecher:

„Sind nicht die Tage eines Menschen die eines Tagelöhners? Wie ein Diener ist er, der nach Schatten lechzt, wie ein Tagelöhner, der auf den Lohn wartet. So empfing ich Monate voll Enttäuschung, und Nächte voller Mühe erhielt ich. Wenn ich mich niederlege, frage ich mich: Wann darf ich aufstehn? Und wenn es Abend wird, bin ich ruhelos, bis die Sonne untergeht. Schneller als ein Weberschiffchen eilen meine Tage, der Faden endet, sie verschwinden.“

Musik: Tommy Emmanuel – Endless Road

Ein Leben im Hamsterrad – oder eben wie ein hin- und herflitzendes Weberschiffchen. – Offensichtlich war das schon Ijob im Alten Testament bekannt, auch ohne unsere hochtechnisierte und beschleunigende Welt. Dabei laufen die Uhren in der Bibel durchaus etwas anders als in unserem Alltag, in dem wir irgendwie immer davon ausgehen, dass wir unsere 7-Tage-à-24-Stunden-Woche nur gut genug planen müssen, damit möglichst viel erledigt werden kann. Aber ich frage mich inzwischen: Zu welchem Zweck sollen möglichst viele Aufgaben erledigt werden? Was ist der Sinn davon, die Zeit auszubeuten?

Ein anderer Weisheitslehrer der Bibel, Kohelet, empfand Zeit erst einmal als von Gott geschenkte Zeit – die dann auch irgendwie wieder im Sinne Gottes gebraucht werden sollte. Zeit wurde verstanden nicht nur als eine Summe von zu planenden Stunden, sondern als eine Abfolge von Handlungen, für die man quasi Zeit geschenkt bekommen hat. Und vor jeder neuen Handlung stellte sich dann die Frage: „Ist das jetzt im Sinne Gottes? Ist das jetzt im Sinne des Schöpfers?“ – Ok. Ich will das jetzt nicht zu überzogen darstellen, als ob jeder Mensch damals philosophierend in der Gegend rumstand, bevor er etwas tat. Aber der Unterschied ist doch, dass es beim Leben nicht um eine Summe von Stunden, Tagen, Wochen und Monaten ging, sondern einfach um ein Geschenk, dessen Sinn immer wieder hinterfragt werden konnte. Selbst Jesus betonte das. Er formulierte es so (vgl. Mt 25,13): Seid wachsam, denn ihr wisst nicht den Tag oder die Stunde, wann der Herr kommt.

Und auch die Regel des Heiligen Benedikt hat dieses biblische Zeitverständnis auf ihre Weise bewahrt. Benedikt war der Vater des europäischen Mönchswesens. In dem Vorwort der Regel heißt es zunächst immer wieder „Höre!“ „Höre, ... neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an!“ Und dann wird dieses „höre“ ergänzt durch ein „handle“, indem es weiter heißt: „und erfülle den Zuspruch des Vaters durch die Tat!“. Und in der Tat ist das benediktinische Ordensleben durch diesen Grundrhythmus geregelt: Höre und handle. Höre Gottes Wort in Gottesdienst, Lesung, Gebet und Schweigen, handle dann nach deiner Einsicht in jeder nötigen Arbeit und in allem, was du mit und für deine Mitmenschen tust. Anders formuliert: Dieses Ineinander von hören und handeln könnte man als das Grundgerüst biblischen und eben christlichen Zeitmanagements betrachten.

Musik: Tommy Emmanuel – Sunset

Was über Bibel und Benediktsregel in sehr religiöser Sprache daher kommt, kann man auch aus anderer Sicht mit dem schon anfangs erwähnten Soziologen Hartmut Rosa beschreiben: Unsere Gesellschaft ist so beschleunigt, dass es Vielen offenbar zunehmend schwer fällt, einmal nichts zu tun, nichts zu erledigen, die Dinge sein zu lassen, wie sie sind. Selbst wenn im Urlaub oder an Feiertagen die Arbeit mal ruht, gibt es da schon wieder einen anderen Handlungsdruck: alte Freunde wiedersehen, mit den Kindern oder Eltern etwas machen, endlich mal den Keller aufräumen oder ein Hobby pflegen. Das zeugt tatsächlich von einer gewissen Unfähigkeit, Zeit einfach mal frei sein zu lassen, Zeit einfach mal ungeplant vergehen zu lassen. Freizeit – altdeutsch auch Muße genannt – ist eigentlich ungeplante, einfach verstreichende Zeit.

Wofür man die dann braucht? Eigentlich für nichts, um frei zu sein für das, was auf einen zukommt, was sich dann in den Vordergrund drängt. Hartmut Rosa nennt das Resonanz. Er meint damit das, was sich dann im besten Fall einstellt: den Einklang zwischen sich und der Welt draußen. Resonanz bedeutet, dass in diesen unverplanten Zeiten etwas in mir ins Schwingen gerät, das mich in Bezug zu mir, zu meinen Mitmenschen, zu meiner Welt setzt. Beim Heiligen Benedikt und vielen anderen Theologen ergibt sich dadurch erst die Möglichkeit, Gottes Wort zu hören. Ich für meinen Teil würde das, was sich in echter Freizeit, vielleicht sogar in gelangweilter Ruhe entwickelt, größere Klarheit nennen. Es ist die Zeit, wo mir aufscheint, was wichtiger in meinem Leben sein sollte. Ich möchte da nicht von meinem Lebenssinn reden, eher so von den ersten Feinjustierungen im Alltag, von den ersten Erkenntnissen, was mich und mein Leben wirklich weiterbringt – und wenn es die Erkenntnis ist, dass ich unbedingt mehr von dieser freien Zeit brauche. Die kann ich übrigens auch durchaus mit anderen verbringen, vor allem mit denen, die sich eben gerade so aufdrängen. Gerade ungeplant tauchen gerne auch Familie, Freunde oder sonstwer auf. Die dürfen dann dabei sein, müssen aber damit leben, dass ich gerade nichts mache, zumindest nichts Geplantes.

Daher ändere ich die Pläne für heute schon mal. Keine Eile beim Frühstück, vielleicht fällt dann sogar mal das Mittagessen aus. Notfalls geht Brote machen ja immer. Vielleicht kommen wir dann sogar entspannter in den Gottesdienst. Der ist bei uns eh’ Teil der Freizeit, bei den Kindern auch schon mal der gelangweilten Ruhe. Und nach draußen kommen wir wahrscheinlich auch ohne geplanten Ausflug. Dafür aber mehr Zeit zum Reden, Spielen, Nichtstun. Und vielleicht klappt das mit dem Arbeiten heute Abend auch nicht mehr. Das wäre dann schon mal ein Stück mehr Freizeit, Muße, vielleicht Resonanz, offenes Ohr für Gott, größere Klarheit.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten, vielleicht ganz ungeplanten Sonntag.

Herzlich grüßt sie aus Krefeld Christoph Buysch

Musik: Lee Ritenour – Pavane

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