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Das Geistliche Wort | 04.03.2018 | 08:35 Uhr

Da berühren sich Himmel und Erde

Es gibt eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt, nicht zuletzt in meinem Beruf als Gemeindereferentin:

Wie kommen Menschen mit Gott in Berührung?

Was muss geschehen, damit Menschen die Erfahrung einer anderen Wirklichkeit machen können, die Erfahrung: Hier kommt Gott in mein Leben?

Ich möchte von zwei Frauen erzählen, die für mich Beispiel gebend dafür sind. Die eine ist Bärbel. Sie wurde in den 1950er Jahren hier in Bielefeld geboren mit Trisomie 21. Solange sie konnte, sortierte sie Schrauben bei der Lebenshilfe, einer Werkstatt für Behinderte. Die andere ist Madeleine Delbrêl. Sie gilt als eine der größten Mystikerinnen des 20. Jahrhunderts und „Prophetin einer Kirche im Aufbruch“, selbstbewusst und autark.

Musik 1

Bärbel und Madeleine Delbrêl, zwei Frauen, die mir Antwort geben auf die Frage, wie Menschen mit Gott in Berührung kommen können. Von ihnen möchte ich Ihnen erzählen.

Lange Zeit kannte Bärbel nicht mehr von der Welt als die elterliche Wohnung. Ihre Mutter behielt sie als behindertes Kind ganz nah bei sich; sie litt entsetzlich darunter, dass ihr Kind anders war, mongoloid, wie man damals sagte. So wurde Bärbel von der Öffentlichkeit ferngehalten und vor allem behütet. Bärbel lernte sich zu beschäftigen, sie liebte das Schreiben von Geschichten, das Ausmalen von Bildern. Und: Sie entwickelte ein unbestechliches Gespür für die Menschen, für deren Echtheit. Als ihre große Schwester Herta den ersten Heiratskandidaten mit nach Hause brachte, da verkroch Bärbel sich unter dem Tisch. Sie hatte keine Angst vor dem jungen Mann – aber die Botschaft war klar: Ihr passt nicht zusammen. Herta war gewarnt und trennte sich von ihrem Freund. Später erlebte sie mit, wie innig Bärbel ihren neuen Freund umarmte. Da war sie sich ganz sicher: Den kannst du heiraten! Die beiden hatten Bärbels Segen und schlossen sie von Anfang an in ihre Liebe mit ein. Das war gut; denn als Jahre später ihre Mutter starb, beschloss Bärbel, inzwischen eine Frau von 36 Jahren: „Dann bleibe ich jetzt eben bei euch.“ In der Familie ihrer Schwester erfuhr sie selbstverständliche Geborgenheit. Bärbel liebte es, wenn Gäste kamen. Dann deckte sie mit Hingabe den Tisch, das lag ihr. Wer sie in solchen Augenblicken erlebte, dem ging das Herz auf. Die letzten zwölf Jahre ihres Lebens verbrachte Bärbel in einem Wohnheim der Lebenshilfe. Ihre Wohngruppe und die phantastischen Betreuer erlebte sie als ihre andere Familie. In ihrem Kreis verstarb sie letztes Jahr mit 62 Jahren.

Ich durfte Bärbel beerdigen. Es hört sich vielleicht komisch an, aber es war die schönste Trauerfeier, die ich je erlebt habe, weil ihre Freunde und Freundinnen aus der Wohngruppe so deutlich ihre Gefühle zeigten. Sie lachten und weinten und am Ende winkten sie und riefen „Auf Wiedersehen, Bärbel“. Mich hat es so bewegt, weil es genau der Art entsprach, wie ich Bärbel zeitlebens erleben durfte, dass ich nur sagen kann: In ihr ist mir Gott nah gekommen. Durch ihre Art, Zuneigung und Freude auszudrücken, hat Bärbel mir die Gebärden der Liebe Gottes gezeigt.

Musik 2

Bärbel, die Frau mit Trisomie 21, und Madeleine Delbrêl, die Mystikerin des 20. Jahrhunderts, beide sind mir zur Antwort auf die Frage geworden, wie Menschen mit Gott in Berührung kommen können.

Madeleine Delbrêl „war eine ganz ungewöhnliche Frau“. Es heißt über sie:

„Wenn man irgendein Problem hatte, sagte man: ‚Komm, wir gehen zu Madeleine!‘, und damit war das dann schon halb gelöst. Es sah nie so aus, als würde sie sich Sorgen um die Zukunft machen. Glauben Sie mir, jeder Mensch konnte sie aufsuchen. Sie hatte für alle die gleiche Aufmerksamkeit.“

So beschreibt einer der kommunistischen Nachbarn aus dem Pariser Vorort Ivry Madeleine Delbrêl 1964 nach ihrem Tod. Hier in der Bannmeile von Paris lebte sie über 30 Jahre lang ein – wie sie selbst sagte – ganz gewöhnliches Leben. 1904 in Südfrankreich geboren, kam sie mit ihrer Familie als junges Mädchen nach Paris. Madeleine erhielt alle Möglichkeiten, ihre künstlerischen und intellektuellen Begabungen auszubilden. Wenig später begann eine tief erlebte atheistische Phase. Madeleine fand die Welt täglich absurder. Eine unglückliche Liebe stürzte sie in eine Lebenskrise. Diese wiederum löste ein intensives Ringen und Suchen nach Sinn, nach Gott, aus. In der Folge erlebte sie als 20jährige eine überwältigende Bekehrung, von der sie später sagt, diese Erfahrung habe bis an ihr Lebensende angehalten. Daraufhin krempelte Madeleine ihr Leben komplett um. Sie, die als junge Frau Literaturpreise bekommen hatte und eine Karriere als Künstlerin hätte machen können, sie ließ sich zur Sozialarbeiterin ausbilden und ging mit einigen Gefährtinnen in das kommunistische Ivry. Sie wollte das Glück des Glaubens teilen mit denen, die ohne Gott lebten. Denn was das heißt, hatte sie ja selbst bis in den tiefsten Winkel ihres Herzens erfahren.

Das Evangelium wurde für sie und ihre Gefährtinnen zum Buch ihres Lebens. 1946 zog sich Madeleine aus ihrem Berufsleben als Sozialarbeiterin zurück, um ganz für ihre Gefährtinnen da zu sein, mit denen sie eine Gemeinschaft gebildet hatte. Eine Gemeinschaft übrigens ohne äußeres Zeichen oder Gelübde. Sie waren einfach da, für jedes Anliegen bereit.

Die Madeleine-Delbrêl-Expertin Annette Schleinzer schreibt treffend über ihr Leben:

Sprecherin:

„Aus der Studentin und Künstlerin, die in den Zwanzigerjahren als eine der verrücktesten jungen Frauen von Paris galt und die imstande war, eine ganze Nacht hindurch auf der Seine-Brücke zu tanzen, wurde eine verborgene Gotteszeugin, die sich dazu beauftragt sah, jeden Tag auf ganz unspektakuläre Weise ‚die Gebärden Christi zu wiederholen‘.“

Musik 3

Bärbel und Madeleine Delbrêl. Zwei völlig unterschiedliche Leben. Und doch in den Gebärden der Liebe so nah beieinander, dass ich sie in einem Atemzug nenne. Die eine war wie die andere von Gott durchströmt; Bärbel, ohne es selbst so zu benennen, aber nicht weniger wirksam. So denke ich bis heute an unsere erste Begegnung: Es war in der Kirche, obwohl Bärbel mit Kirche nicht so viel am Hut hatte. Aber Weihnachten fand sie toll und Ostern. Am Ende des Kindergottesdienstes, den ich als Gemeindereferentin feierte, stürmte diese kleine zarte Frau mit dem Down-Syndrom auf mich zu und strahlte mich an wie ein Kind. Sie drückte mich so innig und fest, dass ich das heute noch fühlen kann. Für mich war es so, als würden sich Himmel und Erde berühren. Und mir ging auf: Gott ist Mensch geworden, weil er uns liebhaben möchte. Durch Bärbels Umarmung habe ich Gottes Liebe gefühlt. Und genau das ist auch das Thema, das sich durch Madeleine Delbrêls Schriften wie ein roter Faden hindurch zieht! Sie schreibt über die Gebärden menschlicher Liebe, die uns für die Liebe Gottes öffnen:

„Wenn ein Mensch von dieser Liebe geliebt wurde, wird er sie nie vergessen. Und die Erinnerung daran wird auf ihre Weise wie eine Vorahnung der Liebe Gottes selbst.“

Musik 4

„Was für ein Sonnenschein die Bärbel war, das begreife ich erst jetzt so richtig“, sagt ihre Schwester heute. Ganz besonders liebte Bärbel ihre Großnichte und ihren Großneffen, Jessica und Timo. Inzwischen sind die beiden erwachsen, aber wie sie geliebt wurden, spüren Timo und Jessica über den Tod ihrer Großtante Bärbel hinaus noch heute. Und es könnte bei den beiden wohl genauso sein, wie Madeleine Delbrêl am Ende ihres Lebens sagt über die Erfahrung Gottes:

„Ich wünschte mir, dass wir wenigstens einmal im Leben die Gute Nachricht von Gott so kraftvoll, so leidenschaftlich und mit einer solchen Herzensgüte verkünden, dass es sich ins Gedächtnis dessen eingräbt, dem wir sie verkündet haben, ja, dass er so etwas wie Heimweh danach empfindet. Und dass sich dieser Mensch dann eines Tages – wenn wir schon gar nicht mehr da sind und ohne dass irgendjemand etwas davon weiß – aus dieser Erinnerung heraus intuitiv an Gott wendet.“

Musik 5

Wie kommen Menschen mit Gott in Berührung? Eigentlich ganz einfach: Durch gelebte Herzensgüte – als Ausdruck der Liebe, mit der Gott uns Menschen liebt. Gott leiht sich unsere Augen und unser Herz. Und so betet Madeleine Delbrêl:

„Und weil deine Augen in den unsren erwachen,

weil dein Herz sich öffnet in unserm Herzen,

fühlen wir, wie unsere schwächliche Liebe aufblüht,

sich weitet wie eine Rose, zärtlich und ohne Grenzen

für all diese Menschen, die hier um uns sind.“

Und wer weiß - vielleicht geschieht es hin und wieder, dass Menschen auch durch uns – durch Sie, durch mich - eine Ahnung von Gottes Liebe bekommen.

Aus Bielefeld grüßt Sie Bärbel Lödige

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