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Das Geistliche Wort | 22.04.2018 | 08:35 Uhr

„Warum ich Priester bin“

Guten Morgen!

Warum bin ich Priester? Weil es mein Traumberuf ist! Ich kann nämlich voll und ganz nach meinem Gewissen handeln. Ich darf Menschen auf ihrem Lebensweg begleiten, auf ihrem Glaubensweg. Und das aus meinem eigenen Glauben heraus. Mit dem, was mir wichtig geworden ist. Das gibt mir Sinn und Erfüllung. Trotz allem, was im Moment vielleicht schwierig ist.

Ich bin 1994 zum Priester geweiht worden. Im nächsten Jahr sind das 25 Jahre, ein Vierteljahrhundert. Mittlerweile hat sich viel geändert in Gesellschaft und Kirche. Aber auch in meinem Verhältnis zu diesem Beruf. Deshalb ist es mir heute viel wichtiger, wer ich bin als Christ. Ich bin ein Christ, der eben auch ein Amt hat. Ich sehe mich mehr als Verkünder einer Botschaft und nicht so sehr als Vertreter einer Institution; ich bin mehr Christ in der Welt als Priester in der Kirche.

Musik I: Officium, “Parce mihi domine”

Wie ich Priester geworden bin? Am besten, ich fange mal ganz von vorne an: Ich bin katholisch sozialisiert, das heißt, ich habe meinen Glauben geerbt, habe in Familie und Gemeinde mitgemacht, was andere vorgemacht haben. Christsein durch Geburt und Tradition. Die bewusste Entscheidung für Jesus kam erst viel später. Vorbilder hatte ich so gut wie keine. Die Priester in meiner Heimat wirkten auf mich eher verschroben oder waren voller Machtallüren. Deshalb ärgerte man sich in meinem Elternhaus über den Pfarrer, aber von Gott gesprochen wurde nicht. Mein eigener Zugang zum Glauben war eher die Musik, nicht die Theologie

Dennoch habe ich mit dem Theologiestudium begonnen, einfach weil ich Priester werden wollte, Seelsorger. Vor allem war ich von Jesus fasziniert, von seinem Gottvertrauen, seinem Leben und Sterben. Und wie er heute in der Welt erfahren werden kann: im Handeln der Kirche, im Gebet, aber eigentlich auch in jedem Menschen, der die Welt verändern will. Ich wollte Priester werden um Jesu willen, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass der mich annimmt und liebt, wie ich bin.

Das Interesse an Theologie kam erst mit dem Studium. Die Theologie hat meinen Glauben kräftig geläutert, wofür ich sehr dankbar bin. Kindliche Vorstellungen mussten weg, kritisches Denken musste her. Vor allem habe ich gemerkt, dass wir von Gott nur in Bildern sprechen können, und dass nicht alles gleich wichtig ist, was sich so angesammelt hat im Laufe der Kirchengeschichte. Also immer schön locker bleiben, die Theologie hat nicht viel mehr zu bieten als Sprechversuche von einem großen Geheimnis. Von einem Geheimnis aber, das mir in Jesus sehr nahegekommen ist. Seinetwegen wollte ich Priester werden und möchte es bleiben, solange ich lebe.

Im Priesterseminar waren wir 37 Erstsemester, ein großer Kurs. Dort, im Collegium Borromäum in Münster, gab es gute Ausbilder; es waren die ersten wirklichen Seelsorger, denen ich begegnen durfte. Ich war dort sehr gerne; manche meiner Freunde sagen, ich hätte das Seminar relativ unbeschadet überstanden, das sei schon viel. Denn tatsächlich ging es dort manchmal ziemlich drunter und drüber.

Musik II: Officium, „Sanctus“

Bei der Priesterweihe waren von den 37 Erstsemestern noch 18 übrig. Sechs davon haben mittlerweile ihr Amt aufgegeben und geheiratet. Auch vier meiner priesterlichen Ausbilder sind aus dem Amt geschieden. Das ist sehr schade, denn sie alle waren wirklich gute Seelsorger, kreativ und nahe bei den Menschen. Warum ich dabeigeblieben und noch Priester bin? Ich glaube, es liegt daran, dass ich schnell gelernt habe, nüchtern auf meinen Beruf und die Institution Kirche zu schauen: Ich habe von Anfang an Kontroversthemen angepackt, war kritisch und auf der Suche nach Argumenten. Autoritäten waren mir schon immer suspekt. Ich habe mich an diejenigen gehalten, die nach der Wahrheit suchten, und bin denen aus dem Weg gegangen, die meinten, sie würden die Wahrheit endgültig besitzen. Über die ganze klerikale Eitelkeit konnte ich immer schon ein bisschen lächeln, Gott sei Dank. Mit einer guten Prise Humor ist das eigentlich ganz gut auszuhalten.

In den ersten Berufsjahren als Kaplan war alles einfach: eine lebendige Gemeinde in Gestalt von sehr aktiven und selbstbewussten Christinnen und Christen. Ich war Everybodys Darling und fühlte mich getragen. Es war eine Akzeptanz, die einen geradezu süchtig machen konnte. Wenn es so geblieben wäre, dann wäre Priestersein ein Traumberuf ohne Wenn und Aber. Gottesdienst und Predigt, Seelsorge und Gespräch erfüllen mich bis heute mit innerer Zufriedenheit. Das alles mache ich sehr gerne.

Doch nach drei Jahren kam die erste Ernüchterung. Da habe ich gemerkt: Wenn du nicht für dich selber sorgst, tut es keiner. Für meinen Arbeitsalltag, für meinen Platz in der Kirche, ja auch für meine Glaubwürdigkeit bin ich ganz allein verantwortlich. Damals schlich sich eine gewisse Resignation in die stärker werdende Routine ein. Ich wurde Jugendseelsorger und dann Rektor einer Akademie. Dort habe ich gute Erfahrungen gemacht, vor allem in der geistlichen Begleitung. Doch immer habe ich gewusst: Als Gemeindepfarrer würde ich am glücklichsten sein. Denn da hat man nicht nur Angebote zu machen, sondern darf das ganze Leben begleiten.

Nach einigen Jahren bot sich eine größere Pfarrstelle an, auf die ich mich spontan beworben habe. Dort war ich schnell zu Hause, es war traumhaft schön. Wenn auch nicht mehr alle zum Gottesdienst kamen, so gab es doch eine große Nähe zu den Menschen. Und mit einem kompetenten Seelsorgeteam ist man niemals allein. Als Pfarrer auf dem Land ist man gut vernetzt und fast überall gerne gesehen. Das macht richtig Spaß: Es gibt Interesse an Inhalten, und mit den Einrichtungen der Pfarrei konnten wir viel Gutes aufbauen.

Mittendrin kam die Ernüchterung: Traditionsabbruch, Gemeindefusion, Denkverbote. Das macht auch vor einem Landpfarrer nicht halt. Alles in allem scheint mir: Wir sind als Kirche auf der Flucht vor der Postmoderne. Wir ziehen uns zusehends zurück und ich befürchte, wir werden zur frommen Sekte. Die Kirche entfernt sich von den Menschen, ihre Vertreter sind ohne Zweifel fromm und freundlich, aber zum Teil nicht fähig zum Dialog mit dieser Welt. Unter Papst Franziskus hat sich das Blatt gewendet, aber bisher ist auch hier außer mit Worten nur wenig geschehen, jedenfalls wenig Konkretes.

Musik III: Officium, „Regnantem sempiterna“

Der Zölibat ist ein Thema ohne Ende. Die Diskussion darüber begleitet mich als Priester auf Schritt und Tritt. Für die Gemeinde ist der Zölibat faktisch bedeutungslos, er ist höchstens Anlass für Witze und die penetrante Neugier einiger Kanzelschwalben. Die Gründe für den Zölibat sind theologisch und historisch nicht mehr haltbar. Man kann den Zölibat noch geistlich sehen: als Zeichen der Jesus-Nachfolge oder als Zeichen für die Liebe Gottes, die immer größer ist.

Ich halte es für besser, den Zölibat freizustellen. Ich meine: Auch der Priestermangel gehört zu den Zeichen der Zeit, durch die wir Gottes Willen erkennen sollen. Aber es geschieht nichts. Die Kirche wird sehenden Auges fromm vor die Wand gefahren. Ich weiß, das sind harte Worte, aber ich meine, wir sollten dem Ganzen schonungslos ins Auge schauen.

Wobei: Ich glaube nicht, dass der Zölibat in absehbarer Zeit freigestellt wird. Das liegt zum Teil nur daran, dass auch in der Weltkirche die Uhren noch anders ticken. Es liegt auch am völlig überhöhten, sakralisierten Priesterbild. Der Priester ist ja eigentlich nur Verkünder des Wortes und Darsteller Jesu Christi in den sakramentalen Handlungen. Das heißt, er verkündet das Evangelium, steht dem Gottesdienst vor und leitet die Gemeinde. Aber das Priesterbild vieler Katholiken ist immer noch aufgeladen mit archaischen Vorstellungen, es verleiht dem Amtsträger eine Macht, auf die man offenbar nicht verzichten möchte. Obwohl sie völlig unbiblisch ist. Es ist viel Magie im Priesterbild, Klerikalismus eben. Der Missbrauchsskandal hat gezeigt, wie schädlich und schändlich diese Überhöhung des Amtes ist, und was für katastrophale Folgen sie haben kann.

Musik IV: Officium, „O salitaris hostia“

Was ist meine Identität heute? Wer bin ich als Gemeindepfarrer, jetzt, in der Mitte meines Lebens? Vielleicht Konkursverwalter? Manche in meiner Pfarrei sehen mich als Chef, als Dienstgeber vieler Angestellter. Das möchte ich eigentlich nicht sein.

In der öffentlichen Wahrnehmung bin ich häufig nur Repräsentant einer Institution, ich gehöre irgendwie zum gesellschaftlichen Leben dazu. Ich selbst aber fühle mich angesprochen von Jesus, ich möchte mit ihm in der Welt leben, ihm in den Menschen begegnen und sie mit ihm bekannt machen. Als junger Priester habe ich nach immer neuen Methoden und Aktionen gesucht; jetzt bin ich schon etwas ruhiger geworden und spreche mit ganz einfachen Worten von meinem Glauben. Auch die Kirche ist mir wichtiger geworden, nicht als Institution, sondern als Gemeinschaft. Kirche, das sind für mich die Menschen, die beten, wenn ich es nicht kann, und die glauben, während ich zweifle. Diese Kirche wird kleiner werden und weniger Einfluss haben; sie wird mobiler werden mit weniger Immobilien. Sie wird glaubwürdiger, weil sie weniger Macht haben wird. Sie wird ansprechender sein, weil sie der frommen Worte überdrüssig ist.

Ich möchte Seelsorger sein in allen Lebenslagen, aber auch Theologe; denn nur der reflektierte Glaube wird zukunftsfähig sein. Ich glaube, dass Gott schon bei den Menschen ist, ich muss ihn da nicht erst hinbringen. Das entlastet. Wichtig ist mir das regelmäßige Gebet, die Meditation. Ich habe das kontemplative Gebet entdeckt, das einfache Gegenwärtigsein in der Meditation. Darin kann ich eine gewisse Ursprünglichkeit meiner Berufung bewahren. Und, ganz besonders wichtig: die Feier der Eucharistie, die heilige Messe also. Daraus lebe ich, davon bin ich beseelt, das möchte ich mit anderen teilen.

Als Student bin ich oft erstaunt gefragt worden: „Was, du willst Priester werden? Um Gottes willen!“ Und ich habe geantwortet: „Ja, genau deswegen: um Gottes willen!“

Das sehe ich immer noch so, nach fast 25 Jahren. Priestersein bleibt für mich ein Traumberuf: dank, mit und manchmal auch trotz der Kirche.

Musik V: Officium, „Parce mihi domine“

Einen gesegneten Sonntag wünscht Pfarrer Stefan Jürgens aus Münster.

Musik: Jan Garbarek und The Hilliard Ensemble, Officium, ECM-Records 1994

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