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Kirche in WDR 5 | 28.06.2018 | 06:55 Uhr
Schiller macht Schule
„Schiller macht Schule“: Mein erster Gedanke, als ich vor einigen Wochen von dieser Aktion erfuhr. Was für eine großartige Initiative für die Erinnerung an eine großartige Frau: Die katholische Hauptschule Rheindahlen wird zu ihrem 50-jährigen Bestehen in der kommenden Woche in „Anna-Schiller-Schule“ umbenannt.
Bei einigen Mönchengladbachern klingt der Name noch nach. Dabei hat Anna Schiller weder große Politik gemacht, noch geglänzt in Sport, Wirtschaft, Kultur. Was die Frau, die am 28. November 1976 unverheiratet verstarb, hinterließ, ist ein einzigartiges Zeugnis für Nächstenliebe. Frau Schiller stammte aus Böhmen und hatte deutschlandweit als Dienstmädchen und Haushaltshilfe gearbeitet, zuletzt eben in Mönchengladbach. Dort bewohnte sie bis ins hohe Alter eine Dachgeschosswohnung in der Hindenburgstraße 325 – ohne Heizung und fließendes Wasser. Bei den Verdienstmöglichkeiten in Haushalten vor während und nach zwei Kriegen kann man sich leicht ausrechnen, dass sie fast mittellos in ihren Ruhestand ging. Und dennoch war sie bei den Armen und Obdachlosen in Mönchengladbach bekannt und beliebt, weil sie das Wenige, was sie besaß, mit ihnen teilte.
Der unvergessene Mönchengladbacher Propst Edmund Erlemann hat immer wieder an diese Frau erinnert. Nachdem ihr ärmliches Grab abgelaufen war, hat er ihr im Gladbacher Münster mit einer schlichten Grabtafel einen Erinnerungsort geschaffen. Dort steht neben den Lebensdaten ein Zitat aus dem Buch der Sprüche im Alten Testament zu lesen: „Sie öffnete ihre Hand für den Armen.“ Und Erlemann hat den Münsterschatz um eine bemerkenswerte Reliquie Anna Schillers ergänzt – ihren „Nachlass“. Es ist ein schlichter, kleiner Karton mit den Habseligkeiten, die man nach ihrem Tod neben einigen alten Möbeln in ihrem ärmlichen Zimmer fand. Ihr Taufschein, ihr Gesindebuch, ein Foto, das Stammbuch ihrer Schwester, einige Postkarten und Briefe – das war’s. Propst Erlemann fügte diesen Karton dem goldglänzenden Schatz der päpstlichen Münsterbasilika bei – denn das sei ein wahres Zeugnis des Glaubens, das Anna Schiller durch ihre selbstlose Art abgelegt habe. Und so ist das Andenken an Anna Schiller in ihrem äußerst bescheidenen Nachlass bis heute zwischen kostbaren Goldschmiedearbeiten vergangener Jahrhunderte zu entdecken. Dabei hätte sie gar nicht verarmt sterben müssen, hatte sie doch kurz vor ihrem eigenen Tod eine ansehnliche Erbschaft ihrer Schwester gemacht – nach heutiger Rechnung immerhin fast 200.000 Euro. Doch dieses Vermögen stellte sie dem Verein namens „Wohlfahrt“ zur Verfügung, der damit das nach ihr benannte Haus für obdachlose und bedürftige Menschen eröffnete, welches jetzt in Nachbarschaft zum Franziskanerkloster liegt. „Ich brauche das Geld nicht, ich habe alles, was ich brauche,“ hatte sie Edmund Erlemann damals gesagt, der sie gefragt hatte, ob sie sich ihre Idee, alles den Armen zu geben, angesichts ihrer eigenen Situation gut überlegt habe.
So macht Anna Schiller durch die Umbenennung der Hauptschule auch über vier Jahrzehnte nach ihrem Tod noch Schule. Ich finde, ihr Lebenszeugnis sollte sich über Mönchengladbach hinaus rumsprechen. Ganz konkret – denn das Geheimnis der Anna Schiller bestand zunächst nicht in der Tatsache, dass sie gab, obwohl sie selbst nicht viel hatte. Es bestand zuallererst darin, dass sie mit wachem Auge durch die Stadt ging und Armut wie Bedürftigkeit sah und dann einfach handelte – eben „die Hand dem Armen öffnete“.
Einen Tag mit einer dermaßen offenen Hand wünscht ihnen Pfarrer Ulrich Clancett aus der Aachener Bistumsregion Mönchengladbach.