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Kirche in WDR 5 | 21.08.2018 | 06:55 Uhr
Club der toten Dichter
Happy Birthday, Peter Weir! Heute wird der australische Regisseur 74 Jahre alt. Er hat einen meiner Lieblingsfilme gedreht: Der Club der toten Dichter. Die letzte Szene des Films habe ich heute noch vor Augen. Dort proben Schüler den Aufstand: Sie stellen sich – einer nach dem anderen – auf die Tische und rufen dabei: „Oh Captain, mein Captain!“ Bei mir im Unterricht gäbe es das nicht! So kann ich als Lehrerin in meiner Schule nicht arbeiten. Doch nur darum geht es im Film auch nicht.
Guten Morgen!
Der Literaturlehrer John Keating unterrichtet mit unkonventionellen Methoden. Er fordert von seinen Schülern einen Perspektivwechsel auf ihr Leben und lässt sie daher auf Tische steigen. Ihm geht es nicht um eiserne Disziplin und unreflektierte Gefolgschaft, sondern darum, dass die Schüler ihre Begabungen erkennen und ihre Lebenszeit nutzen, um mit ihren Talenten ihr Leben gelingen zu lassen.
Keating im Film mahnt: „Du lebst nur einmal. Es ist kaum zu glauben, aber eines Tages wird jeder einzelne von uns aufhören zu atmen, wird erkalten und sterben. Nutze den Tag, denn wir werden Frühjahr, Sommer und Herbst nur in begrenzter Anzahl erleben.“
Ich habe den Film „Der Club der toten Dichter“ bereits mehrfach gesehen. Und jedes Mal rüttelt mich dieser Satz auf.
Ich kennen viele Menschen, die nach dem Motto leben: „Man lebt nur einmal.“ Das heißt dann für sie: In dem einen Leben möglich viel zu erleben. Immer weiter und immer mehr. Bloß nichts verpassen! So gibt es aber kein Verweilen mehr, sondern nur Hetze von Event zu Event. Genau das meint Keating aber nicht. Er fordert seine Schüler auf: „Carpe diem, nutzt den Tag, Jungs“.
Als Christin lese ich daraus: Denke nach, wie Du deine einmalige geschenkte Lebenszeit sinnvoll nutzen kannst. Lass sie nicht ungenutzt dahinplätschern und verstreichen, ohne Deine geschenkten Begabungen und Talente eingebracht zu haben.
In der Bibel wird dieser Gedanke von Jesus aufgegriffen im Gleichnis von den Talenten (Mt 25, 14-30). Ein Mann geht auf Reisen und vertraut seinen Dienern sein Vermögen an. Ein Diener bekommt fünf Talente, einer zwei, ein anderer ein Talent. Während der Abwesenheit des Herrn vermehren zwei der Diener ihre Talente. Derjenige, der nur eins erhalten hat, hat sein Talent aber aus Angst es zu verlieren, einfach versteckt und gar nicht erst genutzt. Am Ende der Erzählung kommt der Herr zurück und verlangt Rechenschaft über den Verbleib der Talente. Er lobt die beiden Diener, die mit ihren Talenten gewuchert haben. Vom Diener aber, der sein Talent nicht nutzte, trennt sich der Herr.
Ich verstehe das so: Am Ende meines Lebens muss ich Rechenschaft ablegen, wie ich mit meinen Talenten und meiner Lebenszeit umgegangen bin. Und darin berühren sich das Gleichnis von den Talenten mit Keatings Aussage „Carpe diem, nutze den Tag“: Beide denken die Lebenszeit von ihrem Ende her.
Wenn ich daher mein Leben auch vom Ende her denke, betrachte ich es notwendig anders. Dann frage ich mich, ob ich meine Zeit heute wirklich sinnvoll nutze. Oder ob ich unzählige Möglichkeiten etwas Sinnvolles zu tun, ungenutzt verstreichen lasse.
Ich muss nicht auf Tische steigen, um eine neue Perspektive auf mein Leben zu bekommen, aber gegen das alltägliche „Weiter so“! kann es durchaus hilfreich sein. Also sage ich mir:
Carpe diem! Nutze den Tag!
Aus Gladbeck grüßt Sie
Meike Wagener-Esser