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Das Geistliche Wort | 21.10.2018 | 08:35 Uhr

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Heinrich Heine

Autor: Der Mann war ein Ereignis und ein Skandal. Nichts stimmt, was wir über ihn wissen und alles ist wahr. Er war Atheist, Pantheist, Jude, gläubiger Christ, genauer - und was heißt hier schon genau - ein Jude, der sich protestantisch taufen ließ, katholisch heiratete und sich später bekehrte. Die Rede ist von Heinrich Heine, für mich der größte Dichter deutscher Sprache. Niemand sonst kann so mit Worten zaubern. Ein Dichter, dessen Verse mit wunderbarer Leichtigkeit daherkommen und zugleich die Tiefen unseres Lebens durchschreiten. Ein Poet, der die Grenzen der Nation weit hinter sich ließ und aus Liebe zu seinem Vaterland - ins Exil ging.

1797 wurde Harry Heine in Düsseldorf geboren, gestorben ist er 1856 in Paris. Dazwischen liegt ein atemloses Leben voller Skandale, Polemik und Leiden. Heine leidet an Deutschland, am allzu zerbrechlichen Körper, an der Frage nach dem Sinn des Lebens, an der Frage nach Gott. Seine Literatur kreist um Liebe, Politik und Religion. Aber niemals getrennt voneinander, sondern immer verwoben. Als wäre die Liebe loszulösen von den Verhältnissen, unter denen Menschen leben, oder vom Gottvertrauen, das sie trägt.

Musik: Tingvall Trio, Bumerang; Tingvall Trio, CD Cirklar, LC 10284, Track 2

Autor: Im Jahr 1843 reist Heine aus seinem erzwungenen Exil in Paris durch ein herbstliches Deutschland. Vor einhundertfünfunsiebzig Jahren. Fast ein Jubiläum. Grund genug, zurückzublicken und –zu hören. „Deutschland - ein Wintermärchen“ ist sein berühmtestes Gedicht:

Sprecher:

Im traurigen Monat November war’s,

Die Tage wurden trüber,

Der Wind riss von den Bäumen das Laub,

Da reist ich nach Deutschland hinüber. (HWI 1,424)

Autor: Wer nun vom Dichter schöne, märchenhafte Verse voller Heimweh erwartet, wird enttäuscht. Heine ist ein Provokateur, ein Ruhestörer. Wie ein Journalist fragt er: Wie geht es den Menschen in Deutschland? Woran glauben sie? Worauf verlassen sie sich? Seine Verse sind voller Witz und Ironie. Bei aller Leichtigkeit will seine Dichtung die Zeitgenossen ins Mark treffen, will sie aufrütteln, verspotten, trösten. Je nach dem. Heine ist Romantiker. Er schwärmt für eine offene Gesellschaft, für die Errungenschaften der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Alles Engstirnige, Provinzielle ist ihm verhasst. Europa ist ihm wichtiger als die Nation. Ein neues Lied, ein besseres Lied will er singen. Blickt er in „Nachtgedanken“ auf Deutschland, ist er beunruhigt.

Sprecher:

Denk ich an Deutschland in der Nacht,

Dann bin ich um den Schlaf gebracht,

ich kann nicht mehr die Augen schließen,

und meine heißen Tränen fließen.

Autor: Seine Liebe zu Deutschland ist eine heiße, unerwiderte, unglückliche Liebe. Die Zustände in seiner Heimat hat er gründlich satt.

Sein Vertrauen in die Institutionen ist zerstört.

Die Kirche verrät ihre Botschaft. Statt Zeugnis zu geben von Kreuz und Auferstehung lullt sie die Menschen ein mit ihrem „Eiapopeia vom Himmel“, wie er es nennt. Die Bürger sind ruhig gestellt in bleierner Langeweile und Aberglauben. Die Reliquien im Kölner Dom möchte er deshalb am liebsten zerschmettern. In einem Lande der Lämmer und Hunde will er sich stets zu den Wölfen zählen.

Der Staat sorgt nicht für Frieden und Gerechtigkeit. Kaum überschreitet Heine die Grenze nach Deutschland, begegnet ihm eine unheilvolle Allianz von Selbstgerechtigkeit und übersteigertem Nationalismus. Patriotismus ist für ihn aber eine „törigte Krankheit“ und dem Preußischen Adler möchte er am liebsten die Federn rupfen und die Krallen abhacken.

Bei solchen Reden ist es keine Überraschung: Die Zensur ist Heine auf den Fersen. Seinen Spott finden die Mächtigen gar nicht witzig. Immer wieder werden seine Texte im Kleinstaatdeutschland von der jeweiligen Obrigkeit verboten. Aber die Freiheit lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Seit der Reformation Martin Luthers und der französischen Revolution bewegt sie Menschen in ganz Europa. Männer und Frauen sollen mündig und selbstbewusst werden. Dafür will Heine dichten und reimen.

Seine Poesie kennt auch die dunklen Seiten des Lebens. Dann wird Heine ganz ernst und zärtlich betrübt. Er sieht die Armut der Leute, die ihm begegnen. Wie eine Seuche greift ihr Leid um sich und vergiftet Körper und Seele der Menschen. Dabei gibt es genug Brot für alle. Aber die Verhältnisse sind nicht so. Die Reichen werden reicher. Die Armen ärmer. Den Elenden fällt es schwer, wieder Vertrauen ins Dasein zu finden und mit Heine das „neue Lied, das bessre Lied“ zu singen.

Sprecher:

Noch mehr als die Stadt

Sind mir die Menschen erschienen,

Sie gehen so betrübt und gebrochen herum,

wie wandelnde Ruinen.

Die mageren sind noch dünner jetzt,

noch fetter sind die feisten,

Die Kinder sind alt, die Alten sind

Kindisch geworden, die meisten.

Musik: Tingvall Trio, Bland Molnen, Tingvall Trio, CD Cirklar, LC 10284 , Track 4

Autor: Denk ich an Deutschland in der Nacht ...

175 Jahre später ist alles anders geworden – und vieles gleich. Aber wer liest noch Heine? Die Grundfragen der Menschen sind sehr ähnlich im Wandel der Zeiten. Schlaflose Nächte auch heute.

Angenommen, Heinrich Heine reiste heute durch Deutschland, er sähe ein Land, in dem niemand mehr hungern muss, in dem die Technik sich zum Wohle vieler rasant weiterentwickelt hat; ein Land, in dem sich ein enges soziales Netz entwickelt hat und das wirtschaftlich erfolgreich ist. Alles gut?

Nein. Ich stelle mir vor, der Dichter hört seine alten Fragen. Was wird aus mir? Aus meinem Leben? Aus unserem Land? Aus der Erde? Die Zukunft erscheint vielen - ungewiss. Privat und in den großen Bezügen, in denen wir leben. Das Wort von der „German Angst“ geht um. Viele haben das Vertrauen in die Zukunft verloren. Sie sind verunsichert. Die Schlagzeilen in der Zeitung scheinen jeden Tag neu einem Klima der Enttäuschung und Angst Nahrung zu geben: soziale Spaltung der Gesellschaft, Klimawandel, Terrorgefahr, zunehmender Nationalismus ... Unserem Land geht es so gut wie nie – dennoch sind etwa 4,4 Mio. Kinder in Deutschland von Armut betroffen. Die Zuwanderung wird von manchen als „Mutter aller Probleme“ empfunden. Dabei kommt schon heute kaum ein Handwerksbetrieb ohne zugewanderte Mitarbeiter aus. Und immer mehr Menschen sehen - geschichtsvergessen - in der Wiedergeburt nationalen Stolzes die Lösung aller Fragen. Dann geht es um „wir“ gegen „euch“. Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer!

Es ist sicher kein Zufall, dass Heines Wintermärchen immer wieder Nachdichtungen erfahren hat, die aktuelle Themen aufnehmen. Berühmt ist Wolf Biermanns Wintermärchen in der Zeit der deutschen Teilung:

O-Ton Biermann:

(Wolf Biermann, Deutschland ein Wintermärchen, CD W.B. Chaussestrasse 139, LC 6148, Track 3)

Im deutschen Dezember floß die Spree

Von Ost- nach Westberlin

Da schwamm ich mit der Eisenbahn

Hoch über die Mauer hin

Da schwebte ich leicht übern Drahtverhau

Und über die Bluthunde hin ...

Ich dachte auch kurz an meinen Cousin

Den frechen Heinrich Heine

Der kam von Frankreich über die Grenz

Beim alten Vater Rheine ...

Autor: Ohne Suche nach dem „neuen Lied“, dem „besseren Lied“ wird die Zukunft verspielt. Das ist wohl wahr. Aber es braucht Vertrauen ins Dasein. Die Parolen der Weltbeglücker erweisen sich oft Seifenblasen. Die platzen schnell. Heine will deshalb tiefer graben. In aller Zerrissenheit versteht er sich als „Apostel“ einer neuen Religion. Er will glauben, dass Gott verlässlich ist, den Menschen Halt gibt und niemanden fallen lässt - nicht einmal in Schuld, Krankheit und Tod. Darum ringt er. Abseits vertrauter Wege der Theologie macht Heine ernst mit dem Priestertum aller Gläubigen. Er emanzipiert sich von der kirchlichen Lehre. Das Evangelium lässt ihn darauf vertrauen, dass Gott für sein Leben Gutes will – auch wenn das Gute nicht immer identisch ist mit dem Erwarteten. Dieses Vertrauen macht frei für den Blick in die Zukunft.

Musik: Tingvall Trio, Psalm Tingvall Trio, CD Cirklar, LC 10284, Track 10

Autor: Quelle seiner Glaubensgewissheit ist für Heinrich Heine die Bibel. Sie sei groß und weit wie die Welt, wurzelnd in den Abgründen der Schöpfung und hinaufragend in die Geheimnisse des Himmels. In der Bibel sei das ganze Drama der Menschheit enthalten, Sonnenaufgang und –untergang, Verheißung und Erfüllung, Geburt und Tod.

In der Bibel findet der Dichter die eigene Lebensgeschichte wieder, insbesondere in der Auseinandersetzung mit dem Leiden Christi. Am Ende seines Lebens ist Heinrich Heine ein kranker Mann. Er schreibt Gedichte nur noch aus seiner „Matratzengruft“. Die im Bett geschriebenen Texte sind kaum mehr lesbar. Sein Körper wird immer schwächer, sein Verstand immer klarer. Gott ist für ihn nicht nur im Licht sondern auch in den Finsternissen. Menschen sind nun mal keine zweibeinigen Götter. Sie haben Grenzen. Sind nicht perfekt. Laden Schuld auf sich. Dennoch sind sie geliebt. Alle Selbstvergottung des Menschen zerbricht. Und die alte Frage Hiobs nach dem Warum des Leids bleibt auch für Heine unbeantwortet:

Sprecher

Warum schleppt sich blutend, elend

Unter Kreuzlast der Gerechte,

während glücklich als ein Sieger

Trabt auf hohem Ross der Schlechte?

Woran liegt die Schuld? Ist etwa

Unser Herr nicht ganz allmächtig?

Oder treibt er selbst den Unfug?

Ach, das wäre niederträchtig.

Also fragen wir beständig,

bis man uns mit einer Handvoll

Erde endlich stopft die Mäuler –

Aber ist das eine Antwort?

Autor: Die Antwort ist das Geheimnis der Welt, das jeder und jede für sich aufdecken muss. Für Heine ist es das Vertrauen in den Gott, der im Leiden nahe und solidarisch ist.

Liebe, Politik und Religion. Alle drei zusammen und miteinander verwoben. Seine geliebte Frau Mathilde trägt und erträgt den Dichter bis zuletzt, auch seine Ironie. Als sie neben seinem Sterbebett betet, Gott möge ihm verzeihen, unterbricht er sie: „Zweifle nicht daran, meine Liebe, er wird mir verzeihen. Das ist sein Geschäft.“ Drei Tage nach seinem Tod wird Heine auf dem Friedhof Montmartre beerdigt. Auf dem Grabstein steht unter dem Namen des Dichters lapidar „Frau Heine“. Kein Vorname, keine Daten. Allein die Liebe zählt.

Ich schaue in die alte Heine-Ausgabe und in meine zerlesene Bibel. Vertrauen gewinnen zu Gott und den Menschen, die mir ihre Liebe schenken. Und die Zukunft der Stadt und des Landes gestalten - da, wo ich lebe. Darum geht es. Aus dem äußersten Westen der Republik, wo Heines Reise begann, grüßt Sie Pfarrer Klaus Eberl.

Musik: Tingvall Trio, Det Gröna Hotellet, Tingvall Trio, CD Cirklar, LC 10284, Track 8

Quelle:

Alle Heine-Texte aus: Heinrich Heine, Gedichte, itb, Frankfurt/M. 1984, S. 421ff.

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