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Kirche in WDR 5 | 01.06.2019 | 06:55 Uhr
Festgemacht
„Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser.“ – Ich mag diesen Spruch nicht. Denn er zeugt von Misstrauen. Und ich vertraue lieber meinen Mitmenschen, als dass ich sie kontrolliere. Doch manchmal kontrolliere ich auch, zum Beispiel beim Segelurlaub abends im Hafen. Nach dem Anlegen, wenn alle Leinen fest sind, schaue ich mir nochmal die Knoten an. Weniger aus Misstrauen, sondern nach dem Prinzip „Vier Augen sehen mehr als zwei.“ Denn von diesen Knoten hängt ab, ob alle im Schiff gut schlafen können und vor Überraschungen sicher sind. Wenn sich nachts ein Knoten unbemerkt löst und das Schiff sich selbstständig macht, kann es Schäden verursachen und – je nach Wetterlage – die Mannschaft und andere in Gefahr bringen.
Die Leinen müssen also fest sein – aber auch nicht zu stramm gespannt. Denn das Schiff soll sich bewegen können. Sind die Leinen zu stramm, gibt es bei jeder Welle und jedem Windstoß einen Ruck im Schiff. Das ist ziemlich unbequem und belastet auch das Material. Eine Leine, die etwas durchhängt, fängt diese Stöße ab. Im Idealfall merkt man es kaum, dass das Schiff vertäut ist. Hin und wieder bremst die Leine sanft die Bewegung, das fühlt sich schön an, beruhigt, und dabei lässt es sich gut schlafen.
Sicher gehalten und trotzdem Bewegungsfreiheit, das tut nicht nur einem Schiff gut, sondern auch mir im normalen Leben. Halten heißt dann zum Beispiel in meiner Familie: meine Frau und meine Söhne lieben mich so wie ich bin; bei ihnen fühle ich mich geborgen und sicher.
Freiheit bedeutet: Ich fühle mich nicht eingeengt. Wir verbringen Zeit miteinander und auch getrennt. Ich kann meine Hobbys pflegen und meine eigene, manchmal auch abweichende Meinung vertreten.
Und umgekehrt: Was mir gut tut, tut auch anderen gut: Ich kann meine Familie halten und für sie da sein. Und ich lasse ihnen, meiner Frau und meinen Söhnen, ihre Freiheit.
Ähnlich erlebe ich meine Beziehung zu Gott. Die fühlt sich so an, als wären die Leinen ziemlich lang: Ich glaube, er lässt mir viel Freiraum: Ich kann mein Leben gestalten, Entscheidungen fällen, Kontakte knüpfen und beenden, mich beruflich verändern oder umziehen. Ich kann Neues ausprobieren und mir – auch im übertragenen Sinn – blaue Flecken holen.
Immer bin ich allerdings überzeugt: Gott hält mich. Das ist mir jetzt nicht vierundzwanzig Stunden am Tag bewusst. So wie man auf einem Schiff im Hafen eben die Leinen nicht ständig spürt. Aber ich vertraue darauf: Gott hält mich fest, auf ihn kann ich mich verlassen. Oder, um nochmal die Seglersprache zu bemühen: Ich bin an ihm festgemacht.
Menschen haben immer schon erfahren: dass sie sich auf Gott verlassen können. Davon kann ich in der Bibel lesen. Ein Satz aus den Psalmengebeten fasst solche Erfahrungen für mich zusammen (Ps 9,11): „Du, Herr, hast keinen, der dich sucht, je verlassen“. Genau diese Botschaft macht mich gelassen, weil ich das nicht nur als Rückblick lese, sondern als Versprechen für meine Zukunft: „Du, Herr, wirst mich nicht verlassen.“ Egal was passiert, egal was ich anstelle: Gott wird mich festhalten. Diese bedingungslose Zusage klingt in meinen Ohren noch verlässlicher als die von lieben Menschen.
Ich wünsche ihnen die Gewissheit, dass Gott Sie hält, auch wenn Sie das nicht immer spüren.
Aus Essen grüßt Pastoralreferent Martin Dautzenberg.