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Kirche in WDR 5 | 11.07.2019 | 06:55 Uhr
Wie ein Kind werden
Guten Morgen!
Ich bin nun 70 Jahre alt und
gehöre auch zu jener Generation von
Kindern, die sonntags nachmittags im Kinderfunk des Radios die
Geschichten von Astrid Lindgren geliebt haben: „Kalle Blomquist, der
Meisterdetektiv. “Pippi Langstrumpf“ und „Die Kinder aus Bullerbü“. Wir liebten
diese Geschichten über alles, denn es gefiel uns, dass sie nicht von
eingeschüchterten, sondern von aufgeweckten Kindern erzählt haben. Ich zumindest
hatte die Nase voll von den bösen Buben Max und Moriz oder dem garstigen
Struwwelpeter, der damals in keinem Kinderzimmer fehlen durfte. Astrid Lindgren
hat mit ihren Büchern einen neuen Ton in die Kinderliteratur gebracht. Und sie
hat mit dazu beigetragen, dass seit dem Jahr 2000 Kinder ein gesetzlich
verbrieftes Recht auf eine gewaltlose Erziehung haben. 1978
wurde Astrid Lindgren in der Frankfurter
Paulskirche der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Und für mich
steht sie da in einer Reihe mit Frere Roger von Taize, mit dem latein-amerikanischen
Priester und Dichter Ernesto Cardenal und
dem Theologen Romano Guardini.
In ihrer Dankesrede erzählt
sie von einem kleinen Jungen, der von seiner Mutter zum ersten Mal in seinem
Leben eine Tracht Prügel bekommen sollte. Die Mutter schickte ihr Kind in den
Garten, um einen Stock zu suchen, mit dem die Strafe erteilt werden sollte. Der
Junge bleibt lange weg. Und als er schließlich wiederkommt, sagte er der
Mutter: „Ich habe keinen Stock gefunden. Aber hier hast Du einen Stein, den
kannst Du ja nach mir werfen“. Die Mutter begreift sofort, was ihr Sohn sagen
will. Beide weinten. Und Astrid
Lindgren
schließt ihre Geschichte in der Paulskirche, indem sie erzählt, dass dieser
Stein als Mahnmal aufgehoben wurde.
Niemals sollte in Zukunft Gewalt zwischen Mutter und Sohn stehen.
Diese Rede wurde im Vorfeld
der Feier zum Stolperstein. Die Preisverleiher befürchteten Ärger in der
deutschen Öffentlichkeit. Frau Lindgren
wurde unter Druck ge-setzt, auf diese Rede zu verzichten. Doch sie bestand
darauf sie zu halten und wollte lieber auf den Preis verzichten als auf diese
Rede. Und sie hatte Erfolg. Die Rede fand statt.
Wie ein Kind werden, das ist
ja im Evangelium eine Eintrittsbedingung für das Reich Gottes. Was das für
einen erwachsenen Menschen heißt, wie ein Kind zu werden, das hat Astrid
Lindgren in ihrer Geschichte gezeigt und vorgelebt. Kein angepasstes Kind, kein
rebellisches Kind, sondern ein kindliches Kind. Ein Kind also, für das ein
Spiel der Ernstfall ist und das den Ernstfall spielend zu nehmen weiß. Wie ein Kind werden, heißt für Erwachsene die Vorbildhaftigkeit eines
kindlichen Kindes anzuerkennen. Auch ein Kind hat Autorität. Und die liegt
jenseits aller Anbiederung und jenseits aller Überfürsorge in der Frage: „Wer
bist Du wirklich“, „Was brauchst Du wirklich?“, „Was macht Dich aus?“
Astrid Lindgren hat die
Autorität des Kindes entdeckt und anerkannt. Als es noch hieß, dass eine
Ohrfeige uns nicht geschadet hätte, entgegnete sie: „Man kann nichts aus einem
Kind herausprügeln, man kann aber vieles in ein Kind hineinstreicheln“.
Es grüßt Sie Pfarrer Friedhelm Mensebach aus Köln