Beiträge auf: wdr5
Das Geistliche Wort | 14.07.2019 | 08:40 Uhr
DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.
Wölfe
Sprecher: „Polen: Wolf beißt Kinder!“ – „Niedersachsen: Mann von Wolf gebissen“ – „Hessen: Wölfe aus Wildgehege entkommen“ – „Merkel erklärt Wölfe zur Chefsache“ – „Einigung der Bundesregierung: Wölfe zum Abschuss freigegeben.“
Autor: Schlagzeilen der letzten 12 Monate. Die Angst geht um in Deutschland. Die Angst vor dem Wolf. Die Zahlen sagen etwas anderes. Nach Auskunft des Bundestages sterben auf der Welt drei Menschen pro Jahr durch Wölfe. Dagegen enden 25.000 Hundebisse tödlich. Und eine halbe Million Menschen fällt jährlich anderen Menschen zum Opfer. Nur Moskitos schaffen es, diese schreckliche Zahl noch zu überbieten. Trotzdem beherrscht der Wolf die Schlagzeilen. Warum ist das so? Ich glaube, das liegt nicht an den Schafen, die leider den Wölfen zum Opfer fallen. In uns Menschen steckt eine tiefe Angst. Eine Angst, von der auch die Märchen wissen. Fast jeder kennt den Wolf, der Kreide gefressen hat und die Pfote mit Mehl bestäubt.
Sprecherin: Der Wolf sagte: „Liebe Kinder, laßt mich ein, ich bin eure Mutter: jedes von euch soll etwas geschenkt kriegen“. Die sieben Geißerchen wollten erst die Pfote sehen, und wie sie sahen daß sie schneeweiß war, und hörten wie fein die Stimme des Wolfes klang, so glaubten sie es wäre ihre Mutter, und machten die Türe auf, und ließen den Wolf herein.“ (1)
Autor: Und wer hätte nicht die Szene im Ohr, die Rotkäppchen am Bett ihrer Großmutter erlebt?
Sprecherin: „Ei Großmutter, was hast du für große Hände!“ „Daß ich dich besser packen kann.“ „Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!“ „Daß ich dich besser fressen kann.“ Und wie der Wolf das gesagt hatte, sprang er aus dem Bette und auf das arme Rotkäppchen, und verschlang es.“ (2)
Autor: Die Kinder wollen geborgen sein bei ihrer Mutter. Oder der Großmutter. Doch das geliebte Wesen entpuppt sich als ein reißender Wolf. Horror pur. Kein Wunder, dass solche Ängste tief in uns Menschen sitzen. Unser Leben lang.
Musik: Hey Leroy, Your Mama’s Callin’ You, CD: The Wolf Of Wall Street. Tack:
10, Music from the Motion Picture, Interpret: Jimmy Castor, Text und
Melodie: Jimmy Castor & John Pruitt, Label: Virgin (03098), Verlag: Capitol
Records 2013, EAN: 602537675333.
Hey, Leroy! What?
Your mama. She's calling you, man. Go to your mama. Go to your mama…
Autor: Ein Gegenüber, dem ich mich anvertraue. Liebenswürdig. Sanft wie ein Schaf. Und dann zeigt es plötzlich sein wahres Gesicht. Das Bild vom Wolf im Schafspelz kennt schon die Bibel. In seiner Bergpredigt warnt Jesus:
Sprecher: Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. [Mt 7,15f.]
Autor: Jesus hat eine andere Pointe als die Gebrüder Grimm. Er warnt nicht davor, dass Schafe sich plötzlich als Wölfe entpuppen. Oder dass die Großmutter in Wahrheit eine Wölfin ist. Sondern es geht um Menschen. Menschen, die sich verkleiden. Mit Schafskleidern, lammfromm. Aber in Wahrheit sind sie keine Unschuldslämmer. Sondern brutale Ungeheuer. Diese Menschen sind wie reißende Wölfe. Aber sie sind und bleiben Menschen. Jesus warnt mich nicht vor Tieren. Sondern vor Meinesgleichen. Jesus möchte nicht die Panik anheizen. Er rät nicht, die Wälder zu meiden. Oder Schusswaffen bereit zu halten. Sondern er ermutigt seine Jünger, sich den Wölfen zu stellen. Also, den Menschen natürlich.
Sprecher: Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Hütet euch aber vor den Menschen. [Mt 10,16f.]
Autor: Die wahre Gefahr geht vom Menschen aus. Wie schon die Statistik sagt: mit einer Wahrscheinlichkeit von 500.000 zu 3. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Der Wolf ist nur ein Bild für seine dunkele Seite. So wie das Märchen im Grunde von den Männern erzählt, die im Wald auf die unschuldigen Rotkäppchen lauern. Und die mit Gewalt bei den Großmüttern einbrechen. Als Archetyp steht der Wolf für Aggression, Hinterlist und bedrohliche Triebe. Für die Abgründe der menschlichen Seele.
Musik: Smokestack
Lightning, CD: The Wolf Of Wall Street. Music from the
Motion Picture, Track: 09, Interpret: Howlin’ Wolf, Text und Melodie: Chester
Burnett, Label: Virgin (03098), Verlag:
Capitol Records 2013, EAN: 602537675333.
Whoa, oh, tell me,
baby. What's the, matter with you? Why don't ya hear me cryin’? Who ho, who ho.
Who.
Autor: Dieser Song von Howlin Wolf ist auch in Martin Scorseses Börsenfilm zu hören: The Wolf of Wall Street. Jordan Belfort ist der „Wolf der Wall Street“. Ein Börsenmakler. Keine erfundene Geschichte. Jordan Belfort gibt es wirklich. Scorsese hat seine Memoiren verfilmt. An ihm kann man studieren, wie menschliche Wölfe heute funktionieren. Am Anfang geht es nur um’s Überleben. Belforts Arbeitgeber ist pleite. Und Belfort muss einen neuen Job finden. Er verkauft Kleinstaktien an kleine Leute. Doch die Provisionen sind enorm. Und Belfort leckt Blut. Nach und nach gewinnt er wohlhabendere Kunden. Und zockt sie ab. Die Praktiken werden illegal. Und sein Lebensstil auch. Luxusautos. Drogen. Huren. Sein Junggesellenabschied ist ihm zwei Millionen Dollar wert. Nach und nach explodiert dann seine Gier. Insidergeschäfte. Geldwäsche. Das FBI wird auf ihn aufmerksam. Er muss die USA verlassen. Am Ende verrät er seine Partner, um den eigenen Kopf zu retten. Die Gier mach Jordan Belfort zum Wolf. Nicht sofort. Aber als er Blut geleckt hat, verliert er sich. Die Jagd nach Geld wird zur Sucht. Das Leben zum Rausch. Das einzige Ziel ist das Mehr. Immer mehr. Ohne jedes Maß. Andere Menschen sind ihm egal. Sie sind nur noch Beutetiere, an denen er sich bereichern kann. Bis er am Ende alle verrät, um selbst zu überleben.
Musik: Smokestack
Lightning, CD: The Wolf Of Wall Street. Music from the
Motion Picture, Track: 09, Interpret: Howlin’ Wolf, Text und Melodie: Chester
Burnett, Label: Virgin (03098), Verlag:
Capitol Records 2013, EAN: 602537675333
Why don't ya hear
me cryin’? Who ho, who ho. Who.
Autor: So waren sie immer schon, die wölfischen Menschen. Schon der Prophet Ezechiel wusste: „Die Oberen in deinem Land sind wie reißende Wölfe, Blut zu vergießen und Menschen umzubringen um ihrer Habgier willen.“ [Ez 22,27] Diese Wölfe hat auch Jesus im Blick. Und doch sagt er: „Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ Wie grausam. Wie brutal. Wo bleibt da die Geborgenheit des Glaubens? Aber Jesus will, dass Gottes Liebe in der Welt bekannt wird. Ganz besonders da, wo sie fehlt. Wo sie bitter nötig ist. Deshalb sendet er seine Anhänger unter die Wölfe. Und er gibt ihnen einen Rat: „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ Klug wie die Schlangen? Wie diejenigen, die den österreichischen Vizekanzler mit einer scheinbaren Oligarchin überlisteten. In der so genannten Ibiza-Affäre zeigte der Parteichef der Freiheitlichen seine Korruptheit: Im Gegenzug für illegale Parteispenden wollte er der Bieterin staatliche Aufträge verschaffen und sogar einen bislang staatlichen Fernsehsender zu ihren Gunsten privatisieren. Kein Zweifel, es war ein Wolf, der da in die Falle gegangen ist. Einer, der auch nach immer mehr Macht gierte. Der bereit war, Gesetz und Anstand dafür zu opfern. Obwohl er nach außen gerade dafür eintrat. Das war sein Schafskleid. Aber in Wirklichkeit wollte er mit einer russischen Wölfin heulen. Das ist die Methode der Populisten. Sie gieren nach Macht. Und wecken die dumpfen Wolfstriebe der Menschen, die sie als Anhänger benutzen wollen. Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke heulten die Wölfe auf Facebook und Youtube besonders hässlich:
Sprecher: „Ich hoffe, das Dreckschwein hat leiden müssen.“ – „Mich freut es.“ – „Selbst schuld.“ „Ruhe in der Hölle du Bastard.“ – „Ein Gruß an den/die Täter: Jetzt bitte bei den grünen Schwachmaten weitermachen.“ (3)
Autor: Unfassbar, wie offen diese Menschen ihre wölfische Roheit zeigen. Sie haben es verdient, das ihnen schlaue Schlangen Fallen stellen. Aber wie passt dazu die Aufforderung: Seid ohne Falsch wie die Tauben?
Musik: Dust my
broom, CD: The Wolf Of Wall Street. Music from the Motion Picture, Track: 02, Interpret:
Elmore James, Text und Melodie: Elmore James & Robert Leroy Johnson, Label:
Virgin (03098), Verlag: Capitol Records 2013, EAN:
602537675333
I'm gonna write a
letter, telephone every town I know. I'm gonna write a letter, telephone every
town I know. If I don't find her in Mississippi, she be in East Monroe I know.
Autor: Wie kann man ohne Falsch sein, wenn man klug ist wie die Schlangen? „Wenn Ihr unter die Wölfe geht, dann seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.“ Sagt Jesus. Er meint also nicht: Seid falsch wie die Schlangen. Sondern klug. Wie eine kluge Schlange arbeitet, erzählt die Geschichte vom Sündenfall. Geschickt verwickelt die Schlange ihr Gegenüber ins Gespräch:
Sprecherin: Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: „Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“ Da sprach die Frau zu der Schlange: „Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!“ [Gen 3,1-3]
Autor: Kaum, dass sie miteinander sprechen, erkennt die Schlange den wunden Punkt des Menschen. Die Frau ist wie jeder Mensch. Sie will mehr, als sie hat. Sein wie Gott – das wär’s doch. Wissen, was gut und böse ist. Bei dieser Sehnsucht packt die Schlange die Frau.
Sprecherin: Da sprach die Schlange zur Frau: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht. [Gen 3,4-6]
Autor: Das also ist der Kern der Schlangenklugheit: Das Gegenüber durchschauen. Entdecken, wo seine Triebfedern sind. Seine Gier. Die Sehnsucht nach mehr und immer mehr. Macht. Besitz. Entgrenzung. Das muss jeder wissen, der sich unter die menschlichen Wölfe begibt: Irgendwann fangen sie an, sich über das Recht hinwegzusetzen. Es nach den eigenen Bedürfnissen zu verbiegen. An dem Punkt muss man auf sie warten. Auf die Wölfe aus New York und aus Wien.
Musik: Mercy,
Mercy, Mercy, CD: The Wolf Of Wall Street. Music from the Motion Picture, Track: 01, Interpret:
Cannonball Adderley, Text: Cannonball Adderley, Melodie: Joe Zawinul, Larry
Williams & Johnny "Guitar" Watson, Label: Virgin (03098), Verlag: Capitol
Records 2013, EAN: 602537675333
And I have an
advice for all of us. I got it from my pianist Joe who wrote this tune. And it
sounds like what is the whole to say when you have that kind of problem. It’s
called Mercy, Mercy, Mercy!
Autor: Das ist der erste
Song in Scorseses Film „The Wolf of Wall Street“. Er heißt Mercy, Mercy, Mercy.
Also: Gnade, Gnade, Gnade. Wie passt das
zu den Wölfen?
Jesus sendet seine Anhängerinnen und Anhänger wie
Schafe unter die Wölfe. Wenn sie klug sind, können sie die Übeltäter einfangen.
Genau da, wo diese die Grenzen überschreiten. Wo sie das Recht brechen und
verbiegen.
Aber das ist nicht das eigentliche Ziel von
Jesus. Er will Gottes Liebe in die Welt tragen. Gerade dorthin, wo sie besonders
notwendig ist. Wo die Lieblosigkeit regiert. Der Eigennutz. Die Machtgeilheit.
Die Habgier. Dorthin will er die Idee tragen, dass es auch ganz anders geht. So
wie es schon Jesaja für den Messias angesagt hat:
Sprecher: Er wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen […]. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern […] und ein kleiner Knabe wird sie leiten. [Jes 11,4-6]
Autor: Es könnte alles ganz anders sein. Wolf und Lamm könnten zusammen wohnen. Was für ein schöner Traum. Er wird immer ein Traum bleiben. Es sei denn, wir finden den Mut, ihn mitten unter die Wölfe zu tragen. Klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen Pfarrer Sven Keppler von der evangelischen Kirche in Versmold.
Musik: Hey Leroy, Your Mama’s Callin’ You, CD: The Wolf Of Wall Street. Tack: 10, Music from the Motion Picture, Interpret: Jimmy Castor, Text und Melodie: Jimmy Castor & John Pruitt, Label: Virgin (03098), Verlag: Capitol Records 2013, EAN: 602537675333.
Zitate:
(1), (2) Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die
Brüder Grimm, vollständige Ausgabe auf der Grundlage der dritten Auflage
(1837), hg. v. Heinz Rölleke, Frankfurt a.M. 1985
(3) Marlene Grunert und Julian Staib, Jubel über einen
Tod, in: FAZ 129 vom 5. Juni 2019, Seite 4
Redaktion: Rundfunkpfarrer Oliver J. Mahn