Beiträge auf: wdr5
Das Geistliche Wort | 11.08.2019 | 08:40 Uhr
DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.
Gemeinsam aus der Reihe tanzen
Autorin: Guten Morgen!
Ich
will mal wieder auf Kirschbäume klettern.
Wie
früher als Kind. Und wie meine Kinder heute.
Luft
bekommen zwischen mir und dem Boden der Tatsachen. Und
der letzten Woche.
Hilfst
du mir beim ersten Zug?
Mit
Räuberleiter könnte ich es schaffen.
Dann
suche ich mir einen Ast, ziehe mich hoch, langsam,
aber
mit Kraft, hangle ich mich hinauf ins grüne Blätterdach,
taste
ich mich barfuß am Baumstamm entlang,
an
einer Schnecke vorbei,
ich
mache kurz Halt,
schaue
zurück.
Meine Freunde auf der Wiese werden immer kleiner, ihre Stimmen leiser.
Ich
schaue wieder hoch,
da
vorne winkt eine Astgabel, lädt mich zum Ausruhen ein.
Ich
nehme das Angebot an,
balanciere
zu ihr hin,
an
allen möglichen Abzweigungen vorbei.
Und
lege mich in die Kuhle,
meine
Arme auf die Zweige links und rechts neben mir.
Pause.
Ich
spüre meinen Herzschlag.
Ringsum
baumeln Kirschen. Zuckerrot.
Von
der Hand in den Mund und an die Ohren,
so
schmeckt der Sommer.
Von
hier aus kann ich sehen. Bis in den Himmel.
Den
Vögeln und Wolken hinterher.
Und
Kirschkerne spucken. In alle vier Himmelsrichtungen.
Ich
stelle mir vor, wie daraus wieder Bäume werden.
Ich
fange an zu träumen.
Musik: Pockets, CD: These Wilder Things, Track: 06, Musik/Text/Interpretin: Ruth Moody, Label: True North Records (33279), EAN: 620638057728
Autorin: Hier oben auf meinem Kirschbaum habe ich
einen weiten Blick.
Ich
kann sehen von hier bis da, bis dort. Bis zu euch auch.
Und
bis in die Vergangenheit.
Kann
reisen, zeitreisen.
Jetzt
gerade?
Denke
ich an Franziskus. Von Assisi.
Der
ist auch gerne in der Natur gewesen.
Das
machte ihn sogar aus:
Bäume
umarmen. Im Winter die Bienen mit Honig versorgen.
Mit
Vögeln sprechen. Durchs Land ziehen. Alte Kirchen ausbessern.
Von
der Hand in den Mund leben.
Und
mit den Armen und Kranken per Du.
Das
ist Franziskus.
Und
ich frage mich:
Wie
bist du so geworden? So ein verrückter Vogel?
Du
bist doch immer der eitle Schnösel aus gutem Hause gewesen.
Geschäftstüchtiger
Tuchhändler-Sohn. Stadtbekannt und stets im Mittelpunkt.
Ein
mutiger Krieger bist du auch gewesen.
Aber
dann wirst du traurig. Tief traurig.
Da
bist du 23 Jahre alt.
In
deiner Seele wird es Nacht.
Du
sinkst auf den dunklen Grund des Lebens.
Und
dort wendet sich etwas.
Du
ziehst dein altes Leben aus.
Wirfst
deine Klamotten deinem Vater vor die Füße.Sprichst
von deiner Suche nach dem Vater im Himmel.
Verkaufst
dein Pferd und alle deine Besitztümer
auf
dem Marktplatz deines Ortes.
Sie
lachen über dich. Erklären dich für verrückt.
Andere
folgen dir. Darunter ein Geschäftsmann, ein Jurist, ein Landwirt.
Ihr
nennt euch die „Minderbrüder“.
Aus
euch würden einmal die „Franziskaner“ hervorgehen.
Ihr
besitzt nichts.
Deswegen
müsst ihr euch auch nicht absichern
und
nichts verteidigen.
Es
sind eure Herzen, ungeschützt und offen,
die
euch zum Markenzeichen werden.
Die
Liebe wollt ihr leben.
Und
findet keinen anderen Weg es zu tun
als
genau so.
Einmal
versetzt ein Wolf eine ganze Stadt in Angst und Schrecken.
Du
sollst ihm entgegen gegangen sein.
Du
nennst ihn Bruder,
versprichst,
für ihn zu sorgen und zähmst ihn.
Die
Menschen der Stadt schließen sich dir an, nach und nach,
und
versorgen das Tier reihum.
Zwei
Jahre noch lebt der Wolf weiter,
bis
er an Altersschwäche friedlich stirbt.
Den
Weg des Friedens suchst du auch,
als
Papst Innozenz III. zu einem Kreuzzug gegen die Muslime aufruft.
Du
machst dir erstmal selbst ein Bild. Vor Ort natürlich.
Du
hörst hin, fragst nach und diskutierst.
Deine
Gespräche mit dem Sultan Melek-al-Kamil sollen sehr fruchtbar gewesen sein.
In
deinen 40ern wirst du krank.
Fast
blind und mit furchtbaren Schmerzen liegst du in einer Schilfhütte
und
schreibst eins der heitersten Gebete,
die
die Menschheit je gesehen hat.
Den Sonnengesang.
Darin
nennst du Sonne, Mond und Sterne deine Geschwister.
Lüfte,
Wolken und Wetter jeder Art heißt du willkommen.
Du
sprichst von Vergebung und begrüßt den Tod als deinen Bruder.
Und
dann stirbst du wie du gelebt hast.
Mit
einem Lied auf den Lippen.
In
die Stille deines Todes hinein
sollen
die Lerchen
dann
das Singen übernommen haben.
Von
allen Bäumen sollen sie dir
hinterhergezwitschert haben.
Musik: Thank you, Lord, CD: Life is people, Track: 10, Musik/Text/Interpret: Bill Fay, Label: Dead Oceans (29265), EAN: 656605136110
Autorin: Wo Franziskus war, da warst auch du, Klara.
Wie
Franziskus kommst du aus Assisi. Und aus gutem Hause.
Als
Tochter eines adligen Ritters ist dein Weg vorgezeichnet.
Eine
erfolgreiche Zukunft steht dir bevor.
Nach
17 Jahren Luxusleben hast du allerdings genug von all dem.
Außerdem
willst du selbstbestimmt leben und nicht heiraten.
Als
du den Aussteiger Franziskus kennenlernst, ist das deine Gelegenheit.
Du
fliehst von Zuhause, Franziskus schneidet dir deine Haare ab
Und
legt dir ein schlichtes Gewand um.
Von
nun an willst du einfach leben.
In
Armut und geschwisterlich.
Du
scharst Weggefährtinnen um dich.
„Klarissen“
nennt man eure Weggemeinschaft später.
Einmal
wöchentlich besprecht ihr ausführlich, wie ihr miteinander leben wollt.
Wer
Verantwortung trägt, wird demokratisch gewählt.
Anweisungen
zu geben fällt dir schwer.
Häufig
erledigst du die Aufgaben selbst.
Es
liegt dir nicht, von Nächstenliebe zu reden.
Du
praktizierst sie einfach.
Die
Schwestern sagen dir Sanftmütigkeit nach.
In
kalten Nächten deckst du sie gerne mal mütterlich zu.
Mit
Franziskus verbindet dich eine Art Seelenverwandtschaft.
Einmal
seid ihr auf dem Weg von Spello nach Assisi.
Dort
sollt ihr in einem Haus um Wasser und Brot gebeten haben.
Ihr
müsst euch Anspielungen zu eurer Freundschaft anhören.
Daraufhin
wollt ihr euch erstmal nicht mehr gemeinsam sehen lassen.
Es
bricht dir das Herz und du fragst Franziskus,
wann
denn ein nächstes Wiedersehen möglich sei.
„Wenn
der Sommer wiederkommt, wenn die Rosen blühen!“,
soll
Franziskus dir geantwortet haben.
Und
siehe da. Plötzlich sollen mitten im Schnee
die
Rosen angefangen haben zu blühen.
Daraufhin
pflückst du ihm einen Strauß und ihr beschließt,
euch
durch nichts mehr voneinander trennen zu lassen.
Wie
gut. Denn ihr seid wie füreinander geschaffen.
Du
lockst den umtriebigen Wanderer immer wieder in die Stille.
Mit
dir kommt er zur Ruhe.
Deine
Sicht der Dinge tut ihm gut.
In
seiner Ordensregel schreibt er davon,
einander
zu umsorgen wie eine Mutter ihre Söhne.
Ob
dein weiblicher Einfluss dahintersteckt?
Franziskus
wiederum tut dir mit seiner Sicht der Dinge gut.
Er
bewahrt dich davor,
zu
streng mit dir selbst zu sein.
Als
du mal wieder nicht aufhören willst zu fasten,
deckt
er dir den Tisch.
Was
euch in allem verbindet,
ist
euer widerständiger Geist. Dem Leben zuliebe.
Papst
Innozenz IV. drängt dich mehrmals, Besitz anzunehmen.
Um
deine Existenz abzusichern, und die deiner Gemeinschaft.
Du
widersetzt dich ihm.
Als
erste Frau der Geschichte schreibst du kurzerhand deine eigene Ordensregel.
Einen
Tag vor deinem Tod wird die Regel in Rom bestätigt.
Zu
diesem Zeitpunkt berufen sich bereits 150 Klöster auf dich.
Klara, du Leuchtende - das bedeutet dein Name!
Du
leuchtest bis in unsere Zeit hinein.
Ja,
ich denke oft an dich,
und
heute besonders.
Heute
am 11. August.
Dein
Namenstag.
Klara
von Assisi.
Musik: Never ending happening, CD: Life is people, Track: 03, Musik/Text/Interpret: Bill Fay, Label: Dead Oceans (29265), EAN: 656605136110
Autorin: Ich sitze immer noch auf meinem
Kirschbaum.
Meine
Gedanken wandern immer noch.
Aber
langsam kommen sie wieder zurück.
Kommen
sie an. Im Hier und Jetzt. Und heute.
Nach
Franziskus und Klara von Assisi
muss
ich an Greta Thunberg denken.
Ja, auch du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf, Greta.
Wie du dich vor die Großen dieser Welt stellst.
Vor die Anzugträger.
Und dann du mit deinem karierten Hemd.
Ungeschminkt.
Wie du dir das zu groß eingestellte Mikrofon ran holst.
Auf dem Pult dein Zettel, wie bei einem Referat in der
Schule.
Und die Großen wie Schüler in der Schulbank.
Denen du dein Anliegen vorträgst:
unsere Erde.
Aussprichst was du denkst. Worauf du hoffst.
Erinnerst, weinst, bittest, dich bedankst, gehst.
Meine Patentochter trägt deinen
Namen, Greta,
wie viele Kinder ihres Alters.
Und viele unserer Kinder gehen auf deine Demonstrationen.
Wie Millionen anderer Kinder
aus über hundert verschiedenen Ländern auch.
Gemeinsam tanzt ihr aus der Reihe,
auf den Straßen dieser Welt,
für die Zukunft unserer Welt.
Holt die Schule ins Leben zurück.
Bringt den Großen das ABC bei.
„Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!“,
sagte die Primaballerina Pina Bausch einmal. (1)
Ich denke bei diesen Worten an dich, Greta.
Und an deine vielen Freundinnen.
Und an uns.
Wie ihr uns herausfordert.
Auffordert, tanzen zu gehen. Aus der Reihe.
Immer freitags. Aber eigentlich immer. Auch sonntags. Heute.
Fordert ihr uns auf, nochmal von vorne zu beginnen.
Nochmal zur Schule zu gehen.
Auf den Straßen unserer Realität.
Diesmal nicht um der Noten willen.
Diesmal um des Lebens willen.
Musik: Cosmic concertos, CD: Life is people, Track: 11, Musik/Text/Interpret: Bill Fay, Label: Dead Oceans (29265), EAN: 656605136110
Autorin:
Ich schaue mich noch
ein letztes Mal um,
hier oben auf
meinem Kirschbaum.
Genieße die
Sicht, den weiten Blick.
Schaue den
Vögeln und den Wolken hinterher.
Und
Franziskus, Klara und Greta.
Danke für
eure Sicht.
Für euren
Weg.
Ich kann
jetzt gehen,
ihn wieder
sehen,
meinen ganz
eigenen Weg,
bin wieder bereit,
klettere
hinab,
vom letzten
Ast kann ich springen,
hinunter ins
Feld,
auf den Boden
der Tatsachen.
Ich klopfe
mir den Staub aus meinen Klamotten.
Der neue Tag
kann kommen.
Ich habe ja
Weggefährten an meiner Seite.
Und ein paar
Kirschen,
die nehme ich
mir mit,
häng sie mir
ans Ohr.
Mit denen
kann ich so gut hören, sehen …
… und hoffen.
Über mich hinaus.
Einen schönen Sonntag wünscht Stephanie Brall aus Hildesheim.
Musik: Pockets, CD: These Wilder Things, Track: 06, Musik/Text/Interpretin: Ruth Moody, Label: True North Records (33279), EAN: 620638057728
Quellen:
(1) „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!“ Zitat von Pina Bausch in Anlehnung an gleichnamigen Kinofilm von Wim Wenders.
Gesamter Text in Anlehnung an Texte von Stephanie Brall im Bookzine „Leben lieben“, bene Verlag!, 2020.
Redaktion: Pfarrer Oliver Mahn