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Kirche in WDR 5 | 24.08.2019 | 06:55 Uhr
Zeit zum Durchatmen
Guten Morgen an diesem letzten Samstag in den Sommerferien. Es ist ruhig bei mir im Pfarrhaus: Samstagmorgen, das Büro ist geschlossen. Außerdem sind Sommerferien – eine herrlich ruhige Zeit – auch zum Nachdenken und Durchatmen. Die brauche ich bisweilen auch, denn: Manchmal fasse ich es nicht mehr, habe Schwierigkeiten mich zurechtzufinden. Einerseits wird alles immer größer, andererseits konzentriert sich alles in immer kleiner werdenden Einheiten. Einerseits ist es kein Problem, heute hier und morgen da in der ganzen Welt unterwegs zu sein, andererseits habe ich die ganze Welt ständig und in Echtzeit auf meinem Smartphone und brauche mein Zimmer dafür nicht zu verlassen. Einerseits weiß ich, wie wohltuend Ruhe sein kann, andererseits gibt es keine Ecke in meiner Wohnung, in der nicht mindestens eine Möglichkeit besteht, diese Stille mit diversen Geräten der Unterhaltungselektronik zu durchdringen und zu beenden. Widersprüche über Widersprüche, soweit mein Blick reicht.
Nunja, sagen mir viele Zeitgenossen,
die Welt hat sich seit ihrem Bestehen immer wieder verändert. So ist es gerade
einmal 150 Jahre her, als Mediziner vor dem damals noch neuen Zugfahren gewarnt
haben.
Warum? Die exorbitant hohen
Geschwindigkeiten auf den Schienen sei sicher gesundheitsschädlich. Über diese
These lächeln wir heute.
Was allerdings viele Menschen in unserer Umgebung regelrecht krankmacht, ist die Gleichzeitigkeit, in der unser Leben zunehmend abläuft. War es in allen früheren Epochen der Menschheitsgeschichte so, dass wir allein schon aus technischen Gründen eines nach dem anderen erledigen mussten, hat sich das Tempo hier wesentlich erhöht. Und wir sind technisch in der Lage, immer mehr gleichzeitig erledigen zu können. Ich etwa nutze zunehmend Autofahrten und Fußwege zum Telefonieren. Ich kenne viele, die draußen unterwegs sind, und von ihrem Weg und den möglichen Begegnungen dort nichts mitbekommen, weil sie gleichzeitig in den virtuellen Welten der sogenannten „Sozialen Netzwerke“ unterwegs sind. Damit nicht genug: Der Termin, der vereinbart wird, die Information, die man sich gerade mal eben aus dem Netz holt, um eine Unterhaltung fortführen zu können, während man im richtigen Leben durch eine Fußgängerzone läuft und nebenbei Einkäufe erledigt. Dass da nebenbei vielfach noch eine Zigarette glimmt und beiläufig Menschen gegrüßt werden, macht die Situation nicht übersichtlicher.
Manchmal erwische ich mich auch in genau einer solchen Situation – und frage mich: Geht das nicht auch anders? Was mache ich eigentlich mit der gewonnenen Zeit – denn, wenn ich vieles gleichzeitig erledigen kann, müsste ich ja am Ende des Tages noch viel Zeit übrig haben?
Wir alle wissen, dass das nicht so ist – und auch das baut sich zu einem der ungelösten Widersprüche auf: Obwohl wir, technisch unterstützt, vieles gleichzeitig erledigen können, haben wir immer weniger Zeit. Das Krankmachende daran: Die gewonnene Zeit wird gleich wieder mit Aktivitäten gefüllt. Und das, obwohl wir (nächster Widerspruch!) eigentlich eine aufgrund der Errungenschaften der modernen Medizin erheblich verlängerte, durchschnittliche Lebenserwartung haben...
Heute hören die katholischen Christen in ihren Gottesdiensten ein bemerkenswertes Evangelium. Jesus sagt darin, dass wir den Himmel offen sehen. Großartig – aber das funktioniert nur, wenn wir uns Zeit dafür nehmen und diese Zusage Ernstnehmen. Da brauchts es eben ein Durchatmen wie vielleicht heute morgen.
Diese Zeit zum Durchatmen gönne ich
ihnen – nehmen sie sich einfach ein paar Augenblicke dafür. Und wenn sie dann
ihr Tagewerk beginnen – einfach Schritt für Schritt vorgehen. Es geht eben nur
so. Und: Halten Sie sich dabei den Blick für den offenen Himmel frei
– meint Ihr Ulrich Clancett aus Jüchen.