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Guten Morgen! [Wdh. v. 17.05.15]

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evangelisch

Das Geistliche Wort | 05.04.2020 | 08:40 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Guten Morgen! [Wdh. v. 17.05.15]

Autorin:

Ich mag Geschichten.

Sie finden mich unterwegs und zuhause,

mitten im Leben und in Büchern.

In neuen und in ganz alten,

wie zum Beispiel in der Bibel.

Da erzählt eine meiner Lieblingsgeschichten davon,

wie aus einem Morgen

ein guter Morgen wurde.


Mein Name ist Stephanie Brall für die evangelische Kirche.

Und ich wünsche Ihnen mit der heutigen Geschichte

einen guten Morgen!


1. Musik: The Dance Floor

0:26-0:37 (0:11)


Autorin:

Verschlafen richtet sie sich auf von ihrer Liege.

Wie jeden Morgen: müde.

Sie ist krank... und zwar nicht nur heute und nicht nur ein bisschen,

nein, schon seit zwölf Jahren,

verliert sie Blut, all die Jahre schon, ohne Aufhören.

Nicht nur einmal im Monat.

Nein, ununterbrochen.

Als würde sie immer nur geben, fühlt sich das an.

Als würde ihre gesamte Lebenskraft aus ihr herausfließen.


Viele Experten hat sie schon aufgesucht,

all ihr Geld in ihre Gesundheit investiert,

aber nichts hat geholfen.

Mit der Zeit ist es sogar schlimmer geworden,

jetzt gilt sie als austherapiert.


Ihr Umfeld macht es ihr nicht leicht:

Frauen gelten als unrein,

wenn sie ihre Tage haben.

Sie darf nichts anfassen,

ohne dass es gleich wieder gereinigt werden muss.

Manch einer hat sogar Angst, sich den Tod zu holen,

wenn er in ihre Nähe kommt.


Bald schon ist Gott der letzte, der ihr noch geblieben ist.

Doch mit den Jahren fragt sie sich,

wie weit seine Kraft eigentlich reicht:

Ob er was ändern will an ihrer Situation.

Um Heilung wagt sie gar nicht zu bitten... aber könnte er nicht wenigstens lindern?

„Er wird wohl für immer mein

Gott des stillen Kämmerleins bleiben“, denkt sie.

Er, der unsichtbare Gefährte,

und sie mit ihm: still und unsichtbar?


2. Musik: wie 1

2:05-2:30 (0:25)


Autorin:

Neulich hörte sie von einem Rabbi, einem Meister.


Menschen sollen heil geworden sein,

als sie dem Gottesmann begegnet sind,

Männer, Frauen, Kinder.

Heute soll er auch in ihre Stadt kommen.

Einige warnen:

Er sei nicht einzuschätzen.

Ein Unruhestifter sei er.

Aber was hat sie schon zu verlieren,

unruhig ist sie schon seit Jahren,

diese Gelegenheit kann sie nicht verstreichen lassen,

sie muss ihn aufsuchen, diesen Meister.


Und so begibt sie sich zu dem Platz, auf dem er sich heute aufhalten soll.

Wie ein Schatten ihrer selbst, so huscht sie durch die Straßen,

tief verschleiert, dass bloß keiner sie erkennen kann,

keiner soll Angst haben müssen, sich bei ihr anzustecken.

So geht sie,

immer den anderen Menschen nach,

viele sind heute auf dem Weg zu ihm.


3. Musik: wie 1

3:19-3:44 (0:25)


Autorin:

Als sie den Platz erreicht hat,

bilden bereits einige Menschen einen Kreis um diesen Mann.

Sie weiß,

was sie jetzt tut, ist verboten.

Weder dürfte sie hier sein,

noch dürfte sie sich in diese Menge begeben

und die anderen Menschen berühren,

und schon gar nicht dürfte sie sich diesem Mann nähern.

Sie, die Unreine, wie man sie nennt.

Schmutzig fühlt sie sich. Und er,

so heilig.


Aber ihre Sehnsucht, endlich wieder mittendrin sein zu dürfen,

ist so groß,

dass sie sich trotz aller Verbote durch die Menge schiebt,

und jede Welle mitnimmt,

die sie ein wenig näher zu ihm trägt.


4. Musik: wie 1

4:19-4:42 (0:23)


Autorin:

Und dann

steht sie hinter ihm,

nur noch eine Reihe Menschen vor ihr.


Als sich vor ihr eine Lücke auftut,

streckt sie sich aus,

schlüpft hinein,

und denkt sich:

„Wenn der wirklich mit Gott zu tun hat,

mit dem, der Himmel und Erde geschaffen hat,

dann wäre mir schon geholfen,

wenn ich nur einmal kurz sein Gewand berühren könnte.“


Sie sieht, wie der Vorsteher

den Meister in ein Gespräch verwickelt,

ein guter Moment. Jetzt ist er abgelenkt.

Sie bückt sich, tut so, als wäre ihr etwas runtergefallen,

und da plötzlich, tatsächlich...

...bekommt sie einen kleinen Fitzel,

- den Saum, seines Gewandes - zu fassen,

eines ganz normalen Gewandes.

Staub klebt noch am Saum,

dieser Mann muss lange gewandert sein, denkt sie sich.


Und während sie zu seinen Füßen

dieses staubige Gewand zwischen den Fingern fühlt,

spürt sie: Das Blut hört plötzlich auf zu fließen.

Stattdessen kommt ihr etwas entgegen.

Etwas kommt ihr zu:


Hoffnung, die in ihr hochsteigt,

Kraft... beständig und überwältigend,

aus tiefstem Grund, und doch ganz leicht,

sie muss nichts tun, nur diesen Saum halten,

es ist ganz einfach,

fast muss sie ein bisschen kichern,

kann nicht fassen,

was mit ihr passiert.


5. Musik: wie 1

5:47-6:13 (0:26)


Autorin:

Sie schaut sich kurz um, ob jemand was bemerkt hat,

alles gut soweit,

schnell zieht sie sich wieder zurück,

zurück in die Menge, die sie in sich aufnimmt,

wie eine Welle, eine Woge.


Und sie reiht sich wieder ein,

die Frau,

die kurz mal gewagt hat,

aus der Reihe zu tanzen.


Aber wie kann das sein:

Diese Hoffnung,

diese Kraft,

immer noch da,

obwohl sie losgelassen hat.

Und das Blut,

es fließt tatsächlich nicht mehr.


Sie schaut hin zu ihm,

zu dem,

dem sie noch vor einem Moment so nah war...


Und da...

...dreht – er - sich - um,

in ihre Richtung,

zum ersten Mal sieht sie sein Gesicht,

seinen aufmerksamen Blick,

den er durch die Menge gleiten lässt.

Und dann hört sie zum ersten Mal seine Stimme;

wie er ruft,

wie er fragt:

„Wer hat meine Kleider berührt?“


6. Musik: wie 1

7:05-7:27 (0:22)


Autorin:

Seine Freunde, die nah bei ihm stehen,

schütteln nur den Kopf und können nicht verstehen,

was er meint, angesichts der Menge um ihn herum,

in der doch jeder jeden berührt.

Wie kann er so etwas fragen?

Doch der Meister hat gespürt,

dass jemand ihn berührt hat,

und zwar nicht zufällig berührt hat,

sondern absichtlich.

Kraft ist von ihm ausgegangen.

Nicht beschmutzt fühlt er sich, nein,

freigesetzt eher.

Und er fragt sich: Wer war das?


Es muss eine Frau gewesen sein.

Das spürt er. Irgendwie.

So berührt nur eine Frau.

So sucht nur eine Frau.

Und jetzt sucht er.

Nach ihr.

Nach der Frau hinter dieser Berührung.


7. Musik: wie 1

8:05-8:15 (0:10)


Autorin:

Und sie?


Fühlt sich ertappt,

schämt sich – kaum zu glauben, was sie sich da angemaßt hat.

Duckt sich.

Bloß nicht auffallen,

immer schön in der Reihe bleiben.

Wie konnte sie nur.


Und während der Meister weiterhin um sich schaut,

nach einer Antwort sucht,

wird es immer stiller,

alle folgen seinem Blick.


Sie dagegen... schließt die Augen,

wünscht sich weit weg

und spürt doch:

Fliehen bringt jetzt nichts mehr.

Und sie will es auch nicht mehr.

Sie kann es nicht mehr.

Will nicht mehr für sich sein.

Nach all den Jahren.


Nicht mehr ausweichen,

krumm war sie geworden,

aufrecht möchte sie werden,

und nicht mehr hart sein müssen,

wieder weich sein dürfen,

ihre Beine geben nach,

sie kann sich nicht mehr halten,

sie geht in die Knie,

und fällt vor ihm nieder,

findet sich in derselben Position wieder

wie vorhin, am Saum seines Gewandes... doch diesmal:


Zeigt sie sich.


Und sie spricht,

wagt es,

wagt sich heraus,

Wort für Wort,

spricht sie,

durchbricht sie,

das Schweigen,

benennt,

was sie trennt,

vom Leben,

kann reden,

von ihrer Wut,

dem fehlenden Mut,

ihrem Leid

in dieser ganzen Zeit,

viel zu lange nur mit sich...


…und sie spricht,

und es ist:


Als läge ihr ganzes Leben nun offen,

vor diesem Meister und den Menschen,

all diese Jahre,

aufgedeckt und gesehen.


8. Musik: wie 1

9:45-9:54 (0:09)


Autorin:

Und jetzt?

Und Jesus?,

so heißt er,

was macht er?


Er.

Beugt sich.

Runter.

Nimmt ihre Hand,

hilft ihr auf,

um ihr in die Augen schauen zu können.

Und spricht sie an,

vor allen,

damit auch alle

ihn hören und sehen können,

Seite an Seite mit dieser Frau:


„Meine

Tochter!“

Nennt er sie.

Nennt sie „sein“,

nennt sie „Tochter“,

dazugehörig,

und er fährt fort:


„Dein Vertrauen hat dir geholfen!“


Vor allen Menschen.

Freut er sich über ihren Mut,

der sie aus ihrem Zimmer auf diesen Platz in seine Nähe geführt hat.

Freut er sich über ihre Hinwendung.

Über sie.

Und bestätigt sie darin,

dass sie nichts falsch gemacht hat,

sich nichts geklaut hat,

im Gegenteil, dass sie gesucht hat nach etwas,

das längst für sie bereitstand.


„Geh hin in Frieden

und sei gesund von deiner Plage.“

sagt er.


Und sie?

Schaut ihn an.

Schaut sich um.

Sieht, wie sich der Kreis öffnet.

Die Menschen langsam Platz machen.

Ein Weg sich auftut.


Sie klopft sich den Staub von ihrem Kleid.

Schaut noch einmal in seine Richtung.

Sein freundlicher Blick.

Er nickt ihr zu.

Sie zurück.

Nicht mehr bloßgestellt,

geradegestellt, vor aller Augen,

gesehen, angesehen,

berührt, die Unberührbare,

die Verschlossene, wie aufgeschlossen,

nach diesen langen Jahren,

auf allzu engem Raum,

tut sich vor ihr ein Weg auf,

direkt vor ihren Füßen.


Und sie dreht sich um,

noch ein bisschen wackelig auf den Beinen,

aber gestärkt wie noch nie,

aufgerichtet,

so geht sie.

ja, sie kann wieder gehen,

Schritt für Schritt, erhobenen Hauptes,

durch die Menge hindurch,

zum ersten Mal seit langem ohne Plage,

in Frieden,

geht sie,

tanzt sie,

hinein in einen neuen Morgen.


9. Musik: wie 1

11:52-12:54 (1:02)



Autorin:

Einen guten neuen Morgen

wünscht Ihnen allen nah und fern,

Stephanie Brall

für die evangelische Kirche.


Schluss-Musik: This Is the Beginning

13:03-15:30 (2:27)


Titel (Musik 1-9): The Dance Floor von CD Chain of Days, Interpretin / Komponistin: Silje Nergaard, Produzent: unbekannt, Verlag: 2015 Sony Music Entertainment Germany GmbH 2015, Label: OKeh Records, 2015, LC-Nr. 00288; EAN: 88875063532; Bestellnummer: 6712040.


Titel (Schlussmusik): This Is the Beginning, Interpret: BOY, Text und Komposition: Sonja Glass, Philipp Steinke & Valeska Steiner, CD: Mutual Friends, Track 1, Label: ? 2011 Grönland Records, LC: 01387


(Wiederholung vom 17.05.15)

Redaktion: Pfarrer Dr. Titus Reinmuth


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