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Das Geistliche Wort | 13.04.2020 | 08:40 Uhr

Zwölf


Guten Morgen!

Die letzten Tage und Wochen wirkten auf mich wie einer der vielen Hollywoodfilme, die zum Jahresende gerne gezeigt werden: Katastrophenfilme in denen Ärzte, Forscherinnen, Polizisten, Präsidenten gar Superhelden die ganze Welt retten.

Es gab Abende in den letzten Wochen, da habe ich mir diese Superhelden echt gewünscht. Ich saß vor dem Fernseher und sah die Bilder aus Italien, Spanien und New York. Und ich wünschte mir Menschen, die plötzlich alles in den Griff bekommen, die Welt angesichts der Corona-Pandemie in eine neue Bahn lenken, das Leben wieder zu einer Normalität führen. Aber sie kamen nicht. In den Laboren wird zwar weltweit nach einer Arznei oder einem Impfstoff gesucht, die Politik versucht das Leben zu verlangsamen und der Bedrohung Einhalt zu gebieten – aber ich fühle mich hilflos. Wo sind die Heldinnen und Helden?

Na klar, das sind Träumereien, die für mich als Filmfreund eine schöne Idee sind. Aber real sind die nicht. Mich hat hingegen sehr beeindruckt, was ich in den vergangenen Wochen gesehen und erlebt habe, hier konkret in meiner Umgebung. Ich kann mich an kaum eine Zeit in meinen 36 Lebensjahren erinnern, in denen unsere Gesellschaft so sehr aus dem Vertrauen aufeinander gelebt hat. Auch in mir klingt das „Wir schaffen das“ von August 2015 noch nach. Und ich habe wieder das Vertrauen, dass es unser Land, ja die Menschen dieser Welt schaffen können.

Ich habe zwar keine Superheldinnen und -helden gefunden. In den letzten Wochen habe ich allerdings sehr viele Krisenmanager erlebt, die in ihren Familien, in Unternehmen, in der Nachbarschaft und den medizinischen Einrichtungen voller Überzeugung helfen: Keine phantastischen Superhelden, sondern Krisenmanager, Menschen, die die aktuelle Krise einfach angehen und in die Hand nehmen.

Spannend dabei ist für mich: Das griechische Wort „krisis“ bedeutet eigentlich „Unterscheidung“. Bei dem Jesuiten Michael Bordt habe ich dazu gelesen:

Sprecher:„Krisen sind Zeiten, in denen die Orientierung schwerer fällt, weil aufgrund eines erhöhten Handlungsdrucks und wachsender Komplexität die Klarheit und Sicherheit in der eigenen Gedanken- und Gefühlswelt gestört ist. In solchen Zeiten stehen Entscheidungen auf unsicherem Grund und belasten uns daher mehr.“[1]

Das spricht mir aus der Seele. Ich sehe die Unsicherheit bei vielen Menschen, ich spüre sie selber in mir. Ich habe eine solche Situation noch nie erlebt: Leere Regale im Supermarkt, nur wenige Menschen auf der Straße, Kontaktverbote und meine Eltern kann ich jetzt zu Ostern auch nicht sehen, da sie ebenfalls unter die Risikogruppe fallen. Und dann lese ich bei Michael Bordt weiter:

Sprecher: „Eine Krise ist demnach also eine Zeit für eine Unterscheidung, die zum Ziel hat, auf das, was schlecht ist und sich nicht bewährt hat, zu verzichten und stattdessen das Gute aufzugreifen und die Krise als Chance zur Veränderung zu nutzen.“[2]

Michael Bordt trifft es für mich auf den Punkt. Der Stress und die Herausforderung der letzten Wochen und Tage bestehen für mich darin, gute und sinnvolle Entscheidungen zu treffen: Ich bin plötzlich gefordert, selbstverständliche Gewohnheiten abzulegen, Begegnungen einzuschränken, auf Abstand zu Menschen zu gehen, mit Geduld vor einem Supermarkt zu warten. Das verändert mich und es verändert meine Wahrnehmung. Es hat aber auch seine positive Chance: Irgendwann schaue ich bei all dem Warten nicht mehr nur auf mein Handy, sondern komme mit fremden Menschen sogar auf 2 Meter Abstand ins Gespräch, schaue den Tauben auf dem Markt in Aachen zu, wo ich lebe.

Menschen verbinden das Wort „Krise“ in der Regel mit etwas Negativem oder einer Belastung. Seltsam, dass Menschen oft denken, Krisen kennzeichnen eine negative Situation und stellen Lebensgewohnheiten in Frage. Auch positive Momente können Krisen auslösen. Wenn das Wort Krise nämlich für eine Unterscheidung in den eigenen Lebenseinstellungen steht und damit Veränderung meint, dann ist die Geburt eines Kindes, das Verlieben in einen Menschen, der Umzug ins Traumhaus oder das Wiedersehen nach einer langen Zeit auch eine Krise, eine positive Krise eben. Denn auch hier wird bisheriges Leben infrage gestellt.

Krisen können auch ambivalent sein, also durch Negatives und Positives ausgelöst werden. Und genau davon erzählt mein Lieblingskrisentext aus der Bibel. Er wird heute, am Ostermontag, in den katholischen Gottesdiensten vorgelesen. Er handelt von zwei Freunden von Jesus, deren Lebenspläne gescheitert scheinen. Sie haben Jesus viele Wochen und Monate quer durch das Land Israel begleitet, seinen Worten zugehört, seine Zeichen und Wunder begeistert erlebt und für sich erfahren, dass das Leben einen Sinn hat. Sie wollten bei ihm in die Lebens-Schule gehen und selber Menschen helfen, Gott und ein bestmögliches Leben mit ihm zu finden. Doch dann war alles schlagartig vorbei. Die Krise war da. Jesus wurde gefangengenommen, zum Tode verurteilt, gekreuzigt und hingerichtet. Seine Freunde hatten ihn dann beigesetzt und drei Tage später war sein Leichnam weg. Verwirrt und verunsichert haben die beiden ihre Sachen gepackt und sich auf den Weg in ihre Heimat gemacht.

An dieser Geschichte der beiden Freunde wird mir zuerst deutlich: Die Beiden haben sich von Jesus packen und begeistern lassen. Sie nahmen all ihren Mut zusammen, verließen ihre Familien und folgten ihm ohne jede Absicherung. Die positive Krise, also Entscheidung, die sie mit Jesus für ihr Leben trafen, kippte vor wenigen Tagen in die klassische negative Idee von Krise. Alle Pläne waren zerstört und das Leben machte keinen Sinn mehr. Sie wollten zurück zum Altvertrauten und zurück in die Heimat, die für sie wie Sicherheit klingt.

Aber es sollte dann doch noch anders kommen. Da heißt es (Lk 24,14-19):

Sprecher: Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte. Und es geschah, während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus selbst hinzu und ging mit ihnen. Doch ihre Augen waren gehalten, sodass sie ihn nicht erkannten. Er fragte sie: Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? Da blieben sie traurig stehen und der eine von ihnen - er hieß Kleopas - antwortete ihm: Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Er fragte sie: Was denn? Sie antworteten ihm: Das mit Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk.

Die zwei Freunde sind blind vor Trauer und haben keine Perspektive für das was gerade wichtig ist. Sie suchen einfach nach Sicherheit. Dabei haben sie leider komplett vergessen, auf das zu schauen, was ihnen Kraft und Stärke gibt. Der Unbekannte, der sich später als Jesus selbst herausstellt, erinnert die beiden Freunde daran, dass ihr Leben und ihre Erfahrungen das beste Potential für Krisenmanagment sind. Er erinnert sie daran, dass gute Krisenmanager mit der Bereitschaft leben, Risiken einzugehen, keine Angst haben müssen zu scheitern. Ja mehr noch, dass sie risikofreudig leben sollen.

Jesus erinnert sie daran, was sie einmal begeistert hat (Lk 24,25-27): Da sagte er zu ihnen: Ihr Unverständigen, deren Herz zu träge ist, um alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht der Christus das erleiden und so in seine Herrlichkeit gelangen? Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.

Ich stelle mir die Fragen Jesu so vor: Seid ihr diesem Jesus nicht gefolgt, weil er eure Welt auf den Kopf gestellt hat? Seid ihr diesem Jesus nicht gefolgt, weil er euch einen neuen Blick auf die Welt gegeben hat und ihr endlich einen Sinn für euer Leben entdecken durftet?

Etwas Faszinierendes muss von diesem Jesus ausgegangen sein. Denn nur so erklärt sich, warum die beiden Freunde sich auf diesen Jesus eingelassen haben und ihm gefolgt sind. Jesus war für die beiden Freunde der Sprung in das Abenteuer des Lebens, verbunden allerdings mit vielen Risiken. Er, Jesus, war das Risiko wert.

Mir fallen dazu die Ärztinnen und Ärzte, die Menschen in unseren Pflegeeinrichtungen, die Frauen und Männer an den Kassen der Supermärkte und Drogerieketten ein. Etwas brannte wohl auch vor Jahren, als sie den jeweiligen Beruf ergriffen und sich für Menschen und ein bestmögliches Leben von Menschen einsetzten. Sie haben wahrscheinlich auch nie mit einer solchen Krise für unsere Gesellschaft gerechnet. Aber sie tun heute weiter ihren Dienst. Sie arbeiten bis zur Ermüdung und arbeiten unter dem Risiko, selber krank zu werden. Sie sind die Krisenmanager dieser Tage.

Von den beiden Freunden, denen Jesus begegnet heißt es weiter (Lk 24,28-33):

Sprecher: […] So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen, aber sie drängten ihn und sagten: Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt! Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn; und er entschwand ihren Blicken. Und sie sagten zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete? Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück.

Hier ist der Moment, der mich an dieser Geschichte am meisten beeindruckt! Es sind die kleinen Zeichen im Alltag und nicht die großen Worte, die wieder Mut schenken und Menschen an ihre Talente einer Krisenmanagerin und einem Krisenmanager erinnern. Ich glaube ja, jeder Mensch ist ein Krisenmanager! Es reicht schon Zeit zu teilen, es reicht gemeinsam zu essen und manchmal schon stilles beieinander zu sitzen, um so andere Perspektiven zu gewinnen. Damit kann auch aus der aktuellen Krise eine Unterscheidung und eine Veränderung meiner Gedanken und meiner Stimmung werden. Und der Anfang steckt schon in mir – in jedem von uns.

Dafür braucht es in diesen Tagen vielleicht etwas Kreativität. Warum schreibe ich meiner besten Freundin nicht einfach eine WhatsApp und wir verabreden uns zum gemeinsamen Kaffeetrinken am Telefon? Was wäre, wenn ich einfach allen Menschen, die ich gerade vermisse, ein Bild mit dem breitesten und fröhlichsten Osterlächeln schicke? Oder wenn ich meine Familie eine Woche lang mit Postkarten im Briefkasten überrasche, die sie als stille Platzhalter bei sich am Essenstisch aufstellen?

Die Geschichte der beiden Freunde aus der Bibel sagt mir: Ihr alle habt die Kraft echte Krisenmanager zu sein und ihr habt die Kraft, mit Mut allen Veränderungen zu begegnen. Dabei reichen die kleinen Dinge, um einen Alltag zu unterbrechen. Ich brauche keine Superheldin und –held zu sein. Was die Welt braucht, das sind Menschen, die mit ihrer Angst und Unsicherheit kreativ umgehen, die Krisenmanagement betreiben! So wie die beiden Freunde von Jesus!

So wünsche ich Ihnen frohe Ostern, offene Augen für die Kleinigkeiten im Alltag und den Mut Krisenmanager im eigenen Leben zu sein.

Ihr Pfarrer Matthias Fritz aus Aachen


[1] Bordt, Michael, Was in Krisen zählt. Wie Leben gelingen kann. Die Antworten eines Jesuiten auf die Fragen, die wir uns jetzt stellen, München, 4. Auflage, 2013, S. 11.

[2] Ebd., S. 17.

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