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Das Geistliche Wort | 07.06.2020 | 08:40 Uhr
Warum drei noch viel mehr als eins ist
Guten Morgen!
„Corona“ – Ich kann es nicht mehr hören. Seit drei Monaten tagtäglich Zahlen über Infizierte, über Todesfälle, dann die Warnungen, die Einschränkungen und deren Lockerungen und schließlich die Konsequenzen – häufig vor allem mit Blick auf die Wirtschaft. Da klingt vieles nach Weltuntergang. Und richtig ist ja auch: Viele Menschen haben die Konsequenzen der Pandemie unmittelbar erfahren, vor allem als Verlust: Verlust von Arbeitsplätzen, Verlust der Gesundheit, Verlust von Beziehungen, Verlust des Lebens, und das wie leider so oft in vielen Ländern unserer Erde noch viel dramatischer als bei uns. Und dann kommen die Verschwörungstheoretiker daher, die für alles eine einfache Erklärung haben.
„Corona“ – Ich kann es nicht mehr hören. Bei meiner Tätigkeit im Bistum Aachen und auch als Diakon werde ich gefragt: Und, was hat die Kirche dazu zu sagen?
Vielleicht einmal ein erster Gedanke eines tschechischen Theologen und Priesters, den ich sehr schätze, Tomáš Halík:
Sprecher: "In Katastrophen-Zeiten suche ich nicht einen Gott, der wie ein zorniger Regisseur sich hinter die Bühne unserer Welt gesetzt hat, sondern ich nehme ihn als Kraftquelle wahr, die in denen wirkt, die in solchen Situationen eine solidarische und aufopfernde Liebe erweisen – ja auch in denen, die dazu keine „religiöse Motivation“ haben. Gott ist demütige und diskrete Liebe.[1]"
Nein, Gott ist kein zorniger Regisseur, sondern Kraftquelle. Die Texte von Tomáš Halík sind gerade in diesen Zeiten für mich ein Trost und regen mich an, mir über Gott Gedanken zu machen. Gerade heute bietet sich das auch an, denn heute ist der Dreifalltigkeitssonntag auch Trinitatis genannt. Und da geht mir so einiges durch den Kopf. Wie so oft im Leben fällt mir erst einmal ein, was alles nicht geht. Also, was spricht dagegen, sich über Gott Gedanken zu machen?
Zum einen gilt: Über Gott können wir nichts wissen, das er uns nicht wissen lässt. Er bleibt das große Geheimnis, das wir in diesem Leben nicht auflösen können. Und zum anderen lehrte bereits der große Kirchenvater Augustinus: „Begreifst du es, so ist es nicht Gott.“[2]
Aber warum sich dann überhaupt Gedanken machen? Ich denke: Weil Gott selbst sich um Kommunikation bemüht. Er zeigt sich im Wort. Ja, er ist das Wort (Joh 1,1) und lässt durch Jesus, der sein Wort ist, den Jüngern sagen (Mt 4,4): „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ Und so gibt es eine ganze Reihe von Aussagen Gottes über sich selbst in der Bibel: „Ich bin der: ich bin da“, heißt es bereits im Alten Testament (Ex 3,14). Oder (Apk 22,13) „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“
Dennoch bleiben alle diese Beschreibungen von Gott geheimnisvoll und unergründlich. Dabei betont Tomáš Halík:
Sprecher: „Gott ist nicht irgendein Geheimnis, sondern das zentrale Geheimnis der Wirklichkeit.“[3]
Und:
Sprecher: „Gott handelt sicher nicht gegen die Vernunft, die er selbst dem Menschen gegeben hat. Er ist jedoch zu groß, als dass er sich mit diesem seinem geschaffenen Geschenk erfassen, umschließen und erschöpfen ließe.“[4]
Wie kann ich mich dem Geheimnis des Dreifaltigen Gottes der Christen annähern? Wie kann ich mir eine Vorstellung von ihm machen? Vielen Menschen hilft da das Kreuzzeichen, wenn Sie in eine Kirche gehen, an einem Gottesdienst teilnehmen oder vielleicht beim privaten Gebet. Dazu sprechen Sie dann: „Im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des Heiligen Geistes. Amen.“
Das ist allerdings nur ein kurzes Gebet, eine Kurzformel des christlichen Glaubens, ein symbolisches Bekenntnis des dreieinigen Gottes. Manche haben ein bestimmtes Bild im Kopf: Ein bärtiger alter Mann sitzt auf dem Thron, mit seinem gekreuzigten Sohn auf dem Schoß und zwischen ihnen schwebt eine Taube. Die christliche Kunst nennt das Bild einen Gnadenstuhl. Als Motiv entstand es bereits Anfang des 12. Jahrhunderts und sollte schon damals den Menschen helfen, sich das Geheimnis der Dreifaltigkeit vorzustellen. Solche Bilder finden sich bis heute in Kirchen und Kapellen.
Aber ist das ein adäquates Bild für einen Gott in drei Personen?
Alle diese Vorstellungen vereinfachen und vergröbern die Bildrede von den drei göttlichen Personen zu einem simplen Drei-Gott-Glauben und gefährden umgekehrt das dynamische Geheimnis der Einheit von Vater, Sohn und Geist.
Eigentlich geht es nicht um die bildliche Beschreibung, wie etwas ist, es geht um gelebte Beziehungen der drei, um Dynamik. Von Tomáš Halík auf den Punkt gebracht: Gott ist nicht – Gott geschieht.
Von daher will ich einen anderen Annäherungsversuch wagen, bei dem es um Begegnung geht und zwar um Begegnung Gottes mit den Menschen.
Die Begegnung Gottes mit seinem Volk wie sie die Bibel berichtet ist heftig und real. Das Volk Israel erlebt ihn als stürmisch Liebenden aber auch in väterlich-mütterlicher Zärtlichkeit und Zuwendung: „Als Israel noch klein war, gewann ich ihn lieb … wie die Eltern, die den Säugling an ihre Wangen heben. Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen“, heißt es beim Propheten Hosea (Hos 11,1.4).
Letztlich geht es bei dem dreifaltigen Gott um das Beispiel und Vorbild einer Liebesbeziehung, die sich ausweitet und alle Menschen umfasst, denn Liebe ist immer auf ein Du gerichtet und bleibt nicht bei sich selbst. Selbstverliebtheit endet dagegen in Beziehungslosigkeit. Liebe auf ein Du gerichtet öffnet und verbindet Gott mit den Menschen und die Menschen untereinander, weil Gott in sich bereits Liebesbeziehung ist. Und das hat Konsequenzen wie Tomáš Halík schreibt:
Sprecher: „An Gott den Vater zu
glauben bedeutet nicht, in das unvorstellbare Geheimnis die menschliche Idee
der Vaterschaft oder Erfahrungen mit dem eigenen Vater hinein zu projizieren,
sondern aus dieser Metapher heraus ganz praktische Konsequenzen abzuleiten:
Wenn Gott der „Vater aller Menschen ist, dann sind alle Menschen – unabhängig
von ihrer Nation, Rasse, Kultur, Überzeugung oder sozialen Gruppe – gegenseitig
Brüder und Schwestern.“[5]
Die Idee von der Dreieinigkeit Gottes spiegelt auch die Erfahrungen, dass unser Leben Brüche hat, dass nicht immer alles glatt geht, dass vieles kompliziert ist und einfache Lösungen selten der Wirklichkeit gerecht werden. Das hat Tomáš Halík zu Folge auch Konsequenzen für das Verständnis von einem dreifaltigen Gott:
Sprecher:„ … eines Gottes, der die Verbindung von Einheit und Verschiedenheit ist. Gott, der in sich selbst eine Gemeinschaft ist, ist nämlich die heilige Quelle der Pluralität der geschaffenen Welt. Er sagt Ja zu unserer Verschiedenheit, Buntheit und Vielschichtigkeit.“[6]
Mehr noch. Ein solcher Gott kann befreien aus der Angst um sich selbst, kann öffnen für die Menschen in nah und fern, will Freude schenken an Vielfalt und Verschiedenheit, weil er all das selbst in sich ist.
Schließlich befreit ein Gottesbild der Beziehungen und Dynamik, eines Gottes der immer in sich auf andere bezogen bleibt von falschen Göttern und bewahrt davor zum Götzendiener zu werden. So formuliert Tomáš Halík zutreffend:
Sprecher: "An einen Gott zu glauben bedeutet vor allem, frei zu sein – befreit zu sein von der Herrschaft der Götzen. Es bedeutet, sich den Ansprüchen relativer Werte zu widersetzen, die in unserm Leben die Rolle des Absoluten einnehmen möchten.Dem Götzendienst verfällt derjenige, der etwas zu ernst nimmt, das einen solchen Ernst nicht verdient: Geld, Politik, Sexualität, Karriere, Macht – das alles hat sicher im Leben sein Gewicht. Aber wer diesem allen den letzten und den größten Ernst zuspricht, wer daraus einen Gott macht, wer sich darauf fixiert und sich daran bindet, der beginnt ein Sklave zu sein. Wenn wir jedoch in der Lage sind, über all dies auch zu lachen, sind wir auf dem Weg zum Raum der Freiheit von den Götzen, dem Raum den Christen Glauben nennen."
Ich stelle mir den dreifaltigen Gott vor als einen „geselligen“[7] Gott, der auch lacht, ja mehr noch: der mit sich und durch sich tanzt. Theologen haben bereits in den ersten Jahrhunderten nach Christus den Begriff geprägt der Perichorese, das heißt des gegenseitigen „Durchdringens“ und des sich gegenseitigen Bedingens der göttlichen Dreifaltigkeit. Schon sehr früh wurde das im Bild des Kreises dargestellt. Und diese Vorstellung erinnert an einen Tanz, bei dem Vater, Sohn und Geist sich gegenseitig den Vortritt lassen. Was Tanzen bedeutet, das weiß bereits der Psalmist im Alten Testament und schreibt (Ps 30,12): „Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt.“ Da wird das Schwere, Düstere, Ferne und Unfassbare auf einmal leicht, schwebend, heiter und beglückend. Noch einmal Tomáš Halík, der den Tanz als eine umfassende Vorstellung von Gott erklärt:
Sprecher: „Hier ist ein Gott, der die Welt mit der Bewegung seiner Liebe ankurbelt, hier ist ein Gott, der dich zum Tanz der Liebe einlädt, in dem sich Himmel und Erde durchdringen, die Gnade und die Natur, das Göttliche und das Menschliche, die göttliche Dreieinigkeit und die Dreieinigkeit von Glaube, Hoffnung und Liebe, mit denen wir in die Ewigkeit hineintanzen werden. In der Ewigkeit herrscht keine Grabesruhe, die Ewigkeit ist ewige Bewegung, ein Tanz der Liebe!“[8]
Auch wenn der Dreifaltige Gott ein Geheimnis bleibt: in Momenten von Leichtigkeit, auch wenn das Leben schwer ist, in Erfahrungen von Gemeinschaft gegen alle Einsamkeit und im Auskosten der Verschiedenheit als Bereicherung erahne ich etwas von der Gegenwart dieses einen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Aus Aachen grüßt Sie Markus Offner
[1]
Tomáš Halík, Christentum in Zeiten der Krankheit, MFthK,,
www.theologie-und-kirche.de, 2.4.2020.
[2] Augustinus, Sermo CXVII 3,5: „si enim comprehendis, non est deus“.
[3] Tomáš Halík, Glaube und sein Bruder Zweifel, Freiburg i. Br. 2017, 77.
[4] Halík, Glaube, 77.
[5] Halík, Glaube, 85.
[6] Halík, Glaube, 85, 277.
[7] Vgl. Kurt Marti, Die gesellige Gottheit: Ein Diskurs, Verlag Radius 2004.
[8] Tomáš Halík, Ich will, das du bist, Herder Verlag 2019, 270.