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Das Geistliche Wort | 16.08.2020 | 08:40 Uhr

Gott: sinnvoller Gedanke oder erlebbare Existenz?

Sr. Ancilla: Guten Morgen! Mein Name ist Schwester Ancilla. Ich gehöre zu den Klarissen in Münster am Dom. Immer wieder begegne ich der Frage, ob Gott erfahrbar ist oder nur ein sinnvoller Gedanke. Und da Gott nicht nur ein Gott der Theologen ist, habe ich zum Gespräch einen Studienfreund mitgebracht, der aus einer ganz anderen Disziplin kommt: Dr. Bernd Eylert, Naturwissenschaftler und Ingenieur, emeritierter Professor an der Technischen Hochschule Wildau bei Berlin.

Dr. Bernd Eylert:




Guten Morgen!


Musik I


Sr. Ancilla:


Ist Gott bloß ein sinnvoller Gedanke oder erfahrbare Existenz? Wenn er tatsächlich erfahrbar ist, dann muss es auch einen Weg zu dieser Erfahrung geben. Immerhin fragt schon der Apostel Thomas einmal Jesus: Herr wir wissen nicht wohin du gehst. Wie sollen wir den Weg kennen? Joh 14, 4,5

Dr. Bernd Eylert:




Ja das ist die entscheidende Frage: Wie den Weg zu Gott finden, wie Gott erfahren? Mir ist dieser Thomas ja sehr sympathisch, weil er die richtigen Fragen stellt. Denn letztlich sind wir die ewig Fragenden. Für Dich als Nonne sollte es doch da gar keinen Zweifel daran geben, ob Gott ein sinnvoller Gedanke oder erfahrbare Existenz ist? Du müsstest doch beides mit Ja beantworten können!

Sr. Ancilla:


Wenn das mal so einfach wäre! Über 40 Jahre lebe ich nun als Klarisse im Kloster und erwische mich immer wieder bei dem Gedanken: So, jetzt weiß ich den Weg zu Gott. Bloß: So ist es nicht. Dieser Gott, über den wir hier nachdenken, wird mir als Vertrauter immer unvertrauter. Aber wie ist es denn bei Dir? Du bist Mathematiker, Physiker, Ingenieur. Wie bist Du überhaupt zu dieser Frage nach Gott gekommen?

Dr. Eylert:




Aufgewachsen bin ich in einem katholischen Umfeld der 1950er und 1960er Jahre. Gott, Religion und Kirche gehörten zur DNA von mir und den meisten meiner Altersgenossen. Die Dinge wurden nicht hinterfragt. 14-jährig, mitten im II. Vatikanischen Konzil, interessierte mich dann aber die Frage brennend: Gibt es einen Gott? Ich löcherte meinen damaligen Pfarrer mit Fragen zu den Ergebnissen des Konzils, woraufhin er mich mit Konzilstexten versorgte. Dann diskutierten wir diese Papiere. Das II. Vatikanum vermittelte Aufbruch, Neuerung, Veränderung. Und das sprach mich als Jugendlichen natürlich unmittelbar an. Dann kam in der Dynamik der 1968er Ereignisse der radikale Schnitt mit der für viele von uns so verhängnisvollen „Pillen-Enzyklika“. Kirche mischte sich in das Privateste eines jungen Menschen ein, was ihn in dieser Lebensphase bewegte. Ist das Gottes Wille? Kann er das zulassen? Wird er so nicht zum alten Mann der religiösen Bilder, der nichts kapiert? Das löste bei mir größte Verunsicherung aus. Aber welche Erfahrung hast Du zu der Zeit gemacht?

Sr. Ancilla:


Da muss ich überlegen. Vor allem, wenn es darum geht, Gottes Willen zu definieren. Und außerdem habe ich mich in dem Alter nicht für Kirche interessiert. Kirche, Glaube, Religion waren einfach da im erzkatholischen Umfeld, über das nicht nachgedacht wurde, und so wandte ich mich ab. Was mich aber wohl damals interessierte, war die Frage nach dem Leben, nach dem Menschen. Vor allem die Frage, die mich zur Lehrerin werden ließ: Wie kann ich jungen Menschen helfen, ihr Leben zu entdecken? Meine Berufung zum Ordensleben war eher ein Einbruch, eine Zäsur im Leben. Denn an ein Leben in einem kontemplativen Frauenorden hatte ich bis dahin noch nicht gedacht. Erst danach begann der Prozess der Auseinandersetzung mit Gott.


Musik II


Dr. Eylert:




Ja, ja, als wir uns zu Beginn des Studiums kennenlernten und die gleichen Fächer studierten, Mathematik und Physik, spielten bei uns beiden Religion und Gott und Kirche keine Rolle. Wir hatten andere Themen. Erst nach dem Studium taten sich neue Wege auf. Du bist ins Kloster eingetreten. Und ich heiratete eine Frau aus einem sehr religiösen evangelisch-lutherischen Hause mit protestantischer Grundeinstellung. Da erwachten bei mir die alten Erfahrungen, die ich mit meinem Pfarrer als Jugendlicher gemacht hatte: die progressiven Texte des II. Vatikanums, besonders die der Ökumene passten auf meine neue Lebenssituation. Auch das Leben in den kirchlichen Gemeinden war zu der Zeit ja immer noch von Aufbruch und Veränderung geprägt, so dass ein echter Zweifel an Gott und seiner Existenz nicht wirklich aufkam. Das änderte sich erst mit dem Pontifikat Johannes Paul II. In meinen Augen hat er eine Restauration der katholischen Kirche eingeleitet, die dogmatisch nicht mehr meine war. Diese schleichende Veränderung in den religiösen Vorgaben und Verhaltensregeln verbunden mit der Abwendung von den progressiven, optimistischen Zielen des II. Vatikanums hat mich sehr irritiert. Es ist nicht nur das Thema der fehlenden Abendmahlsgemeinschaft, das im ersten Jahrzehnt nach dem Konzil viel unkomplizierter gehandhabt wurde. Es ist die Schwangerenkonfliktberatung, ein Akt christlicher Nächstenliebe, in einer für die Frauen emotional schwierigen Zeit, die einfach gestoppt wurde. Es ist das Festhalten an Dogmen, wie das gestern gefeierte Fest der Himmelfahrt Mariens, die einer rationalen Betrachtung nicht standhalten.

Sr. Ancilla:


Du meinst also, dass dieser Papst, den die Kirche vor nicht allzu langer Zeit heiliggesprochen hat, - dass er der Kirche geschadet hat?

Dr. Eylert:




Ja! In mancher Hinsicht denke ich das, insbesondere in Bezug auf das eben Gesagte. Bezogen auf die Wissenschaft ist Johannes Paul II. dagegen eher dem Zeitgeist gefolgt. Als er zur 700. Jahrfeier von Albertus Magnus 1980 in Köln weilte, hofften viele Naturwissenschaftler auf eine Neupositionierung des Vatikans im Verhältnis der Kirche zu den Wissenschaften. War doch das Ansehen dieses überragenden Wissenschaftlers seit jeher in Kirche und Gesellschaft groß. Andererseits gab es Altlasten, die meines Erachtens eher widerwillig angepackt wurden wie die Rehabilitierung Galileo Galileis, obwohl die längst überfällig war. Auch im Weiteren wurden wir eher enttäuscht. Zum Beispiel bei der Diskussion um die Gentechnik gab es erst einen Aufschrei, weil zunächst die negativen Seiten gesehen wurden. Die positiven Seiten wurden dann nur noch in elitären Zirkeln wie der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften diskutiert. Andere Entwicklungen, wie sie zum Beispiel die Mathematik in der Gottesfrage bietet, wurden gar nicht erst registriert.


Musik III

Sr. Ancilla:


All Deine kritischen Erfahrungen haben aber offensichtlich Deine Suche nach diesem Gott nicht beendet. Wie hast Du dann in Deinem Leben in der Wissenschaft, vor allem in der Mathematik eine Spur zu ihm gefunden? Mir ist nur Anselm von Canterbury präsent, der in seinem berühmten Gottesbeweis die theologische und mathematische Welt zusammenbringt.

Dr. Eylert:




Ja, Anselm ist sozusagen unser erster Kronzeuge, ich spreche hier als Mathematiker, für eine plausible Erklärung der Existenz Gottes. Vielfach von Philosophen und Theologen kritisiert schuf er die Grundlage für weitere Beweise von bekannten Mathematikern wie Descartes, Leibniz und Gödel. Kernaussage von Anselms Gottesbeweis ist, dass über Gott hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Mathematisch hat er einen Widerspruchsbeweis geführt, d.h. Anselm nimmt das Gegenteil von dem an, was er beweisen will, und führt diese Annahme zum Widerspruch. Damit ist mathematisch die Ausgangsthese bewiesen. In Anselms Fall geht es darum, dass das, was maximal gedacht werden kann, und das, was in Wirklichkeit existiert, nicht gegensätzlich sein können. In dieser Tradition sehe ich Leibniz als Philosophen und Mathematiker, der nie Zweifel an der Existenz Gottes hatte. Leibniz hat eine mathematische Methode entwickelt, die es ihm erlaubt zu behaupten, dass Gott „die beste aller möglichen Welten“ geschaffen habe. Dabei denkt er die „beste aller möglichen Welten“ dynamisch. Will heißen: Nicht der derzeitige Zustand der Welt ist der bestmögliche, sondern die Welt hat Entwicklungspotential, sie kann immer noch besser werden. Und wir, die Menschen, sind aufgefordert, auf dieses Ziel in seinem, nämlich Gottes Auftrag hinzuarbeiten.

Sr. Ancilla:


Der Mensch hat also den Auftrag von Gott, an einer besseren Welt zu arbeiten. Das kann ich voll unterstützen. Und was hat der Mathematiker Gödel jetzt damit zu tun?

Dr. Eylert:




Kurt Gödel hat Leibniz‘ Gedanken weiterentwickelt. Gedanklich ähnlich zu Anselm führt er auf der Grundlage der Leibnizschen Methode einen mathematischen Beweis, an dessen Ende die Existenz Gottes steht. Zusammenfassend versucht er Gott so zu beweisen:

Wenn positive Eigenschaften wahr und miteinander verträglich sind und es möglicherweise ein Wesen gibt, das alle positiven Eigenschaften verkörpert, dann muss notwendigerweise dieses Wesen als göttliches Wesen existieren.

Kurzum: Der Gödel‘sche Gott ist das allumfassend Positive. Andere Mathematiker konnten die Unendlich-Dimensionalität nachweisen. Damit sind die Mathematiker aber noch nicht fertig. Sie forschen weiter an Eigenschaften, die Gott zugesprochen werden können, auch wenn man in den neuen Veröffentlichungen zu Gödels ontologischem Beweis, wie er jetzt genannt wird, das Wort Gott meist vergebens sucht. Für mich sind diese Arbeiten, an denen ich auch selbst beteiligt bin, aber der Schlüssel zum nachhaltigen Verständnis von der Existenz Gottes.


Musik IV


Sr. Ancilla:


Ja, Gott als alles in allem. Damit wären wir auf meiner Lebensebene angekommen. Die ist nicht so philosophisch, sondern näher bei den Menschen, nämlich bei Franziskus und Klara. Die beiden mittelalterlichen Heiligen aus Assisi, prägen meine Spiritualität, also meine Weise im Alltag mit diesem Gott zu leben, dessen Existenz für sie nie eine Frage war. Ihn zu erfahren wurde ihnen geschenkt, je mehr sie sich auf diesen Gott einließen, der sich wiederum in seiner Liebe zu uns Menschen einließ. So wandten sich Klara und Franz den Menschen zu. Ich verstehe das ganz im Sinne von dem, was du von Leibniz sagst, dass es Gottes Auftrag an uns ist, die Welt zur bestmöglichen zu gestalten. Das ist es, was meine Schwestern und ich heute wollen. Und auch das, was du vom Gödel‘schen Gottesbeweis sagst, lässt sich genau übertragen in die Alltagspraxis des Lebens: Wir sollen all die positiven Werte leben, damit Gott, in dem sie gründen, nicht nur ein sinnvoller Gedanke, sondern erfahrbare Existenz wird. Das fängt an in den alltäglichen Kleinigkeiten, wenn ich anderen helfe oder tröste.

Dr. Eylert:




Ja, einerseits weiß ich aufgrund meiner mathematischen Kenntnis, dass ich die Existenz Gottes plausibel begründen kann, andererseits glaube ich, dass Gott, das allumfassend Positive, unter anderem dort erfahrbar wird, wo Positives in dieser Welt geschieht.

Sr. Ancilla:


Gott ein sinnvoller Gedanke oder erfahrbare Existenz. Ich danke Dir für Deine Antwort aus der philosophischen Mathematik.

Dr. Eylert:




Und ich danke Dir für deine Antwort aus der christlichen Tradition deines Klosters und wünsche den Zuhörerinnen und Zuhörern ein anregendes Nachdenken über unser Gespräch.

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