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Das Geistliche Wort | 26.07.2020 | 08:40 Uhr
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Vom Segen
Ich habe mich gefragt: Was ist den Menschen beim Gottesdienst eigentlich das Wichtigste? Es hat dazu eine Umfrage gegeben. Dabei hat sich herausgestellt: Es ist der Segen.
Warum? Warum wird der Segen in einem Gottesdienst noch vor den Liedern und der Predigt als derjenige Teil empfunden, der der wichtigste ist, der am tiefsten berührt und am nachhaltigsten motiviert?
Vielleicht deshalb, weil wir auf dem Weg durch unser Leben mit seinem Wegen, Umwegen und manchmal auch Irrwegen eine Erinnerung brauchen. Die Erinnerung an den, der uns das Leben geschenkt hat und deshalb dafür auch Sorge trägt.
Vielleicht, weil wir in der Auseinandersetzung mit soviel Zweifel und Selbstzweifel zwischendurch ein Versprechen brauchen. Das Versprechen eines himmlischen Blicks, eines Blicks von ganz oben, der uns schöner, reicher, intelligenter, begabter und geliebter findet, als wir uns selber manchmal schön, reich, intelligent, begabt und geliebt finden.
Vielleicht, weil wir in Anbetracht von so viel Unsicherheiten tief in uns eine Zusage brauchen. Die Zusage von etwas, das wir uns nicht selber sagen können: Dass da jemand wirklich Großes und Zuverlässiges ist, der unser Dasein und Sosein radikal und total in der Hand hat, komme, was da wolle.
So ein Zuspruch, so ein Versprechen, so eine Erinnerung können wir im Segen finden. Der vielleicht schönste klingt so:
Sprecherin: Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Autor: Das ist der sogenannte Aaronitische Segen aus dem 4. Buch Mose, Kapitel 6, den der Priester Aaron durch die Vermittlung Mose von Gott mitgeteilt bekommt und der seit den Tagen der Reformation wie eine Lichtung am Ende eines Evangelischen Gottesdienstes steht.
Der Aaronitische Segen besteht aus drei Segensbitten, wobei im hebräischen Original die erste Bitte drei Worte umfasst, die zweite fünf und die dritte - die Zahl der Vollkommenheit – sieben.
Diese Sätze haben alle einen eigenen Fokus und bauen wie bei einer Stufenleiter aufeinander auf. Sie nehmen uns an die Hand und führen uns der Reihe nach durch drei verschiedenen Glaubensräume, drei verschiedene Dimensionen des Vertrauens.
Der ersten Segensbitte steht die Welt vor Augen, wie sie ist. Eine Welt, in der man alt und krank wird, in der man sterben muss und scheitern kann. In der man es mit Liebeskummer zu tun bekommt. Mit Geld- und Existenznot. Eine Welt, in der mitunter der Boden unter den Füßen wegbricht und die Liste der Angstmacher lang ist. In der ersten Bitte geht es um die Not-wendigkeit, bewahrt und behütet zu werden in einer sehr schönen, aber auch sehr gefährlichen Welt.
„In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“ Was in dieser alten Liedstrophe zum Ausdruck kommt, hat der eine oder andere von uns schon einmal erlebt. Auf der Straße. Im Auto. Auf dem Fahrrad oder zu Fuß. In einem Moment innerer Unachtsamkeit oder äußerer Unheimlichkeit. Auch in der Erfahrung, dass Sicherheiten wie die, dass es Epidemien immer nur woanders gibt, brüchig werden und sich auflösen.
Wer weiß: Vielleicht war die Hand Gottes gerade dann segnend und behütend über uns, wenn wir ganz im Gegenteil dachten, Gott ist gar nicht da oder doch ganz weit weg. Der erste Raum, durch den wir beim Aaronitischen Segen geführt werden, ist die Dimension der Bewahrung durch Gott in einer bedrohten Welt. Ich glaube: Ohne diese Dimension hätten wir nicht Corona, wir hätten Corona hoch zehn.
Musik 1: „Befiehl du deine Wege“; CD: Gast auf Erden
(2003); Track 9; Musik & Text: Uli Kringler, Sarah Kaiser, Samuel Jersak;
Interpretin: Sarah Kaiser; Label: Gerth Medien; LC 12055
Sprecherin: Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Autor: In der zweiten Segensbitte geht es um die persönliche Gottesbeziehung. Wenn
Gott behütet, dann geschieht das oft so, dass wir das entweder gar nicht oder
aber erst im Nachhinein merken.
Aber der
Gott der Bibel ist nicht eine abstrakte Größe irgendwo in den Tiefen des Alls,
sondern jemand, der sein Angesicht zuwendet, um gesehen zu werden. Ein Ich, das
als Du angesprochen werden möchte.
Gott ist Jemand, der eine Beziehung will. Dabei ist das Licht seiner Zuwendung, das Licht, das aufleuchtet, wenn er sich zu erkennen gibt, wenn er sagt „Hier bin ich“, kein entlarvendes und beschämendes, sondern ganz im Gegenteil ein gnädiges Licht. Ein Licht, in dem ich mich dem lebendigen und heiligen Gott auch mit meinem Schattenseiten nähern darf, ja mit meinen Leichen im Keller. Es ist das Licht unbedingter Bejahung.
Die zweite Segensbitte
ist ein Raum, in dem ich eingeladen werde, das, was mein Leben bewegt und
ausmacht, in ein Gespräch mit Gott zu bringen. Mit dem Gott, der sieht und
gesehen, der spricht und der angesprochen werden
will,
in der Zuversicht, dass ich bei ihm besser aufgehoben bin als bei mir
selber. Die zweite Segensbitte ist eine Dimension, in der sich Gott anbietet
und kennen gelernt werden will als Freund, als Helfer, als Tröster, als Hirte,
als Heiler, als Beschützer, als feste Burg, als Freiheit, als bedingungslose
Annahme
Musik 2: „My Lighthouse“;
CD: The Art of Celebration (2014); Track 3, Musik & Text: Writer(s): Gilkeson Gareth Andrew, Llewellyn Christopher Dean;
Interpreten: Rend Collective; Verlag: Integrity Music Europe Ltd.; EAN 0000768526620
Sprecherin: Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Autor: Das ist die dritte und letzte Segensbitte. „Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich“ – Ich habe gelesen, dass das eine einmalige Formulierung in der ganzen Bibel ist. Sie bedeutet so viel wie: ER blicke dich mit den Augen der Liebe an, er mache dich zum Augenmerk seiner Liebe. Das ist der Ausgangspunkt, dem in der zweiten Hälfte ein Fluchtpunkt an die Seite gestellt wird. Dieser Fluchtpunkt heißt Frieden. Shalom.
Friede ist in der Bibel mehr als ein bloßer Waffenstillstand. Auch mehr als das, was sich zwischen Gott und einer einzelnen Seele abspielt. Frieden, das ist für die Bibel etwas Ganzheitliches und Umfassendes, etwas, das Heil und Wohl umgreift, Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit, dich und mich.
Hier segnet ein Gott, der den Menschen als Mitarbeiter an seinem Friedenswillen ruft und beruft. Frieden heißt deshalb immer auch: Du bist gemeint. Du wirst gebraucht. Du bist gefragt. Es kommt auf dich an. Friede heißt: Du darfst und sollst selber aktiv sein in dem, was Gott dir schenkt.
Es ist gut, wenn wir hier Abraham im Ohr haben, den Vater des Glaubens. Ihm gibt Gott auf seinem Weg ins Unbekannte zwei Ursätze mit auf den Weg:
Sprecherin: Ich will dich segnen.
Autor: Und….
Sprecherin: Du sollst ein Segen sein.
Autor: Unser Gott ist ein segnender Gott. Und unser Gott will an Menschen durch Menschen segnend handeln. Beides zusammen ist – Friede. Das ist die dritte Glaubensdimension, Segen empfangen und Segen weitergeben. Beides. Es geht um ein Geliebt-Sein, aus dem heraus ich liebe. Und da eröffnet sich ein weites Feld, auf dem es viel Notwendiges, Gutes und Schönes für uns zu tun gibt. Manchmal reicht schon eine WhatsApp. Ein freundlicher Blick. Ein Stück Kuchen, das ich Sonntag Nachmittag nicht allein esse. Nicht nur Abgrenzung, sondern auch ein bisschen Mitleid für unsere Schwestern und Brüder aus den Hotspot-Gebieten.
Der Segen ist nie einfach ein Schluss. Er ist immer auch ein Anfang, eine Art Doppelpunkt. Ein Gesendetwerden in die Welt von Gott her auf Gott hin.
Musik 3: „Oceans“; CD: Zion (2013); Track 3; Musik & Text: Matt Crocker, Joel Houston, Salomon Lightelm;
Interpreten: Hillsong UNITED; Label: © (p) Hillsong Music and Resources LLC; EAN/ISBN:
9320428227591
Autor: Ein Kollege und guter Freund hat mir von dem folgenden Erlebnis erzählt:
Da kam eine Frau nach dem Gottesdienst in die Sakristei
und fing an zu erzählen: Seit vielen Jahren habe
sie keine Kirche mehr von innen gesehen. Aber an diesem Tag stand ihr das
Wasser bis zum Hals. Sie wusste nicht mehr aus noch ein. Und dann sei sie dem
Klang der Glocken gefolgt und habe den Gottesdienst aufgesucht.
Am Anfang sei ihr alles fremd und ungewohnt gewesen. Schon habe sich ihrer ein tiefes Enttäuschungsgefühl bemächtigt, aber dann, ganz am Schluss, da sah sie meinen Freund mit erhobenen Händen am Altar stehen. Und dann habe er etwas gesagt, was sie wie ein Lichtblitz getroffen hat, und auf einmal sei ein ganz tiefer Friede in sie eingekehrt, ein Gefühl, wie sie es seit ihrer Kindheit nicht mehr erlebt hat, das Gefühl, dass ihr doch eigentlich nichts passieren kann,
Es sei etwas mit einem leuchtenden Angesicht gewesen und vom Frieden war die Rede, und sie habe an den Erzengel Michael denken müssen. Wenn sie diese Worte aufschreiben könnte, dann könnte sie sie auswendig lernen. Und sie sei sicher: Wenn sie sich diese Worte ins Gedächtnis ruft, dann könne sie besser mit ihren Schwierigkeiten umgehen und da, wo sie gebraucht wird, souveräner ihre Frau stehen.
Mein Freund hat ihr dann jene Worte noch einmal gesagt, mit denen sich jetzt auch ich, Pfarrer Roland Hosselmann in und aus Lippstadt, von Ihnen verabschiedet:
Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Musik 4: „Die Güldne Sonne“; CD: Gast auf
Erden (2003/2012); Track 10; Musik & Text: Uli Kringler, Sarah Kaiser, Samuel
Jersak; Interpretin: Sarah Kaiser; Label: Gerth Medien; EAN/ISBN:
4029856696225
Redaktion: Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel