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Das Geistliche Wort | 09.08.2020 | 08:40 Uhr
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Mit den Sternen leuchten
Autorin:
Guten Morgen,
„Nur wer umherschweift,
findet neue Wege“,
besagt ein norwegisches Sprichwort.
Viele von uns folgen deswegen
im Sommer ihrem Fernweh und verreisen,
schweifen umher,
finden
neue Wege
– und sei es diesmal im eigenen Land.
Gereist wird schon seit vielen Jahrhunderten.
Früher stand das Reisen unter dem Zeichen des Pilgerns.
Man pilgerte zum Beispiel auf den Spuren des heiligen Jakobus
nach Santiago de Compostela.
Aber was,
wenn
ich dieses Jahr gar nicht weg komme
wegen Corona oder anderer Einschränkungen?
Reisen lässt sich auch von Zuhause aus,
in Geschichten zum Beispiel.
In Lebensgeschichten.
Wenn ich die lese,
oder … mich von ihnen lesen lasse,
dann können neue Wege entstehen,
auch hier, bei mir, Zuhause.
Marcel Proust,
ein französischer Schriftsteller aus dem 20. Jahrhundert,
sagte mal:
„Die wirkliche Entdeckungsreise besteht nicht darin,
neue Landschaften zu erforschen
sondern darin,
Altes mit neuen Augen
zu sehen.“ (1)
Musik 1: Coldplay, Yellow
Titel: Yellow; Text und Musik: Chris Martin, Jonny Buckland, Guy Berryman, Will Champion; Interpret: Coldplay; Album: A Head Full of Dreams, Track 4; Label: ? 2015 Parlophone Records Limited; LC: 30419.
Autorin:
Altes mit neuen Augen sehen.
Zuhause bleiben und dennoch verreisen.
Ich gehe dafür vor die eigene Haustür,
nachts, so zwischen 2 und 4 Uhr,
gehe raus aus der Stadt,
hinaus auf ein Feld.
Und dann schaue ich in den Himmel,
schaue rauf zu den Sternen.
Dort kann ich jetzt im August
eine Menge Sternschnuppen entdecken.
Und Sternbilder.
Den Schwan, dort den Adler, die Leier,
da drüben den Schützen, den Schlangenträger, den Skorpion
und Herkules.
Manchmal wäre ich gerne einer von ihnen,
dann würde ich Bilder an den Himmel malen wie sie
und dabei alles mal von oben betrachten.
Von hier oben kann ich keine Mauern sehen
und keinen Stacheldraht.
Nur die eine Erde.
Rund und schön
und klein und verletzlich.
Und ich frage mich,
wer schon alles über diese Erde gegangen ist?!
So viele Menschen.
So viele Geschichten.
Ich halte Ausschau
nach Menschen und Geschichten,
die uns bis heute leuchten,
durch alle Zeiten hindurch.
Musik 1: Coldplay, Yellow
Autorin:
Und dann muss ich an einen denken,
dessen Namenstag wir morgen feiern – am 10. August:
Laurentius heißt er.
Er lebte in den Tagen der ersten Christinnen und Christen
und versteckte Verfolgte, Geflüchtete, Benachteiligte.
Er teilte sein Essen mit ihnen, seine Privilegien, sein Herz.
Eines Tages warf der Kaiser ihm vor,
er würde etwas verbergen vor ihm,
einen kostbaren Schatz womöglich?
Er forderte Laurentius auf,
ihm diesen auszuliefern.
Daraufhin trat Laurentius vor ihn,
um ihm zu zeigen,
welchen Schatz er da bei sich trug:
lauter zerlumpte, arme Menschen.
Als der Kaiser der Wahrheit ins Auge sah,
der Armut dieser Welt,
und der Armut seines Herzens wohl,
ließ er Laurentius töten.
Die Sternschnuppen,
die man in diesen Augustnächten so gut sehen kann,
werden deswegen auch Laurentiustränen genannt. (2)
Und sie fragen mich:
Mit wem teilst du - deine Zeit, deine Privilegien, dein Herz?
Wen schätzt du - so sehr, dass du ihn schützt?
Traust du dich, den Wahrheiten dieser Welt in die Augen zu schauen?
Und deiner eigenen?
Und – was passiert dann?
Musik 2: Coldplay, Everglow
Titel: Everglow; Text und Musik: Chris Martin, Jonny Buckland, Guy Berryman, Will Champion; Interpret: Coldplay; Album: A Head full of Dreams, Track 4; Label: Parlophone Records; LC: 30419.
Autorin:
In den Nächten meines Lebens hoch zum Himmel schauen.
Und mit den Sternen wieder hinunter.
Ausschau halten nach Menschen,
die uns bis heute leuchten.
Die „Dame mit der Lampe“ zum Beispiel.
So nennt man Florence Nightingale noch heute,
weil sie immer eine Petroleumlampe bei sich hatte;
nachts, wenn sie die Kranken im Lazarett aufsuchte –
das war während des Krimkriegs.
Vor 200 Jahren ist sie geboren,
in eine wohlhabende britische Familie hinein.
Auf Reisen interessierte sie sich schon als junge Frau
nicht in erster Linie für Ruinen und Kirchen,
sondern immerzu für Krankenhäuser.
Als sie sich im Hospital in Kaiserswerth am Rhein
zum ersten Mal um Kranke kümmern durfte,
sagte sie:
„Jetzt weiß ich, was es heißt, das Leben zu lieben.“ (3)
Statt zu heiraten oder einem akademischen Beruf nachzugehen,
wurde sie Krankenpflegerin.
Aus Krankenhäusern, in denen Menschen dahinsiechten,
schuf Nightingale von nun an Orte,
in denen Menschen heil werden konnten.
Neben den physischen sah sie
auch die psychischen Bedürfnisse der Menschen.
Sie bezog Erkenntnisse rund um Ernährung, Hygiene und Desinfektion ein
und machte sich Gedanken darüber,
wie Krankenhäuser gebaut werden müssen.
So legte sie die Grundsteine für eine professionelle Krankenpflege
und eröffnete 1860 sogar eine eigene Pflegeschule.
Obwohl sie selbst im Laufe ihres Lebens chronisch krank wurde,
hörte sie nie auf, ihrem Traum einer menschenfreundlichen Krankenpflege zu folgen.
Nächste Woche, am 13. August, jährt sich Florence Nightingales Todestag zum 110. Mal.
Gerade
in unseren Corona-Zeiten
erinnert das Leben der „Dame mit der Lampe“ an die,
die Licht machen, wenn es dunkel wird,
die sich kümmern,
dann, wenn unser Leben zwischen Himmel und Erde schwebt.
Wo wären wir nur, wenn es euch an unseren Betten
und in unseren Nächten
nicht gäbe?
Musik 2: Coldplay, Everglow
In diesen Augustnächten hoch zum Himmel schauen,
nach den Sternen greifen …
… und am nächsten Tag?
Auf Bäume klettern
und nach Kirschen greifen!
Meine Kinder und ich lieben es,
wir tun es jeden Sommer,
erst kürzlich wieder.
Und immer dann, wenn Kirschenzeit ist,
werde ich erinnert an eine Geschichte von Kindern,
die man sich bis heute erzählt:
Es war im Jahr 1432,
während der Hussitenkriege.
Soldaten lagerten vor der Stadt Naumburg.
Ein Angriff stand bevor.
Die rund 600 Kinder Naumburgs
machten sich auf zur Grenze ihrer Stadt,
auf zu den Soldaten.
Statt Waffen in den Händen,
hatten sie Lieder auf den Lippen.
So baten sie den General um Gnade.
Woraufhin dieser nicht anders konnte,
als seinerseits mit Musik zu antworten.
Er ließ seine Soldaten die schönsten Kinderlieder spielen
und bewirtete seine jungen Gäste mit Kirschen.
Was als Krieg geplant war,
verwandelte sich in ein Fest.
Bis heute wird deswegen in der Stadt Naumburg
jedes Jahr ein Kirschenfest gefeiert.
Immer wenn ich im Sommer mit meinen Kindern
Kirschen pflücken gehe,
denke ich an diese Kinder von damals.
Und an ihre Mitbringsel:
Grüne Friedenszweige in den Händen,
die Bäuche voller Kirschen
und auf ihren Lippen Lieder des Friedens.
So zogen sie abends zu ihren Eltern zurück. (4)
Musik 2: Coldplay, Everglow
Autorin:
In diesen Augusttagen auf Bäume klettern,
wie damals als Kind,
und Kirschen pflücken.
Und von dort oben
Ausschau halten nach den anderen,
nach denen, die anders sind,
nach denen, die einen Unterschied machen.
Vor 80 Jahren wurde sie in Kenia geboren: Wangari Maathai heißt sie.
Als eine der ersten Mädchen Kenias
durfte sie lesen und schreiben lernen
und studierte schließlich Biologie.
Als sie mit 27 Jahren ihren Abschluss machte,
gab es in ihrer Heimat keine Wälder und Flüsse mehr.
Also
fing sie an,
mit den Frauen und Bauern ihrer Gegend
Baumschulen zu gründen und Bäume zu pflanzen.
50 Millionen Bäume pflanzten sie gemeinsam.
Dafür wurde Wangari Maathai immer wieder verhaftet.
Aber auch mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Wangari Maathai konnte den Frieden in dieser Welt
nur im Einklang mit der Natur denken.
Das Motto der ersten weiblichen Professorin
und stellvertretenden Umweltministerin Kenias lautete:
„Die kleinen Dinge
verändern die Welt.
Meine Kleinigkeit ist,
dass ich Bäume pflanze.“ (5)
Musik 3: Coldplay, Paradise
Titel: Paradise; Text und Musik: Brian Eno, Chris Martin, Jonny Buckland, Guy Berryman, Will Champion; Interpret: Coldplay; Album: Mylo Xyloto, Track 3; Label: Parlophone Records; LC: 30419.
Autorin:
„Die kleinen Dinge verändern die Welt.
Meine Kleinigkeit ist,
dass ich Bäume pflanze.“,
sagte einst Wangari Maathai. (5)
Was ist meine Kleinigkeit?
Wofür kann ich aufstehen?
Oder wer weiß, vielleicht sollte ich öfters mal sitzen bleiben?!
So wie es vor 65 Jahren jene Schwarze Frau tat,
von der man bis heute redet,
und deren Anliegen sich gerade in diesen Wochen wieder Gehör verschafft.
Damals weigerte sie sich
ihren Sitzplatz im Bus
fu?r einen Weißen Fahrgast freizugeben.
Sie blieb sitzen, obwohl es die Regeln anders vorgaben.
Ihre anschließende Verhaftung löste in ihrer Stadt Montgomery in Alabama
einen monatelangen Boykott öffentlicher Verkehrsmittel aus.
Nahezu die gesamte Schwarze Bevölkerung machte mit.
Einer von ihnen war Martin Luther King.
Mit Erfolg:
Nach ungefähr einem Jahr gewaltfreien Widerstands
durften People of Color
ihren Sitzplatz endlich frei wählen.
Und alles begann damit,
dass eine Person sitzen blieb:
Rosa Parks. (6)
Musik 3: Coldplay, Paradise
Autorin:
Wieder denke ich an die Sterne in diesen Augustnächten.
Von hier unten aus wirken sie wie klitzekleine Punkte.
Und doch ist ihre Leuchtkraft so enorm,
dass sie uns, die wir so weit weg sind,
die Nächte hell machen.
Der südafrikanische Erzbischof und
Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu
sagte einst im Kampf gegen die Apartheid:
„Liebe ist stärker als Hass,
Licht ist stärker als Dunkelheit,
das Leben ist stärker als der Tod.“ (7)
In der Nacht dieser Welt
weiter leben,
lieben,
leuchten,
so wie die Sterne,
so wie viele Menschen vor uns schon:
Laurentius,
Florence Nightingale,
Die Kinder von Naumburg,
Wangari Maathai,
Rosa Parks,
Martin
Luther King,
Desmond Tutu
und viele andere mehr.
Ohne sie wären wir heute nicht da,
wo wir sind,
und hätten wohl nicht den Mut,
da weiter zu machen,
wo sie aufgehört habt.
Musik 4: Coldplay, O
Titel: O, Text und Musik: Chris Martin, Jonny Buckland, Guy Berryman, Will Champion; Interpret: Coldplay; Album: Ghost Stories, Track 9; Label: Parlophone Records; LC: 30419.
11:22-11:52
Autorin:
In
einem alten Brief in der Bibel heißt es:
„Einen andern Glanz hat die Sonne,
einen andern Glanz hat der Mond,
einen andern Glanz haben die Sterne;
denn ein Stern unterscheidet sich vom andern
durch seinen Glanz.
So auch die Auferstehung.“ (8)
Jesus selbst sagte einst:
„Ihr seid das Licht der Welt (…)
So lasst euer Licht leuchten.“ (9)
Sonne, Mond und Sterne,
und all die Menschen vor uns,
laden
uns ein,
was anders zu machen,
aufzustehen,
(oder je nachdem: sitzen zu bleiben),
jeder Mensch auf seine Weise,
sich aufzumachen,
in einen neuen Tag hinein,
Licht durchscheinen zu lassen,
und mitten in der Nacht damit anzufangen,
einander zu fragen:
Mensch, wie kann ich dir heute leuchten?
Was kann ich dir sein?
Was dir wünschen?
Dir tun?
Und was wäre, wenn wir damit nicht alleine auf der Welt wären?
Wenn es einen Geist gäbe, einen heiligen,
der uns alle miteinander bewegen würde zu leuchten,
jede auf ihre Weise,
Licht zu machen?
„Weißt du
wie viel Sternlein stehen,
an dem weiten Himmelszelt?
Gott der Herr hat sie gezählet,
dass ihm auch nicht eines fehlet (…)
Kennt auch dich und hat dich lieb.
Kennt auch dich
und hat dich lieb.“ (10)
Musik 4: Coldplay, O
12:49-15:30
Autorin (overvoice):
Ein
altes Gutenachtlied,
das auch noch für den Morgen taugt,
für Kinder genauso wie für Erwachsene,
für jeden Reisenden
unter diesem Himmelszelt,
ein ganzes Menschenleben lang.
Dass Sie sich gesehen und beachtet fühlen wie ein Stern am Himmel,
dass jemand für Sie leuchtet und den Unterschied macht,
dass Sie auf Ihre Weise für andere ein Licht werden ab und zu,
das wünscht Ihnen
Stephanie Brall von der Evangelischen Kirche.
Musik 4: Coldplay, O (freistehend)
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth
Anmerkungen:
(1)
Zitat von Marcel
Proust: https://www.aphorismen.de/zitat/145593
(2)
Text: In
Anlehnung an Stephanie Brall et al, Leben lieben: Kreative Inspiration für
Feiertage, Allerweltstage und Lieblingstage.
bene!
Verlag. 2019. S. 147, ISBN 978-3-96340-049-0.
(3)
Zitat von Florence Nightingale:
https://www.zeit.de/wissen/geschichte/2010-08/nightingale-krankenpflege
(4)
Text: In
Anlehnung an Stephanie Brall et al, Leben lieben: Kreative Inspiration für
Feiertage, Allerweltstage und Lieblingstage.
bene! Verlag. 2019. S. 130, ISBN
978-3-96340-049-0.
(5)
Zitat von Wangari
Maathai: Heldenatlas: 101 Frauen und Männer, die die Welt verändert haben.
Miralda Colombo /Ilaria Faccioli,
S. 85
(6)
Text: In
Anlehnung an Stephanie Brall et al, Lichtungen 2020: Adventskalender. bene!
Verlag. 2020. 1.12., Artikelnr.
4260308357497.
(7)
Zitat von Desmond
Tutu: https://gutezitate.com/zitat/100434
(8)
Lutherbibel 2017, 1.Kor.
15, 41-42
(9)
Lutherbibel 2017: Mt. 5, 14a+16a
(10)
„Weißt du wie viel Sternlein stehen“ von Wilhelm Hey, Dichter aus dem 19.
Jahrhundert