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Das Geistliche Wort | 01.11.2020 | 08:40 Uhr
Heilig
Karl der Große in Aachen. Barbara im Ruhrgebiet; die Beschützerin der Bergleute. Liborius in Paderborn. Und in Köln. In Köln liegen die Heiligen drei Könige. Und dann wären da noch Suitbert in Düsseldorf-Kaiserswerth, der das dortige Kloster gegründet hat. – Heilige! Im offiziellen Verzeichnis der katholischen Kirche sind tausende Heilige gelistet. Viele von Ihnen sind so alt wie die Kirche selbst. Das formale Verfahren der Heiligsprechung gibt es erst seit dem Mittelalter.
Aber: heilig, was ist das eigentlich? Und – wenn wir schon dabei sind - wie wird man denn heilig oder ein Heiliger oder eine Heilige? Mich macht schon allein das Wort stutzig: „heilig“. Es scheint mir ein wenig aus der Zeit gefallen. Also habe ich Jugendliche in meinem Konfirmandenunterricht gefragt, was ihnen zu diesem Wort - „heilig“ – einfällt:
O-Ton Collage 1: Personen, die was Wichtiges in der Kirche gemacht haben; z.B. die heiligen drei Könige, die dann zu Jesus Geburt gekommen sind. Heilige Leute; Heiligenkranz über dem Kopf; Gott; Kirche; Jesus; Glauben; etwas, dass im religiösen Sinne von Bedeutung ist; Jesus oder Engel.
Autor: Ganz aus der Zeit gefallen scheint er also nicht zu sein; der Gedanke, dass das was bedeutet, dieses „heilig“. Für die Jugendlichen, die ich gefragt habe, gehört das Heilige in die Welt des Glaubens und der Kirche. Und auch der Duden definiert das so. Heilig das ist …
Sprecherin: … im Unterschied zu allem Irdischen göttlich vollkommen und daher verehrungswürdig.
Autor: Jemand und etwas Heiliges ist furchteinflößend und unantastbar, meint der Duden dann weiter. Und ich bekomme das Gefühl, Heiligkeit schafft eine große Distanz zwischen Himmel und Erde, zwischen mir und dem Heiligen.
Musik 1: Track 13, “Sanctus & Benedictus”, Holy, Holy, Holy Lord von CD: Lift Up Your Hearts - A Caribbean Liturgical Celebration, Interpretin: Judy Bailey, Text + Musik: Judy Bailey, Label: Judy Bailey (Gerth Medien), EAN: 4280000636010
Autor: Heute feiern Christinnen und Christen das Fest Allerheiligen. An alle Heiligen wird gedacht – an die bekannten und auch an die unbekannten. Denn heilig wird man nicht einfach so. Der Weg bis jemand heilig wird, ist in der katholischen Kirche seit einigen hundert Jahren streng geregelt:
„Es ist unmöglich mit einem so komplizierten Verfahren alle Heiligen der Welt zu erwischen.“ hat mal ein katholischer Kollege zu mir gesagt. Was er damit meint ist, dass es viel mehr Menschen auf der Welt gibt, die es verdient hätten, heiliggesprochen zu werden. Oft kennt man sie einfach nicht, weil sie sich nicht in den Vordergrund drängen oder einfach an abgelegenen Orten der Welt leben. An all diese Menschen soll heute gedacht werden. Allerheiligen ist der Gedenktag aller Heiligen.
Ganz schön aufwendig so eine Heiligsprechung, scheint mir. Bei der ganzen Bürokratie einer Heiligsprechung bleibt die Frage: Was macht einen Heiligen heilig? Die Jugendlichen haben da so ihre Vorstellungen:
O-Ton Collage 2: Ich denke, die haben irgendeinen Verdienst geleistet für die katholische Kirche und werden dann vom Papst heiliggesprochen; Krankheiten heilen oder irgendwie wie Gott oder Jesus; weil die gute Dinge tun; weil sie Wunder vollbringen; etwas Besonderes ist, etwas Besonderes getan hat, etwas das in Erinnerung geblieben ist; dass die ihre Meinung vertreten; sehr sehr mächtige Leute; glauben relativ stark an Gott und gehen jede Woche in den Gottesdienst.
Autor: Heilige müssen für ihre Heiligsprechung etwas getan haben, da sind sich die Jugendlichen einig. Aber es klingt auch an, dass die Heiligen besonders fromme und gute Menschen waren. So können sie Vorbilder für mich und mein Leben sein. Sie zeigen mir wie ein gutes und frommes Leben sein soll.
In der katholischen Tradition haben sie noch eine andere Funktion. Durch ihr gutes Leben sollen sie besondere Gnade bei Gott gefunden haben, so der Glaube. Die Gläubigen sollen dadurch quasi Vermittler zwischen sich und Gott haben. Im Gebet können sie sich an eine bestimmte Heilige wenden und sie bitten bei Gott ein gutes Wort für sich einzulegen. Im Laufe der Zeit haben die Heiligen daher ganz unterschiedliche Zuständigkeiten bekommen.
So kann man die Heilige Apollonia bei Zahnschmerzen um Hilfe bitten oder Dionysius hilft bei Kopfschmerzen. Auch die meisten Berufsgruppen haben ihre eigenen Heiligen. Die Heilige Barbara schützt die Bergleute. Der Heilige Florian kümmert sich um die Schornsteinfeger und der Heilige Nikolaus um die Seeleute. Selbst der Rundfunk hat mit Johanna von Orleans eine zuständige Heilige.
Musik 2: Tack 12 “Don’t stop me now”, CD: Jazz, Interpret: Queen, Text + Musik: Freddie Mercury, Label: EMI (00542), EAN: 4988006818163
Autor: „Sind die Heiligen eigentlich nur was für Katholiken?“ das werde ich als evangelischer Pfarrer ab und zu gefragt. Zumindest der Allerheiligentag gehört uns allen. Immerhin haben heute alle frei. Zumindest die im Süden und Westen Deutschlands. „Heilig sein“ geht uns alle an. Dennoch ist mancher überrascht, dass er beim Blick in den evangelischen Kalender auch hier Allerheiligen findet.
Matin Luther hat die Anbetung der Heiligen abgelehnt. Die Heiligen selbst aber keineswegs abgeschafft.
Heilige sollen mir ein Vorbild im Glauben sein, so sagt es Martin Luther. Sein Freund Philipp Melanchthon hat diesen Gedanken kurz und knapp zusammengefasst:
Sprecherin:
Man
soll der Heiligen gedenken, um dadurch seinen eigenen Glauben zu stärken. Es
ist jedoch gegen die Schrift, sie neben Jesus Christus als Vermittler und
Versöhner anzurufen, weil dadurch seine Versöhnungstat durch den Kreuzestod in
Frage gestellt werde. (2)
Autor: Wie sollen die Heiligen mir aber Vorbild sein? Hier fällt mir wieder die Geschichte von Nikolaus ein. Es ist über 1700 Jahren her. Nikolaus ist Bischof in Myra, einer Stadt in der heutigen Türkei. Dort sieht Nikolaus Armut unter den Menschen. Er sieht einen Vater mit drei Töchtern. Die Familie ist so arm, dass die Töchter nicht heiraten können. Sie haben kein Geld für die nötige Aussteuer. Die Frauen würden verarmen oder müssten sogar als Huren ihren Lebensunterhalt verdienen, denkt Nikolaus. Er hilft den Töchtern. Des nachts wirft er drei Goldklumpen, für jede einen, durch die Fenster ins Haus.
Vieles aus der Legende hat sich bis heute erhalten. In der Nacht bringt der Nikolaus die Geschenke. Heimlich legt er sie in die Stiefel oder steckt sie in die Socken. Jahrhunderte später wurde die Legende ergänzt. Der Heilige Nikolaus fragt die Kinder, was sie Gutes und Schlechtes gemacht haben. Diese Tradition hat wohl nichts mit dem Bischof Nikolaus aus Myra zu tun. Sie geht vermutlich auf einen der Texte aus der Bibel zurück, der am Nikolaustag in den Gottesdiensten gelesen wird. Hier geht es um einen reichen Mann, der verreist und sein Geld und seine Güter seinen Dienern anvertraut. Als er wiederkommt müssen die Diener Rechenschaft ablegen, was die aus dem Besitz gemacht haben. Das „Gleichnis von den anvertrauten Talenten“ heißt diese Geschichte. Aus dem reichen Mann, der seine Diener befragt, ist im Laufe der Zeit der Nikolaus geworden, der die Kinder nach Gutem und Bösem befragt.
Musik 3 = Musik 1
Autor: Die Legende vom Heiligen Nikolaus gefällt mir. Nikolaus ist ein Vorbild für mein eigenes Leben. Nikolaus ist großzügig. Er sieht das Leid anderer und handelt. Nicht zu eigenem Nutzen, aus Nächstenliebe. Ein schönes Vorbild. Dabei geht es, denke ich, aber nicht nur darum zu teilen und etwas abzugeben an die, die es brauchen. Das „Gleichnis von den anvertrauten Talenten“ bringt noch etwas ganz anderes hinzu. Wie gehe ich um mit dem was mir anvertraut ist? Was mache ich aus dem, was mir gegeben ist? Bin ich dankbar? Nutze ich es zum Guten?
Dabei sind es gar nicht die materiellen Dinge und Werte, die besonders wichtig sind. Ist mir etwas besonders wichtig, dann sage ich manchmal: „das ist mir heilig“. Als ich die Jugendlichen gefragt habe, was ihnen heilig ist, bekomme ich eine Antwort von fast allen:
O-Ton Collage 3: meine Familie, meine Familie ist mir heilig, meine Eltern
Autor: Erstaunlich. Würde ich die Jugendlich fragen wer sie am meisten nervt, würden viele wohl auch antworten: meine Eltern, meine Schwestern oder mein kleiner Bruder. Und dennoch ist es gerade die Familie, die ihnen heilig ist. Sie ist die erste Gemeinschaft zu der ich gehöre. Später kommen auch für die Jugendliche andere Gemeinschaften hinzu:
O-Ton Collage 4: Freunde, meine Freunde, Freunde, Freunde, meine Freunde, Freunde auch.
Autor: Nur vereinzelt und deutlich hinter der Familie und den Freunden kommen die Dinge, die ich eigentlich bei den Jugendlichen viel prominenter erwartet hätte.
O-Ton Collage 5: mein Handy, mein Sport Fußball, Bücher, mein i-Pad, unser Haus, mein Handy, mein Radio, Videospiele
Autor: Wer spontan gefragt wird, was ihm oder ihr heilig ist, antwortet oft intuitiv. Und dann sind es eben meist nicht die materiellen Dinge. Das ist bei Erwachsenen ganz genauso. Nicht das Auto, das Haus oder die teure Einrichtung werden genannt. Auch hier ist es die Familie, die Freunde, der Partner, die eigenen Kinder und Enkelkinder und die Gemeinschaft.
Auch mir geht es so. Wenn ich darüber nachdenke, was mir wirklich wichtig ist, was mir heilig ist: mein Partner, meine Freunde, die mich schon so viele Jahre begleiten, aber auch meine Leidenschaften, wie mein Engagement bei den Pfadfindern. Und oft merke ich dann, dass ich viel zu wenig dankbar für das alles bin. Ich nehme es einfach als selbstverständlich war. Besonders bewusst wird mir das, wenn ich Menschen begegne, die Gemeinschaft bitterlich vermissen. Die ältere Dame im Trauergespräch, die vor drei Tagen ihnen Mann verloren hat. 60 Jahre waren die beiden verheiratet. Wie geht es nun weiter? Ganz alleine. Oder der junge Mann, der nach dem Gottesdienst etwas verloren im Foyer der Kirche steht. Ich spreche ihn an. Er ist aus Syrien, seiner Heimat, geflohen. Seine Eltern hat er zurückgelassen, seinen Bruder auf der Flucht verloren. Er weiß nicht, ob er noch lebt. Nun ist er hier – alleine. Ohne Familie, ohne Freunde, ohne Gemeinschaft.
Musik 4: Track 3, “Home” CD: One, Interpretin: Judy Bailey, Text + Musik: Judy Bailey, Label: Judy Bailey (DePool Music), EAN: 4280000636034
Autor: Was mache ich mit dem, was mir anvertraut ist? Schon in der Frage steckt ein großer Schatz. Denn ich muss als erstes erkennen, dass mir, ganz persönlich, etwas anvertraut ist. Nicht immer muss es Gold sein, wie beim Heiligen Nikolaus. So vielen von uns ist doch ganz anderes heilig. Es braucht kein kompliziertes Verfahren, keine Heiligsprechung, um zu erkennen, dass bei Gott wir alle heilig sind.
Heute ist Allerheiligen. Den Heiligen Nikolaus nehme ich mir gerne als Vorbild. Und auch die anderen hundert, tausend und zehntausend Heiligen können mir ein Vorbild im Glauben und im Leben sein. Es ist gut an sie zu erinnern. Aber genauso wichtig ist es das Heilige in mir selbst zu erkennen.
Einen gesegneten Feiertag wüscht Ihnen Pfarrer Oliver Mahn aus Köln.
Musik 5: Track 14, “Husavik” (My Hometown), CD: Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga, Interpreten: My Marianne + Will Ferrel, Text: Fat Max Gsus + Rickard Göransson + Savan Kotecha, Musik: Atli Örvarsson, Label: Arista Mod, EAN: 0194397996029
Quellen:
(1) https://www.duden.de/rechtschreibung/heilig_ehrwuerdig_geheiligt_hehr (letzter Aufruf: 3.10.20)
(2) Philipp Melanchthon: Confessio Augustana. 1530. Artikel 21.
Redaktion: Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel