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Das Geistliche Wort | 14.02.2021 | 08:40 Uhr

DIESER BEITRAG ENTHÄLT MUSIK, DAHER FINDEN SIE HIER AUS RECHTLICHEN GRÜNDEN KEIN AUDIO.

Ich glaube, hilf meinem Unglauben

Autor: Herbst 2020. Ich treffe einen alten Bekannten nach längerer Zeit. Wir reden über die Arbeit, über Familie. Und irgendwann kommen wir auch auf die Corona-Pandemie zu sprechen. Und über die Berichterstattung in den Medien in Coronazeiten und überhaupt. Mein Bekannter sagt plötzlich sehr scharf: „Wir werden doch vorne und hinten belogen. Die etablierten Medien machen uns doch nur was vor!“ Ich frage ihn, woher er denn seine Informationen bezieht. Er sagt sehr deutlich, dass er die gängigen Zeitungen und Nachrichtensendungen überhaupt nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Er informiert sich jetzt nur noch im Internet. „Da wird einem wenigstens die Wahrheit gesagt,“ so meint er. Ich frage ihn: „Wie kommst Du darauf, dass Deine YouTube-Videos mehr Wahrheit enthalten als die Rheinische Post, die Zeit oder die Tagesschau. Ich sehe auch manches kritisch in der Medienberichterstattung, aber ich habe nicht das Gefühl, dass wir dort systematisch und gezielt belogen werden. Im Gegenteil: Eine freie Presse korrigiert sich ja laufend gegenseitig.“ Das Gespräch geht noch eine Weile weiter. Am Ende verabschieden wir uns, freundlich, aber ohne uns bei diesem Thema viel näher gekommen zu sein.


Musik: Titel: Awake, Interpret: Tycho; Album: Awake; Label: 2014 Ghostly International, LC: 47563.

















Autor: Woher kommen solche, Gedanken und Ideen, wie mein Bekannter sie äußert? Und wie ist das mit der Wahrheit? Auf welche Quellen und Informationen kann ich mich verlassen? Ohne Frage: Skepsis und Zweifel sind wichtig. Auch gegenüber den Medien. Jede Wissenschaft und jede Demokratie braucht das – gerade sie! Schwierig wird es erst, wenn aus berechtigten Zweifeln ein generelles Misstrauen wird. Wenn alle gängigen Medien plötzlich als „Lügenpresse“ bezeichnet werden. Wenn manche hinter aller Berichterstattung eine dunkle Macht vermuten, die alles bewusst steuert und manipuliert. Wenn Menschen plötzlich nur noch das glauben, was sich für sie selbst irgendwie interessant und einleuchtend anfühlt. Ohne dass es Belege dafür gibt. Wenn das geschieht, dann wird aus guter und wichtiger Skepsis eine Verschwörungserzählung.

Warum sind diese Erzählungen so reizvoll? Einmal, weil sie spannend sind – und nicht so langweilig wie das echte Leben oft. Aber auch, weil sie eine schwierige, komplizierte Welt sehr einfach erklären. Da gibt es eine dunkle Macht, die für alles Böse verantwortlich ist. Und das sind natürlich immer die anderen, Bill Gates oder gar die Juden oder wer auch immer. Alles ist schön schwarz und weiß. Und man selber steht natürlich auf der guten, hellen Seite. Und hat das Gefühl: „Ich hab den Durchblick. Die meisten verstehen überhaupt nicht, was wirklich passiert. Die Wahrheit kennen nur ich und meine Verbündeten.“ Das fühlt sich gut an. Hat aber mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun.

Ich halte solche Verschwörungserzählungen für gefährlich und will ihnen entgegentreten. Sie verengen das Denken und erzeugen Feindbilder und irrationale Ängste. Sie teilen die Wirklichkeit viel zu einfach in Schwarz und Weiß und Gut und Böse ein. Aber jetzt stellt sich eine spannende Frage: Wie ist das eigentlich mit meinem Glauben an Gott? Ist der nicht im Grunde was ganz Ähnliches? Hat der nicht auch was von einer „erfundenen Erzählung“? Genau das hat die Kabarettistin Tahnee im Frühjahr in der Sendung „Die Anstalt“ gesagt. Zitat: „Religion und Verschwörungstheorien – es gibt Parallelen. Ich glaube an etwas, das ich nicht belegen kann und folge dem. Stelle das nicht in Frage. Beide arbeiten auch mit einer guten Portion Angst.“

Ein Teil von mir möchte da widersprechen und sagen: „Entschuldige mal, das kann man doch gar nicht vergleichen! “ Aber ein anderer Teil wird nachdenklich und fragt: „Wirklich? Kann es nicht sein, dass der Glaube an Gott eine erfundene Erzählung ist? Bei der wir aber bleiben, weil sie sich gut anfühlt und uns hilft, mit der verrückten Welt besser klarzukommen?“ Diese Frage möchte ich ehrlich stellen. Und noch mal schauen: Wie kommen wir eigentlich darauf, an Gott zu glauben? Gibt es gute Gründe dafür, das zu tun?


Musik: Titel: The facts and the dreams, Interpret: Fragile State; Komponist: Ben Mynott & Neil Cowley; Album: The facts and the dreams; Label: 2002 Hide Inside Records: LC: 23060.


Autor: Was kann eigentlich in uns Glauben wecken? Das Erste sind andere Menschen, die überzeugend ihren Glauben vorleben. Das können die Eltern sein oder die Erzieherin in der Kita, der Relilehrer, die Chorleiterin. Oder der Kollege, der so wohltuend anders mit Menschen umgeht als der Rest der Belegschaft. Oder der biblische Autor, der vor 2.500 Jahren einen Text geschrieben hat, der zutiefst berührt. Wir erleben etwas bei anderen Menschen, was uns anspricht und überzeugt. Und fragen dann: Warum bist Du so und was treibt Dich an? Genau das muss vielen Menschen in der Begegnung mit Jesus so gegangen sein. Jemand hat mal gesagt: „Es fällt mir schwer, an Gott zu glauben. Aber wenn ich Jesus sehe und höre, muss ich sagen: ihm nehme ich das ab, dass es den Vater im Himmel wirklich gibt, von dem er redet.“

Das zweite, was Glauben in uns wecken kann, ist ein tiefes Empfinden: das Gefühl, dass manche Dinge über sich hinausweisen auf etwas Größeres. Da ist zum Beispiel der Vater, der die Geburt seiner Tochter miterlebt und das tiefe Gefühl hat: Was hier passiert, ist einfach nur ein Wunder! Dieser kleine Mensch ist nicht einfach nur Produkt der Evolution. Hinter ihm steht ein Geheimnis, das mehr ist, als alles, was wir messen und begreifen können. Oder die junge Frau, die auf einer Wanderung die Landschaft genau betrachtet und plötzlich das Gefühl hat, dass hinter diesem Wunder der Natur etwas steht, was mehr ist als die Natur selbst. Und auch anderes kann über sich hinausweisen. Die meisten Menschen sehnen sich danach, dass ihr Leben Bedeutung hat. Dass es Sinn ergibt. Die Frage ist: Wo kommt diese Sehnsucht her? Für mich ist unser Durst nach Sinn ein Hinweis darauf, dass hinter diesem Universum etwas zutiefst Sinnvolles steht. So wie unser Durst nach Wasser daran erinnert, dass es irgendwo auf dieser Welt Wasser geben muss. Sonst gäb‘s hier keine Wesen, die Wasser brauchen.

Das dritte, was Glauben in uns wecken kann, sind persönliche Erfahrungen. Eine Frau erzählt, wie sie vor Jahren in einer ganz schwierigen und wirklich gefährlichen Krise war. Und lange das Gefühl hatte: Sie ist wie gelähmt und sieht keinen Ausweg. Und irgendwann stand ihr plötzlich ganz deutlich vor Augen, was sie tun musste. Und sie sagt heute: „Das hat mich buchstäblich gerettet. Ich bin sicher, dass mir da ein Anderer den richtigen Hinweis gegeben hat.“ Kann man das so sagen? Ist das sicher? Kann man so ein Erlebnis nicht auch ganz anders verstehen? Natürlich. Man kann sagen: Ihr Unterbewusstsein hat sie da geleitet. Oder: das war Zufall - der richtige Gedanke zur richtigen Zeit. Solche Erlebnisse sind nicht eindeutig. Sie sind keine Beweise für Gott. Wir können sie unterschiedlich deuten. Für diese Frau war dieser Eindruck so stark, dass sie sich entschieden hat, dieses Erlebnis als Erfahrung mit Gott zu verstehen.


Musik: Titel: The facts and the dreams; Interpret: Fragile State; Komponist: Ben Mynott & Neil Cowley; Album: The facts and the dreams; Label: 2002 Hide Inside Records: LC: 23060.


Autor: Es ist wohl so: Eindeutige Belege haben wir Christinnen und Christen für unseren Glauben nicht. Und erst recht keine wissenschaftlichen Beweise. Wir haben Menschen und Texte, die uns ansprechen und überzeugen. Viele haben das tiefe Empfinden, dass es „mehr als alles“ geben muss in dieser Welt. Aber wir wissen nicht, ob dieses Empfinden auf etwas Wirkliches hinweist. Menschen haben persönliche Erlebnisse, die sie als Erfahrungen mit Gott deuten. Die andere Menschen aber durchaus anders deuten können. Ist das viel? Oder wenig? Reicht das, um an Gott zu glauben?

Ich glaube, an dieser Stelle muss jede und jeder eine Entscheidung treffen. Man muss sich entscheiden, ob man all das als Hinweise auf Gott verstehen will oder nicht. Aber das gilt auch für andere wichtige Dinge im Leben. Ich kann zum Beispiel noch nicht mal sicher wissen, ob meine Frau oder meine Familie mich liebt. Ob meine Freunde das, was sie über mich sagen, wirklich so meinen. Philosophen haben darauf hingewiesen, dass wir noch nicht einmal sicher sein können, dass es außerhalb von uns selbst eine Welt gibt. Es könnte ja nur mich geben, und die Welt findet nur in meinem Kopf statt.

Es gibt also Grundüberzeugungen, die wir nicht beweisen können. Sondern bei denen wir uns entscheiden müssen, ob wir ihnen trauen oder nicht. Und ich möchte meinem Gefühl trauen, dass Gott da ist. Ich möchte den Worten trauen, die von Gott und Jesus Christus erzählen. Ich setze mein Leben auf diese Karte. Auch wenn es Momente gibt, in denen ich mich frage, ob ich da nicht völlig falsch liege. Und die gibt es. Mein Glaube ist ein Auf und Ab. Da sind immer wieder jede Menge Zweifel. Und das ist gut so. Denn ich will mich auch in meinem Glauben nicht immun machen gegen die Fragen, die ich und andere haben. Weil ich finde, dass das auch für einen erwachsenen Glauben gelten muss: vieles zu hinterfragen und selbst zu denken.

Und dann können immer wieder hinschauen und kritisch fragen: Wo führt mich mein Glaube denn hin? Macht er mein Herz weit – oder macht er mein Denken eng? Ist er offen für Zweifel und Fragen und Kritik – oder verbietet er mir das alles? Ermutigt er mich dazu, mit Andersdenkenden freundlich und offen zu reden – oder befiehlt er mir, sie zu bekämpfen? Hilft er mir, mehr und fröhlicher zu lieben – oder lehrt er mich den Hass auf andere? Stärkt er mein Vertrauen – oder führt er zu Misstrauen und Angst? Führt er mich auf den Weg des Friedens – oder auf den Kriegspfad? Macht er mich demütig und frei – oder arrogant und verbissen? Ein Glaube, der dazu verleitet, andere zu verachten, der sich gegen jede Kritik abschottet, der wissenschaftliche Erkenntnisse leugnet, weil sie nicht ins Bild passen, der ist nicht weit davon entfernt, selber eine Art Verschwörungserzählung zu werden. „An ihren Früchten werdet Ihr sie erkennen“, sagt Jesus. Also an dem, was aus diesem Glauben hervorgeht. Und für mich ist Jesus eins der besten Argumente dafür, dass Gott wirklich da ist. Er lebte vollkommen frei, er vertraute in eine göttliche Grundgüte hinter allem, er ging auf Menschen zu und zeigte ihnen, wie geliebt sie sind, er konnte ihnen die Augen öffnen für die schöne und schmerzhafte Wahrheit ihres Lebens, heilte ihre Wunden und ermöglichte ihnen einen Neustart, jetzt, sofort und ohne Vorbehalte – das alles und noch viel mehr ist für mich ein echt guter Grund, an Gott zu glauben. Und wenn die Zweifel mal wieder richtig groß werden, dann weiß ich, dass ich ganz offen und ehrlich und ohne Angst zu ihm gehen und bitten kann: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Ein solches Gottvertrauen wünscht Ihnen Joachim Römelt aus Solingen-Dorp.


Musik: Titel: Chapel Stile; Interpret: Pretz; Album: Top 40 Ultimate - Chillout Classic Bar Grooves; Label: 2009 Du Monde Music; LC: unbekannt.



Quelle:

Tim Crane: Die Bedeutung des Glaubens, Berlin 2019, S. 43ff


Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth



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